Am frühen Abend beriet der Deutschen Bundestag gestern in Erster Lesung den „Entwurf eines Gesetzes zur zweiten Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes“. Der vom Bundeskabinett eingebrachte Gesetzesentwurf (Bundestagsdrucksache 20/10861) sieht vor, bundesweit Bannmeilen mit einem Radius von 100 Metern vor den Eingängen von Abtreibungseinrichtungen und Schwangerenkonfliktberatungsstellen zu errichten, um abtreibungswillige sowie ratsuchende Frauen vor einer sogenannten Gehsteigbelästigung zu schützen. Wer sich innerhalb dieses Radius aufhält, um für die schwangeren Frauen und ihre ungeborenen Kinder zu beten oder gegen Abtreibungen zu demonstrieren, soll künftig mit einer Ordnungsstrafe von bis zu 5.000 Euro belangt werden können.
In der 39 Minuten dauernden Debatte verteidigten die Rednerinnen der Ampelkoalition erwartungsgemäß den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, der federführend im Hause von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) erarbeitet worden war, während Rednerinnen der Unionsfraktion und der AfD hervorhoben, dass auch das geltende Recht es bereits gestatte, derartige Belästigungen, so sie denn stattfänden, zu ahnden.
Alternative Fakten versus Realität
Während die Vertreterinnen der Ampelkoalition so hemmungslos wie (nach Recherchen dieser Zeitung) wahrheitswidrig ein geradezu apokalyptisches Bild von „Lebensschützern“ zeichneten, die ratsuchenden Frauen den Weg zu Beratungsstellen versperrten, mit Vorwürfen und Hass überzögen (Bundesministerin Paus), anschrieen, bepöbelten, mit Kunstblut beschmierten und mit unrealistisch großen Plastikföten beschenkten (Josephine Ortleb, SPD), verurteilten, beschimpften, anfeindeten und mit Hass und Hetze überzögen (Nicole Bauer, FDP), zeigte sich die CDU-Abgeordnete Silvia Breher um eine Versachlichung der Debatte bemüht. „Mein Kollege Hubert Hüppe hat die Bundesregierung gefragt, wieviele Fälle seit 2021 bekannt sind. Ihre Antwort: ,Die Ergebnisse der initiierten Länderabfrage stützen den Handlungsbedarf, können aber weder quantifiziert noch aufgeschlüsselt werden‘. Und Frau Ministerin, sie selber haben im ZDF-Interview gesprochen von ,wenigen Einzelfällen‘“, so Breher.
Die AfD-Abgeordnete Nicole Höchst warf der Regierung vor, sie polemisiere „mit dieser Gesetzesvorlage gegen Menschen, die ihre Geringschätzung für das ungeborene Leben nicht teilen“, mache „aus Betern für das Leben“ „Täter“ und „Lebensschützer“, die ihre „Meinung öffentlich äußerten“ als „Gehsteigbelästiger verächtlich“.
Verfassungsrechtliche Bedenken
Die CDU-Abgeordnete Bettina Margarethe Wiesmann verwies in ihrer Rede auf die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte sowie darauf, dass der Gesetzesentwurf der Bundesregierung womöglich gegen Artikel 19 des Grundgesetzes, der die Einschränkung von Grundrechten regelt, verstoße. Aus ähnlichen Gründen halten auch Lebensrechtler den Gesetzesentwurf der Bundesregierung für verfassungsrechtlich bedenklich oder gar für verfassungswidrig.
Tatsächlich haben in allen bisherigen Verfahren die Gerichte in Deutschland zugunsten der Lebensrechtler entschieden. Zuletzt entschied der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig im Mai vergangenen Jahres höchstrichterlich, die Veranstalter hätten das Recht, „selbst über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung zu bestimmen“. Und: „In einer pluralistischen Gesellschaft“ gebe es „kein Recht darauf, von der Konfrontation mit abweichenden religiösen Vorstellungen oder Meinungen gänzlich verschont zu bleiben“ (BVerwG, Beschluss vom 23.05.2023 – 6 B 33.22). DT/reh
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