Wäre es nicht reizvoll, in Zeiten von fake-news, russischer Propaganda und immer aggressiver verlaufenden gesellschaftlichen Debatten der Desinformation endlich einen Riegel vorzuschieben? Die Regierung scheint sich den Ukrainekrieg und dessen öffentliche Rechtfertigung durch „Putinversteher“ zum Anlass genommen zu haben, jetzt einen Rahmenbeschluss der EU aus dem Jahr 2008 zur „strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ umzusetzen und den Volksverhetzungsparagraphen zu erweitern. Fortan soll die „öffentliche Billigung, Leugnung beziehungsweise gröbliche Verharmlosung von Völkerstraftaten“ mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren „ausdrücklich pönalisiert“ werden. Letztlich wird damit der Strafbarkeit der Holocaustleugnung auf Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Allgemeinen ausgedehnt, bei etwas geringerem Strafmaß.
Was kommt als nächstes?
Dass die Verschärfung, die weitgehend unbemerkt bereits am 20. Oktober im Bundestag beschlossen wurde, die Zustimmung sämtlicher anwesender Abgeordneter der Ampel-Koalition, aber auch der CDU gefunden hat, ist eigentlich ein Skandal. Denn die Botschaft, die von der Verschärfung ausgeht, kann nur sein: Wir ziehen die Daumenschrauben an, die Meinungsfreiheit ist der effektiven Bekämpfung unerwünschter Einflüsse auf die öffentliche Debatte nachgeordnet. Mit einem liberalen Verständnis bürgerlicher Grundrechte, dem einst die politische Linke, mindestens aber die FDP verpflichtet war und sein sollte, ist dies nicht in Einklang zu bringen. Dass die Union ebenfalls zustimmte und die Verteidigung dieser Grundfreiheit AfD und Linken überließ, ist betrüblich.
Aus christlicher Sicht ist klar, dass der Begriff der Wahrheit seinen Platz in der göttlichen Offenbarung hat. Im politischen Feld aber müssen aber auch unwahre Behauptungen straffrei bleiben, weil erst dies ermöglicht, unvoreingenommen Argumente in die öffentliche Diskussion einzubringen. Ein freiheitlicher Staat profitiert zum Beispiel nicht davon, die Leugnung von Massakern in der Ostukraine unter Strafe zu stellen. Zu oft stellen sich von offizieller Stelle getätigte Tatsachenbehauptungen im Nachhinein als falsch heraus – ein Blick auf die Coronakrise sollte zur Demut beitragen. Die Debatte, gerade bei heißen Themen wie Kriegsverbrechen, von vorneherein mit Strafandrohung zu belasten, verringert die Fähigkeit, zu unkonventionellen Ergebnissen zu kommen. Und wer weiß, was als Nächstes unter Volksverhetzung fällt. Die Feststellung, dass es nur zwei Geschlechter gibt? Dass gelebte Homosexualität Sünde sei? Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass in solchen Aussagen christlicher Lehre künftig eine potentielle Störung des öffentlichen Friedens gesehen werden könnte.
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