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So wird 2023

Für Katholiken hält das begonnene Jahr zahlreiche bioethische Zumutungen bereit. Schuld daran sind auch Deutschlands Bischöfe. Ein Kommentar.
Debatte um §218
Foto: IMAGO/Willi Schewski (www.imago-images.de) | Das Verbot vorgeburtlicher Kindstötungen (§218) steht in diesem Jahr wieder zur Debatte.

Seit einigen Jahren verstreicht in Deutschland keines von ihnen, ohne dass Regierungen, Parlamente oder Gerichte nicht wenigstens eine neue biopolitische Weiche stellen. Und obgleich Karl Valentin recht hat und Prognosen „schwierig“ sind, „besonders wenn sie die Zukunft betreffen“, so dürfte das begonnene Jahr, biopolitisch gesehen, dennoch ein Besonderes werden. Nicht nur, weil mit der gesetzlichen Neuregelung des assistierten Suizids und der drohenden Streichung des Verbots vorgeburtlicher Kindstötungen aus dem Strafgesetzbuch gleich zwei bioethische Klassiker auf der biopolitischen Agenda stehen. Sondern auch, weil damit das Ende der bioethischen Zumutungen aller Voraussicht nach noch nicht einmal erreicht wäre.

Wachsende Begehrlichkeiten von "pressure groups"

Zur Debatte stehen ferner die Aufhebungen des Verbots derLeihmutterschaft und der Eizellspende, die Errichtung von Bannmeilen um Abtreibungseinrichtungen und Beratungsstellen sowie möglicherweise ein neuer Anlauf für die Einführung der Widerspruchslösung bei der Organspende. Fehlt eigentlich bloß noch, dass sich die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina mit ihrer Forderung nach Abschaffung des Embryonenschutzgesetzes wieder in Erinnerung bringt.

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Nicht, dass es umstürzende wissenschaftliche Erkenntnisse gäbe, die eine Neubewertung in der einen oder anderen Frage erforderlich machten. Was es aber gibt, sind wachsende Begehrlichkeiten von „pressure groups“, die vor allem die Optionen ihrer Klientel erweitern wollen, und eine Regierung, an der nach 16 Jahren erstmals keine Christdemokraten und Christsozialen mehr beteiligt sind.

Das soll nicht heißen, dass die Union in der Vergangenheit biopolitisch alles richtig gemacht hätte. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Aber die Union war wenigstes nie Treiber, sondern hat sich dort, wo sie klare Kante hätte zeigen können und müssen, treiben lassen. Anders als unter Gerhard Schröder, war Biopolitik unter Angela Merkel nie Chefsache, sondern jene Spielwiese, auf der sich der kleinere Koalitionspartner zu profilieren suchte. Vergleichbares gilt auch jetzt. Bundeskanzler Olaf Scholz scheint an bioethischen Fragen in etwa so interessiert zu sein wie eine Eisenbahnschiene. Dafür tummeln sich auf der Wiese jetzt gleich zwei Koalitionspartner, die sich zu profilieren und dabei gegenseitig zu übertrumpfen suchen. Was für die Grünen die Streichung des § 218 StGB ist, ist für die FDP die Ermöglichung von Eizellspende und Leihmutterschaft. Gut möglich, dass deshalb am Ende beides kommt.

Die Bischöfe müssen sich an die eigene Nase fassen

Die katholischen Bischöfe mögen all das bedauern. Mit Kritik sollten sie eher sparsam sein und sich stattdessen lieber an die eigene Nase fassen. Denn natürlich sind Volksvertreter, wie das Kompositum anzeigt, Vertreter des Volkes. Jenes Volkes, dessen ethische Bildung und Erziehung Gott den Hirten seiner Kirche anvertraut. Und die haben zugelassen, dass Religionslehrer, Priester und Professoren, Generationen von Gläubigen theologisch, philosophisch und (bio)ethisch verbilden konnten. Manche mehr, manche weniger.

Unter dem Strich bleibt: Hätte der deutsche Episkopat in bioethischen Fragen ein ähnliches Engagement an den Tag gelegt, wie bei dem sich selbstbespiegelnden Synodalen Weg, könnten Katholiken 2023 biopolitisch gelassen entgegensehen. Nun halt nicht.

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