Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Schutzzonen um Abtreibungseinrichtungen

Sogenannte „Gehsteigbelästigung“: „Verfassungsrechtlich bedenklich“, „juristisch schwammig“

Menschen- und Lebensrechtler üben scharfe Kritik am Kabinettsbeschluss zur geplanten Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes.
Protest von Lebensschützern
Foto: Sachelle Babbar via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Die Pläne der Bundesregierung, Bannmeilen um Abtreibungseinrichtungen zu errichten, seien verfassungsrechtlich bedenklich“, erklärte Felix Bollmann, Rechtsexperte und Anwalt bei der Menschenrechtsorganisation „ADF ...

Der gestern erfolgte Beschluss des Bundeskabinetts, Bannmeilen um Abtreibungseinrichtungen und staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen zu errichten, ist bei Menschen- und Lebensrechtlern auf massive Kritik gestoßen. „Friedliche Versammlungen, Gebet und freundliche Hilfsangebote dürfen nicht verboten werden. Die Pläne der Bundesregierung sind verfassungsrechtlich bedenklich“, erklärte etwa Felix Bollmann, Rechtsexperte und Anwalt bei der Menschenrechtsorganisation „ADF International“.

Wichtige Grundfreiheiten pauschal eingeschränkt

Die geplanten Änderungen schränkten nicht nur „wichtige Grundfreiheiten pauschal ein“, sie schwächten auch „gezielt, den zivilgesellschaftlichen Lebensschutz“. Eine „Belästigung von Menschen in schwierigen Situationen“ sei „selbstverständlich falsch“ und bereits „nach geltender Rechtslage verboten“. „Aber Zensurzonen einzuführen, ist nicht pro-choice, das ist no-choice und hat in einer freiheitlichen Gesellschaft nichts verloren“, so Bollmann weiter.

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ADF International unterstützte in den letzten Jahren mehrere Menschen vor Gericht, die friedlich vor Abtreibungsberatungsstellen beteten. Die Entscheidungen der Gerichte fielen bisher zu Gunsten der Beter aus. Ihr Tenor: Gebetsversammlungen dürften nicht pauschal verboten werden. Es komme auf eine Abwägung der Rechte der beteiligten Grundrechtsträger im Einzelfall an.

Anders als nun auch im Regierungsentwurf behauptet, hätten die Gerichte bisher in keinem Fall eine Belästigung Schwangerer festgestellt. Statt die Überprüfung von Einzelfällen sehe der von Bundesministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) erarbeitete Gesetzesentwurf pauschale Beschränkungen vor. Außerdem wolle das Gesetz Plakate, Worte und Hilfsangebote verbieten, die „verwirren“ könnten. 

Höchstrichter stützen Position der Lebensrechtler

Im Mai vergangenen Jahres hatte der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts die Revision gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim abgewiesen, das der Lebensrechtsorganisation „40 Days vor Life“ im Streit die Zulässigkeit einer solchen Gebetsversammlung vor einer Pro Familia-Beratungsstelle Recht gab. Dabei begründeten die Richter ihren Beschuss unter anderem so: „Es gibt in einer pluralistischen Gesellschaft kein Recht darauf, von der Konfrontation mit abweichenden religiösen Vorstellungen oder Meinungen gänzlich verschont zu bleiben. Ein von politischen Diskussionen oder gesellschaftlichen Auseinandersetzungen unbeschwertes Inneres ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf. Unerheblich sind damit Störungen Dritter, die darin liegen, dass diese mit ihnen unliebsamen Themen konfrontiert werden. Erst recht ausgeschlossen sind Verbote zu dem Zweck, bestimmte Meinungsäußerungen ihres Inhalts wegen zu unterbinden“ (Vgl.: BVerwG, Beschluss vom 23.05.2023 – 6 B 33.22).

„Der Staat ist zum Schutz jedes individuellen Lebens verpflichtet. Lebensschutz ist aber zugleich auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Bürger, die sich für das menschliche Leben engagieren, dürfen nicht kriminalisiert werden. Jeder Mensch hat eine Würde und ein Recht auf Leben – ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Beim Schutz des Lebens sollten Staat und Bürger zusammenarbeiten. Stattdessen werden nun Menschen mit Zivilcourage von ihrem Engagement abgeschreckt“, so Ludwig Brühl, Sprecher von ADF International.

Linder: Wichtige wäre eine lebensbejahende Politik

Kritik kam auch vom „Bundesverband Lebensrecht“ (BVL). „Der vom Bundeskabinett verabschiedete Entwurf zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) erstaunt in vieler Hinsicht“, erklärte die Vorsitzende des Dachverbands, Alexandra Linder. Das Gesetzesvorhaben sei „juristisch schwammig und faktisch unnötig“. „Viel wichtiger wäre es, sich mit den steigenden Abtreibungszahlen zu beschäftigen.“ Die dem Statistischem Bundesamt gemeldeten Abtreibungszahlen und die Abtreibungsquote seien „so hoch wie seit vielen Jahren nicht mehr“.

Erst kürzlich hatte die Wiesbadener Behörde zum sechsten Mal in Folge einen Anstieg der Zahl der ihr gemeldeten vorgeburtlichen Kindstötungen bekannt gegeben. Linder warb für „eine vollständige Abtreibungsstatistik, die sich auch mit Abtreibungs-Gründen und -Motiven beschäftigt“. Gleiches gelte auch für „die Qualitätsprüfung der staatlich anerkannten Beratungsstellen im Hinblick auf ihre Pflichten gemäß § 219 StGB“ sowie „für eine lebensbejahende Politik, die Frauen und Familien eine Zukunfts-Perspektive mit Kindern bietet.“

Die Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA), Cornelia Kaminski, erklärte, „der Beschluss des Kabinetts, Gebetswachen vor Beratungsstellen zu verbieten, ist ein massiver Eingriff in die Rechte auf Religions-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, das Lebensrechtlern genauso zu gewähren ist wie etwa Umwelt- und Klimaschützern.“ Das sei offensichtlich auch Familienministerin Paus bewusst, weswegen sie das Narrativ bediene, die Beter stellten eine unzumutbare Belästigung für die Schwangeren und das Personal in den Beratungsstellen und Arztpraxen dar.

Kaminski: „Ein stilles Gebet kann per Definition nicht Hass und Hetze sein, sondern ist ein letzter Versuch, die oft verzweifelten Frauen in ihrer Notlage sowie ihre ungeborenen Kinder durch Gebet zu begleiten.“ Handelte es sich hierbei um nicht hinnehmbare Belästigungen, so gäbe es mit dem „Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen ein hinreichendes Instrument, um diese Belästigungen zu unterbinden“. Zudem gelte: „Wäre es zu entsprechenden Verfahren gegen die Beter gekommen, wären die Medien voll von Berichten darüber gewesen. So bleibt ihnen nichts anderes übrig, als immer wieder dieselben Fotos von einer kleinen Gruppe still betender Menschen zu veröffentlichen, deren mitgeführtes Bildmaterial völlig harmlos ist.“

Kaminski: Gesetzentwurf offenbart „merkwürdiges Frauenbild“

Nach Ansicht der Lebensrechtlerin offenbart das Bundeskabinett mit seinen Gesetzesentwurf auch „ein merkwürdiges Frauenbild“. Kaminski: „warum mutiert eine selbstbewusste Frau, die sich in großer Selbstbestimmtheit für eine Abtreibung entschieden hat, auf dem Weg in die Einrichtung zu einer schwachen, beeinflussbaren Person, der die Konfrontation mit ein paar friedlichen Betern nicht zuzumuten ist? Deren Selbstbestimmung wird durch die Regelung eben nicht gestärkt, wie Familienministerin Paus auf X (vormals Twitter) verlauten ließ, sondern geschwächt, denn Selbstbestimmung bedeutet Wahlfreiheit auch darüber, welche Beratungsangebote ich wahrnehmen möchte. Die Entscheidung, mit den Betern zu reden oder nicht, wird den Frauen endgültig genommen.“

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Stefan Rehder ADF International Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Bundeskabinett Bundesverband Lebensrecht Bündnis 90/ Die Grünen Kindstötung Lebensschutz Lisa Paus

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