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Oberstes Gericht kippt "Roe vs. Wade"

Das lange erwartete Urteil des "Supreme Court" ist da. Künftig wird die Abtreibungsgesetzgebung Sache der einzelnen Bundesstaaten sein.
Das umstrittene Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ hatte die amerikanische Abtreibungsgesetzgebung seit 1973 bestimmt
Foto: IMAGO/Rod Lamkey/CNP/MediaPunch (www.imago-images.de) | Das umstrittene Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ hatte die amerikanische Abtreibungsgesetzgebung seit 1973 bestimmt. Bislang waren Abtreibungen vor der Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Mutterleibs straffrei.

Roe vs. Wade“ ist Geschichte: Der Oberste Gerichtshof der USA hat das umstrittene Grundsatzurteil am Freitag gekippt. Mit seiner lange erwarteten Entscheidung im Fall „Dobbs vs. Jackson Women’s Health Organization“ gibt das neunköpfige Richtergremium die Kompetenz, Abtreibungsgesetze zu erlassen, zurück an die einzelnen Bundesstaaten. Sechs Richter schlossen sich der Mehrheitsmeinung an, die drei linksliberalen Richter stimmten dagegen. Der Vorsitzende des Obersten Gerichts, John Roberts, stimmte mit der Mehrheit, erklärte aber, er hätte lieber einen "ausgewogeneren Kurs" eingeschlagen, mit dem "Roe vs. Wade" nicht sofort gekippt worden wäre.

Verfassung enthält kein "Recht" auf Abtreibung

In der Urteilsschrift, die knapp 80 Seiten umfasst, heißt es, die amerikanische Verfassung enthalte kein "Recht" auf Abtreibung. "Die Autorität, Abtreibung zu regulieren, wird an das Volk und die gewählten Volksvertreter zurückgegeben."

Die entscheidende Frage sei, "ob die Verfassung, korrekt ausgelegt, ein Recht auf Abtreibung enthält". "Roe vs. Wade" argumentierte, dass sich ein solches Recht aus dem durch den 14. Verfassungszusatz garantierten "Recht auf Privatsphäre" ableiten lasse. Diese Auffassung teilen die Obersten Richter nun nicht mehr.

Auch das Gerichtsurteil "Planned Parenthood vs. Casey" aus dem Jahr 1992, das "Roe vs. Wade" bestätigt hatte, habe die Frage ignoriert, ob die Verfassung ein "Recht" auf Abtreibung enthalte, heißt es in der Urteilsbegründung. Stattdessen sei damals ausschließlich mit dem juristischen Prinzip des "stare decisis" entschieden worden - also auf Grundlage eines vorangegangenen Präzedenzfalles. Zudem kommen die Obersten Richter zu dem Ergebnis, dass ein "Recht" auf Abtreibung nicht "tief verwurzelt" in der Geschichte und Tradition des Landes sei.

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Der nun veröffentlichte Text geht noch einmal deutlich über die Urteilsschrift hinaus, die Anfang Mai vorab an die Medien durchgestochen worden war – ein beispielloser Vorgang in der Geschichte der amerikanischen Justiz. In seiner Argumentation stimmt das neue Urteil jedoch mit dem vorläufigen Entwurf überein.

Das umstrittene Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ hatte die amerikanische Abtreibungsgesetzgebung seit 1973 bestimmt. Seitdem waren Abtreibungen vor der Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Mutterleibs straffrei – im ersten Trimester einer Schwangerschaft quasi ohne Einschränkungen, mit gewissen Einschränkungen auch noch im zweiten Trimester. Mit dem nun erlassenen neuen Urteil wird die künftige Rechtslage in den einzelnen Bundesstaaten sehr unterschiedlich sein. In etwa der Hälfte der Staaten wird der Zugang zu Abtreibung kaum eingeschränkt sein, die andere Hälfte wird die Gesetze im Vergleich zu „Roe vs. Wade“ deutlich verschärfen. 

Lesen Sie weiterführende Hintergründe in der kommenden Ausgabe der "Tagespost".

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Maximilian Lutz John Roberts Roe v. Wade Schwangerschaftsabbruch

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