Alle Jahre wieder kommt das Christuskind, der Gedenktag des Heiligen Martin von Tours – und mittlerweile seit Jahrzenten auch die jährliche UN-Klimakonferenz COP, dieses Jahr in der 29. Auflage in Baku. So sehr Routine wie die herbstliche Bestückung der Supermärkte mit Lebkuchen also, wäre da nicht die aktuell entgegen des langjährigen Trends stark nach unten weisende Erregungskurve. Konnte die Apokalypse in den vergangenen Jahren nicht nahe genug sein, so werden die Alarmtöne auch aus der Kirche just in dem Jahr leiser, in der die Welt-Durchschnittstemperatur tatsächlich erstmals die Marke von 1,5 Grad Erwärmung im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten reißen soll.
Zwar nutzte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Georg Bätzing, am gestrigen Sonntag die Einladung der EKD-Synode in Würzburg dazu, neben der Würdigung theologischer Argumente auch „angesichts todbringender Folgen des Klimawandels“ um interkonfessionelle Einheit zu werben. Und Papst Franziskus ging sogar konkret auf die Klimakonferenz ein. Er hoffe, dass die COP 29 „einen wirksamen Beitrag zum Schutz unseres gemeinsamen Hauses leisten wird“, so der Papst bei seiner Ansprache nach dem sonntäglichen Angelus.
Nicht alle Protagonisten vollziehen die verbale Abrüstung mit
Und doch: Ein dürres Sätzlein! Im letzten Jahr wollte Franziskus noch höchstpersönlich nach Dubai fliegen, um dort den Führern der Welt die Leviten in Sachen Klimaschutz zu lesen. Am Ende las immerhin Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin eine Botschaft vor, in der der krankheitsbedingt verhinderte Franziskus die „Zerstörung der Schöpfung“ als „Vergehen gegen Gott“ bezeichnete, und beschied, die „Zukunft aller“ hänge „jetzt wie nie zuvor“ von der Gegenwart ab, für die man sich entscheide.
Nicht alle Protagonisten vollziehen die verbale Abrüstung mit. Die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke schrieb auf der Plattform „X“, man könne sich nicht mit 2,5 oder drei Grad Erwärmung abfinden, „weil wir das nicht überleben werden“. Außenministerin Annalena Baerbock bezeichnete die Klimakrise in einer Mitteilung der Regierung als „größte Sicherheitsherausforderung unserer Zeit“. „Alle, die es sich leisten und beitragen können“, seien nun gefragt – „traditionelle Industrieländer genauso wie alle Länder, die wirtschaftlich dazu in der Lage sind“. Und von Wirtschaftsminister und Neu-Kanzlerkandidat Robert Habeck kommt die freudige Einschätzung, dass eine Verdreifachung der Erneuerbaren Energien bis 2030 möglich sei.
Und doch hat sich der Wind unübersehbar gedreht. Wurden die Grünen 2021 auch vom Thema Klimawandel in die Regierung getragen, hat sich die Energiewende mittlerweile als teurer Rohrkrepierer erwiesen. Wenig CO2-Einsparung, dafür aber hohe Energiekosten und abwandernde Industrieunternehmen, diese Leistungsbilanz belastet gleichermaßen die Aussichten der Habeck-Partei bei der anstehenden Bundestagswahl und die Aussichten der Welt auf eine gelingende Finanzierung weiterer Klimaschutzmaßnahmen.
Ist die Zurückhaltung der Kirche weise?
Während der Gürtel in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt auch wegen der Energiewende enger geschnallt werden muss und Olaf Scholz als Kanzler ohne Mehrheit mit Verweis auf die Innenpolitik seine Teilnahme in Baku absagte, kommt aus den Vereinigten Staaten die Nachricht, der designierte Präsident Donald Trump wolle erneut gleich ganz aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen. Joe Biden reist wie Scholz nicht an, und die amerikanische Delegation wird keine seriösen Zusagen machen können.
Ist die Zurückhaltung der Kirche vor diesem realpolitischen Hintergrund des absehbaren Scheiterns der COP geboten? Ist sie weise? Geprägt von neuer Einsicht? Vielleicht nötigt sich der Vatikan ja noch weitere Ausführungen ab. Noch bis zum 22. November tagen die Nationen in Aserbaidschan. Andernfalls dürften wenigstens Freunde des Zeitgeistes erfreut registrieren, dass die Kirche die allgemeinpolitische Wende in diesem Bereich widerstandslos mitvollzieht.
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