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Kubicki überführt Lauterbach der öffentlichen Lüge

Die RKI-Files werden zum Desaster zweier Bundesregierungen. Aber für niemanden dürfte es jetzt so eng geworden sein, wie für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
Kubicki: Lauterbach verzögerte RKI-Risikobewertung
Foto: IMAGO/Frank Hoermann / SVEN SIMON (www.imago-images.de) | Im Kern wirft Kubicki Lauterbach vor, eine vom RKI für fachlich notwendig erachtete Herabstufung des Risikos drei Monate lang verhindert zu haben.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) hat sich in der Debatte um die Auswertung der geleakten, ungeschwärzten Protokolle des Corona-Krisenstabs des „Robert Koch-Instituts“ (RKI) zu Wort gemeldet. Und wie. Dabei hat sich der FDP-Politiker eigenem Bekunden zufolge bislang nur die Protokolle „vom Januar 2021 bis ins späte Frühjahr des Jahres 2022“ genauer angeschaut. Was er darin alles gefunden hat, legt er in einem 9-seitigen Essay offen, den er geradezu lapidar mit „Zur Auswertung der RKI-Files“ überschrieb und gestern auf seiner Internetpräsenz veröffentlichte.

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Kubickis durchgängig überaus lesenswerter Text gipfelt in einer Behauptung, die wie eine Feststellung daherkommt, und einer Forderung. Die Behauptung: „Karl Lauterbach hat dem Ansehen der Bundesregierung durch sein unverantwortliches Verhältnis zur Wahrheit schweren Schaden zugefügt und Zweifel an der Lauterkeit staatlichen Handeln genährt.“ Die Forderung: „Er muss persönliche Konsequenzen ziehen.“

 „Wem unsere Verfassung etwas bedeutet, kann diesen Minister nicht mehr unterstützen“

Die Begründung hat der Jurist vorangestellt. „Einem Bundesminister, der die Wahrheit“ biege „und Grenzen der Wahrheit“ überschreite, „um ein persönliches politisches Ziel zu erreichen, dabei auch schwerste Grundrechtseingriffe billigend in Kauf“ nehme, könne er, Kubicki, „keine parlamentarische Zustimmung mehr geben“. Mehr noch: „Wem die Beachtung der rechtsstaatlichen Ordnung, die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger und unsere Verfassung etwas bedeutet, kann diesen Minister in seinem Treiben nicht mehr unterstützen“, zeigt sich der FDP-Politiker überzeugt.

Im Kern wirft Kubicki Lauterbach vor, eine vom RKI für fachlich notwendig erachtete Herabstufung des Risikos drei Monate lang verhindert und ihr seinen Segen erst erteilt zu haben, als Bundeskanzler Olaf Scholz nach einer Abstimmungsniederlage im Deutschen Bundestag das Projekt einer Allgemeinen Impflicht offiziell für beerdigt erklärt hatte. Als Belege für Lauterbachs Vorgehen zitiert Kubicki aus den Protokollen des RKI-Krisenstabs vom 9.2., 25.2., 20.4. und 25.4.2022 und stellt ihnen, durchaus süffisant, jeweils aktuelle und demnach unwahre Einlassungen des SPD-Politikers entgegen: „Aber hatte Lauterbach nicht erklärt, in die wissenschaftlichen Bewertungen mische sich die Politik nicht ein?“ Oder auch: „Aber hatte Lauterbach nicht erklärt, das RKI sei nicht weisungsgebunden?“ Doch, hat er.

„Par ordre du mufti“

Er hätte, so Kubicki weiter, „zuvor nicht geglaubt, dass in unserem gewaltengegliederten System ein solcher Vorgang möglich“ sei. „Ein Minister, der offensichtlich eigenständig – gewissermaßen par ordre du mufti – die wissenschaftliche Grundlage für Grundrechtseinschränkungen beschließt, war vorher nicht in meiner Vorstellungswelt. „In diesem vom Minister beeinflussten Szenario“ hätten sich die Bundestagsabgeordneten bewegt, „als sie über die allgemeine Impfpflicht zu entscheiden“ gehabt hätten.

„Wer gutgläubig darauf vertraut hatte, dass die Gefahreneinschätzung des RKI auf Fachlichkeit beruhte, konnte annehmen, dass eine allgemeine Impfpflicht notwendig sei. Ich bin froh, dass ich mich damals gegen ein solches Unterfangen gestellt habe, kann aber nachvollziehen, wie andere meiner Kollegen zu einer anderen Einschätzung gekommen sind. Ich bin mir sicher: Hätte das BMG keinen Einfluss auf diese RKI-Einschätzung genommen, sondern wahrheitsgetreu kommuniziert, dass das Risiko unter Omikron signifikant gesunken ist, hätten sich mehr Abgeordnete gegen die allgemeine Impfpflicht positioniert. Dass politische Entscheidungen von einer solchen Tragweite derart aus einem Ministerium beeinflusst werden, halte ich für einen Skandal.“ 

Wenn einige Medien nun meinen, hervorheben zu müssen, Kubicki habe Lauterbach gar nicht explizit zum Rücktritt aufgefordert, dann haben sie zwar formal recht. Nur übersehen sie das Entscheidende: Juristen pflegen, auf das Peinlichste zwischen „soll“ und „muss“ zu unterscheiden. Ergo: Das ist überhaupt kein Aufruf zum Rücktritt, das ist ein kaum mehr bemäntelter Appell an den Kanzler, Lauterbach aus seinem Kabinett zu entfernen.

Die „Bundesnotbremse“ und die niemals problematische Lage auf den Intensivstationen

Im Übrigen handelt es sich bei Kubickis Teilauswertung der Protokolle des RKI-Krisenstabs nicht um eine private Fehde. Sein Essay erhebt vielmehr eine ganze Reihe weiterer schwere Vorwürfe. Anfangen bei der „Süddeutschen Zeitung“ und dem „Spiegel“ sowie „ARD und ZDF“, über das RKI, die Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht. Auch geht es Kubicki keineswegs ausschließlich um die „Allgemeine Impflicht“. Mindestens genauso schwer wiegt für den FDP-Politiker die „Bundesnotbremse“, die seiner Lesart der Protokolle zufolge wissenschaftlich ebenfalls nicht hinreichend begründet war, die kaum aussagekräftige 7-Tage-Inzidenz sowie der Umstand, dass „das deutsche Gesundheitssystem“ in Wahrheit „während der Pandemie nie überlastet war“.

Wer es mit so vielen Gegnern gleichzeitig aufnimmt, muss entweder völlig wahnsinnig sein oder aber absolut sicher, dass er auf der Basis unumstößlicher Fakten austeilt. Und so, wie Kubicki reihenweise auf den ungeschwärzten Protokollen und den Antworten auf seine rund 100 parlamentarischen Einzelfragen zitiert, spricht nichts für Ersteres. Dafür aber sehr viel für Letzteres. 

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