Am Sonntag wird zwar gewählt, aber eigentlich denken schon seit Wochen alle nur noch an den 24. Februar. An den Tag danach, an dem die Verhandlungen zur Regierungsbildung beginnen. Welche Koalition soll es sein? Vor allem für die Union ist das zur Gretchenfrage geworden. Rot, Grün, Minderheitsregierung oder klappt es sogar doch noch mit der FDP? Und dann sind da noch die Mitte-Rechts-Wähler, die sich ein Bündnis zwischen der Union und der AfD wünschen, das Friedrich Merz aber eindeutig ausgeschlossen hat. Der CDU-Kanzlerkandidat hat sichtlich versucht, sich aus der Koalitionsklemme zu befreien. Es ist ihm aber nur teilweise gelungen.
Am deutlichsten ist der Sauerländer gegenüber der FDP geworden. Die Union habe keine Leihstimmen zu verschenken. Dank des neuen Wahlrechts können die Christdemokraten in der Tat nirgends auf die Zweitstimme verzichten. Aber trotzdem könnte Merz hier vielleicht etwas zu selbstbewusst sein. Es ist noch so die Frage, ob die FDP-Wähler tatsächlich nur rein taktisch ihr Kreuz machen, es ihnen vor allem um eine Anti-Ampel-Regierung ohne die Grünen geht. Oder ob es jenseits dieses Ziels nicht noch eine andere liberale Agenda gibt, die deutlich in Kontrast zur Union steht und die es verhindert, dass diese Wähler eins zu eins von Gelb nach Schwarz überlaufen.
Lindner will sich von der Union absetzen
Dass Christian Lindner nun angedeutet hat, dass die FDP auch nicht einfach so die Position der Union zur Abtreibung schluckt, sondern vielmehr eine neue Debatte über die Zukunft des Paragraphen 218 wünscht, unterstreicht: Der Vorsitzende der Liberalen will sich von CDU und CSU absetzen. Da kann Lindner noch so oft bei „Nius“ zum Talk bei Ralf Schuler antreten, er hat sicher nichts gegen konservative Wechselwähler, die er sozusagen am Rande des Weges aufsammeln kann, aber es ist nicht seine Kernklientel. Manche Konservative, die mit der FDP bisher geliebäugelt haben, müssen überlegen, ob sie gerne das fünfte Rad eines Wagens sein wollen, der jederzeit in eine Richtung abbiegen könnte, die ihnen nicht passen kann.

Das andere Koalitionsdauerproblem, das die Union schon seit einer gefühlten Ewigkeit mit sich herumschleppt, ist ein potentielles Bündnis mit den Grünen. Aber mit seinen Spekulationen über Rot-Rot-Grün hat Robert Habeck all denen in der Union, allen voran Markus Söder, Recht gegeben, die schon immer eine Zusammenarbeit mit der selbsternannten Öko-Partei ausgeschlossen haben. Habeck macht damit deutlich, dass auch er, der Ober-Realo, seine Partei letztlich klar im linken Lager verortet.
Bleibt die AfD-Frage: Der Union ist es bis zuletzt nicht gelungen, den Druck umzukehren. Im Moment ist es immer noch so, dass vor allem in den sozialen Netzwerken der Merz-CDU von potentiellen Rechts-Wählern vorgeworfen wird, sie verhindere durch ihre Blockade-Haltung gegenüber der AfD, eine bürgerliche Regierung zu bilden, die sich auf eine breite Mehrheit stützen könnte. Dieses Narrativ zielt darauf ab, die Union als Buhmann darzustellen, der aus Feigheit vor dem Geschrei der Linken davor zurückschrecke, den letzten Schritt in Richtung AfD zu gehen.
Lernen von Boris Palmer
Die AfD und ihre Anhängerschaft in den sozialen Medien gefallen sich natürlich in der Rolle, der Union ein Stöckchen hinzuhalten. Zumal klar ist, dass die Christdemokraten noch nicht einmal zum Sprung ansetzen werden. Die CDU schafft es nicht, die Frage umzudrehen: Wieso schafft es die AfD nicht, sich von ihren rechtsextremistischen Teilen zu trennen, warum hetzt sie gegen die Ukraine und warum lassen die angeblich bestehenden bürgerlichen Teile dieser Partei das zu?
Vielleicht sollte die CDU ihre Strategen aus dem Adenauer-Haus einmal zum Praktikum nach Tübingen schicken. Boris Palmer, Oberbürgermeister und Ex-Grüner, hat nämlich einen Wahlaufruf für Friedrich Merz verfasst. Dabei hat er sich explizit an AfD-Anhänger gewandt: „Eine Stimme für die AfD bewirkt bei dieser Wahl nur eine Blockade. Es ist schlicht ausgeschlossen, dass eine andere Partei mit der AfD koaliert.“ Weiter schreibt Palmer: „Wenn das so ist, bewirkt eine Stimme für die AfD nicht wie bei früheren Wahlen ein Umdenken der anderen Parteien, sondern nur dass Friedrich Merz eine Koalition aus drei Parteien führen muss. Er wird der Kanzler. Seit Helmut Kohl war niemand inhaltlich so nah an ihren Zielen in der Migrationspolitik wie er.“ Ob die CDU schon einen Mitgliedsantrag nach Tübingen geschickt hat?
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