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Kardinal Woelki spricht zum Lebensschutz

Wie der Erzbischof von Köln zum Stargast einer Fachtagung des Bundesverbands Lebensrecht in der „Woche für das Leben“ in Köln wurde.
Rainer Maria Kardinal Wölki (Erzbischof von Köln)
Foto: IMAGO/Peter Back (www.imago-images.de) | Der Kölner Erzbischof setzte ein Zeichen durch seine Teilnahme: Kardinal Woelki beeindruckte die Teilnehmer mit seinem Vortrag über den Menschen ohne Gottesbezug.

Das Polizeiaufgebot, das die Stadt Köln in und um die Kardinal-Frings-Straße herum auffuhr, hätte vermutlich gereicht, um selbst Teilnehmern eines G7-Gipfels ein komfortables Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Dabei galt es „nur“ sicherzustellen, dass eine wissenschaftliche Fachtagung im Maternushaus, dem Tagungszentrum des Erzbistums Köln, auch ordnungsgemäß durchgeführt werden konnte. Pünktlich zum Abschluss der diesjährigen „Woche für das Leben“, die zum letzten Mal unter der gemeinsamen Ägide von Deutscher Bischofskonferenz (DBK) und den Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) stand, hatten dazu unter der Überschrift „Grenzbereiche des Lebens – zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ der Bundesverband Lebensrecht (BVL) gemeinsam mit dem Katholischen Bildungswerk Köln geladen.

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Die Kölner Polizei hatte allerdings auch eine Menge gutzumachen. Im September vergangenen Jahres hatte sie sich überfordert und letztlich unfähig erwiesen, den „Marsch für das Leben“, der außer in Berlin zum ersten Mal zeitgleich in der Dommetropole stattfand, vor gewaltbereiten Gegendemonstranten effektiv zu schützen. Nicht nur, dass die Marschteilnehmer bereits nach wenigen Metern auf der Stelle traten, weil Gegendemonstranten den Weg versperrten, am Ende mussten die Beamten sogar von ihren Schlagstöcken Gebrauch machen.

Woelkis Parforceritt durch die Geistesgeschichte

Eine Scharte, die auszuwetzen sich die Einsatzleitung offensichtlich vorgenommen hatte. Von dem massiven Polizeiaufgebot sichtlich beeindruckt, blieben die rund einhundert Gegendemonstranten bei strömendem Regen brav hinter den Absperrungen stehen und skandierten ihre bekannten, immergleichen Parolen, während die Teilnehmer der Fachtagung, unter ihnen auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe, der Osnabrücker Sozialwissenschaftler Manfred Spieker und der Nestor der Suizidpräventionsforschung, Armin Schmidtke, auf der anderen Seite des Eingangs zügig durch gut gesicherte Schleusen ins Trockene und Innere des Tagungszentrums gelangten.

Dort konnte die BVL-Vorsitzende Alexandra Linder wenig später niemanden Geringeres als den Hausherrn und genius loci, Rainer Maria Kardinal Woelki, begrüßen. Der Erzbischof von Köln, eröffnete den Vortragsreigen mit Überlegungen, die er unter die Überschrift „Der Mensch ohne Gottesbezug“ gestellt hatte. Zuvor dankte Woelki jedoch den rund 120 Lebensrechtlern, unter ihnen viele Vorstände der 15 Lebensrechtsorganisationen, die sich unter dem Dach des BVL versammelt haben, „für Ihren Dienst und für Ihren Einsatz für den umfassenden Lebensschutz vom Anfang bis zum Ende“.

Bei seinem Parforceritt durch die Geistesgeschichte erschloss Woelki den Zuhörern nicht nur verschiedene Interpretationen von Gen 1,26ff und Psalm 8, sondern auch gleich noch das erst kürzlich veröffentlichte vatikanische Dokument „Dignitas infinita“, präsentierte Ergebnisse des Nachdenkens über den Menschen und machte diese, angefangen bei Irenäus von Lyon über Romano Guardini bis zu Charles Taylor, Heinrich Schmidinger und Clemens Sedmak fruchtbar. Wie ein guter Arzt tastete sich der Erzbischof dabei behutsam, aber zielstrebig an die Wunde heran: „Mit der Auflösung der dialogischen Struktur der Liebesbeziehung zwischen Gott und Mensch“, zu welcher der Mensch berufen sei, löse sich auch die Begründung für dessen unverlierbare Würde auf. Am Ende löse sich „sogar die Basis zur Beurteilung der sittlichen Würde“ auf. „Denn eine Freiheit, die zunehmend willkürlich und subjektiv, selbstbezogen und individualistisch vermeintliche Rechte einfordert und eine Freiheit, die eine dem Menschen vorgegebene und zu erkennende Moral anerkennt“, müssten notwendig „zunehmend in Spannung zueinander geraten“.

Mit Bezug auf Romano Guardini

„Werte wie Personalität, individuelle Freiheit, Verantwortung und Würde, gegenseitige Achtung und Hilfsbereitschaft“, seien nicht vom Himmel gefallen, sondern hätten sich unter dem Einfluss des Offenbarungsgehalts entwickelt, seien an diesen gebunden und würden letztlich erst im Verhältnis zum personalen Gott deutlich und zustimmungsfähig. Mit Nietzsche und Guardini hielt Woelki dafür, dass die Welt daher bis heute überhaupt noch nicht verstanden habe, was es für die Menschheit eigentlich bedeute, ihr Dasein als „Nicht-Christen“ gestalten zu müssen.

In der Tat: Man muss dafür nicht erst nach China oder Nordkorea schauen. Tatsächlich reichte der Blick auf die Demonstranten auf der Straße, um zu verstehen, wie wohlfeil es ist, christliche Überzeugungen zu verspotten, solange man selbst in den Genuss der Zinsen kommt, die sie im Laufe der Jahrhunderte akkumuliert haben. Im Anschluss an Woelki warb die Kölner Ärztin Susanne Ley von der „Liga Ärzte in Ehrfurcht vor dem Leben“ dafür, die von der Bundesregierung bislang sträflich vernachlässigte Suizidprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen. Während es in den vergangenen zwei Jahrzehnten gelungen sei, die Zahl der jährlichen Suizide von rund 18.000 auf rund 9.000 zu senken, seien sie 2022 erstmals wieder auf über 10.000 Fälle gestiegen.

Die Bioethikerin und Geschäftsführerin des Wiener Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE), Susanne Kummer, brachte Licht in den Studiendschungel zu den psychischen Folgen von Abtreibungen. Dabei zeigte Kummer zunächst die methodologischen Grenzen auf, die solchen Studien naturgemäß gesetzt seien. So müsse man sich hier beispielsweise vom „Goldstandard“ (randomisierten Doppelblindstudien) verabschieden, da diese aus ethischen Gründen undurchführbar seien. Aus demselben Grund sei es unmöglich, die Folgen, die Abtreibungen auf die Psyche von Frauen haben könnten, im Sinne einer Kausalität nachzuweisen. Das gelte jede sowohl für negativ wie für die positiv behauptete Folgen.

Wie Frauen zu „Brutkästen“ und Kinder zu „Waren“ degradiert werden

Soweit noch nicht geschehen, müssten sich Lebensrechtler von der Vorstellung verabschieden, dass alle Frauen unter den Folgen einer Abtreibung psychisch litten. Wohl aber ließe sich sagen, dass einige der gut gemachten Studien signifikante Korrelationen aufwiesen. So etwa, dass Frauen nach einer Abtreibung ein erhöhtes Risiko für den Missbrauch von Alkohol (13 Prozent) und anderen Drogen (25 Prozent) besäßen. Allerdings müsse sich auch die Abtreibungslobby von dem Narrativ verabschieden, Abtreibung stabilisiere die physische Gesundheit von Frauen oder habe sonst irgendeinen gesundheitlichen Nutzen. Dafür gebe es keinerlei wissenschaftliche Evidenz.

Den Abschluss bildete die Publizistin und „Tagespost“-Kolumnistin Birgit Kelle, deren aktuelles Buch „Ich kauf mir ein Kind – das unwürdige Geschäft mit der Leihmutterschaft“ gerade vielerorts für Schlagzeilen sorgt. Anhand von Fallbeispielen, Zahlen, Daten und Fakten, zeigte Kelle eindrucksvoll, wie Frauen dabei zu „Brutkästen“ und Kinder zu „Waren“ degradiert werden. Schätzungen zufolge werde der derzeit völlig ungeregelte und unkontrollierte, privatwirtschaftlich organisierte Markt binnen der nächsten zehn Jahren von derzeit 16 Milliarden Euro auf dann 130 Milliarden Euro wachsen. Eine weltweite Ächtung sei der einzige Weg, diese neue Form der Sklaverei und des Menschenhandels zu stoppen.

Tags zuvor war bei den turnusmäßigen Vorstandwahlen Alexandra Linder erneut zur BVL-Vorsitzenden gewählt worden. Zu ihrem Stellvertreter wurde der Vorsitzende der Ärzte für das Leben, Paul Cullen, gewählt. Die Ehrenvorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL), Mechthild Löhr, und die Bundesvorsitzende der Aktionen Lebensrecht für Alle (ALfA), Cornelia Kaminski, kandidierten nicht erneut für den Vorstand. Einstimmig gewählt wurden Elisa Ahrens (Stiftung Ja zum Leben), Georg Dietlein (Juristenvereinigung Lebensrecht), Andreas Düren (sundaysforlife), Albrecht Weißbach (Kaleb) und Susanne Wenzel (CDL).

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