Immer wieder tauchen Berichte auf, in denen Christen, die im öffentlichen Leben und in der Politik engagiert sind, als religiöse Extremisten gebrandmarkt werden. Kürzlich erschienen ist ein weiteres solches „Dossier“: „The Next Wave. How Religious Extremism is Reclaiming Power“ von Neil Datta, dem Generalsekretär der NGO „European Parliamentary Forum for Sexual and Reproductive Health and Rights“ (EPF). Die ÖVP-Politikerin Gudrun Kugler wird in dem Bericht, der vor kurzem im Europäischen Parlament vorgestellt wurde, namentlich genannt und bezieht für die „Tagespost“ Stellung.
Frau Kugler, Wie ordnen Sie das jüngste Papier des EPF ein, in dem auch Sie selbst als einer der Köpfe des „religiösen Extremismus“ namentlich genannt werden?
Dieser Text ist kein Bericht oder Sachtext, sondern ein politisch aufgeladenes Dossier, das kritische oder konservative Positionen systematisch delegitimieren will. Meinungen werden kaum bis gar nicht portraitiert, stattdessen Andersdenkende mit abwertenden Begriffen wie „extremistisch“, „anti-rights“, „hate“, „wolves“, „infiltrating“ oder „sectarian“ etikettiert. Das ist keine demokratische Auseinandersetzung, sondern Ausgrenzung. Wo eine Weltanschauung an Bedeutung gewinnt, wird sofort eine Verschwörung vermutet. EPF wird also selbst zu einer – mit dem Geld amerikanischer Lobbygruppen gut ausgestatteten – Plattform für Verschwörungstheoretiker. Mein Verständnis von Demokratie ist: Eine Position wird mit besseren Argumenten entkräftet oder bekämpft – niemals aber eine Person desavouiert.
Worum geht es dem EPF eigentlich?
Das EPF ist ein Netzwerk europäischer Parlamentarier, das sich der Förderung sogenannter sexueller und reproduktiver Rechte widmet – unter anderem dem möglichst einfachen Zugang zu Abtreibung. Neil Datta, der Autor des Berichts, hat laut eigener Aussage an der Ausarbeitung zahlreicher nationaler Gesetze zu diesem Thema mitgewirkt. Seine Arbeit wurde, so rühmt er sich, mit einem Preis dafür gewürdigt, dass er zur Verankerung des Rechts auf Abtreibung in der französischen Verfassung beigetragen hat. Das EPF macht also politisches Lobbying und damit genau das, was es gleichzeitig christlichen Gruppen zum Vorwurf macht.
Sie werfen dem „Bericht“ einseitige Feindbildpflege vor. Können Sie das konkretisieren?
Der Bericht arbeitet mit pauschaler Diffamierung. Christlich orientierte Organisationen, Intellektuelle oder Abgeordnete, die sich für Lebensschutz, Elternrechte oder Familienförderung, Meinungsfreiheit oder Gewissensfreiheit einsetzen, laufen Gefahr, als Bedrohung für die Demokratie abgestempelt zu werden, in guter Gesellschaft mit Papst Franziskus, dem „Gendergegner“.
Ist das nicht einfach politische Rhetorik?
Nein. Die angewandte Strategie hier und anderswo ist brandgefährlich für den demokratischen Diskurs – hier gibt es genügend historische Beispiele. Und für die Betroffenen ist sie rufschädigend. Die Methode erinnert an Cancel Culture inklusive Kontaktschuld so a la „A kennt B, und B war mal auf einer Demo mit C“. Was hier passiert, ist teilweise völlig irrational und jedenfalls das Ende jeder sinnvollen Debatte. Es wird Angst geschürt, führt zu Selbstzensur und übrigens zu Radikalisierung auf beiden Seiten: statt Verständigung entsteht Polarisierung. Und Vorurteile oder gar Verurteilungen werden so perpetuiert.
Der Hauptvorwurf lautet, man wäre „anti-gender“.
Richtig, und mit diesem Aufhänger ist das EPF nicht auf der Höhe der Zeit, denn die Position, Geschlecht als wechselbares gesellschaftliches Konstrukt anzusehen, hat sich im Grunde bereits überlebt. Im deutschen Sprachraum hinken wir da leider noch ziemlich nach. Viele international bekannte Intellektuelle - auch Linke - stellen sich bereits deutlich dagegen. Meine frühere Nationalratskollegin Faika El-Nagashi ist kürzlich wegen der radikalen Genderideologie ihrer Partei von den Grünen ausgetreten. Im EPF-Bericht heißt es sogar, „anti-gender“-Aktivisten würden „die Kinderrechte und das öffentliche Bildungswesen untergraben, indem sie die Elternrechte in den Vordergrund stellen“.
Auch der Einsatz für verfolgte Christen wird in diesem Bericht in Frage gestellt.
Ja, das EPF spricht von „verfolgten“ Christen unter Anführungszeichen – so als ob die schrecklichen Vorkommnisse aus ideologischen Gründen erfunden worden wären. Bei Nennung der renommierten ungarischen Regierungsstelle „Hungary helps“ wird ein Fragezeichen gesetzt – es heißt bei EPF also „Hungary helps?” Das ist ein Schlag in die Gesichter jener Menschen, die Freiheit, Heimat oder Leben verlieren, weil sie an ihrem Glauben festhalten.
Das EPF erhält Mittel aus der EU. Ein weiterer erheblicher Teil stammt aus den USA – etwa von der von George Soros gegründeten Open Society Foundations, sowie der Bill und Melinda Gates Foundation.
Internationale Finanzierung wird im Bericht allerdings konservativen und christlichen Gruppen zum Vorwurf gemacht – das ist ideologische Doppelmoral. Genauso widersprüchlich, wie wenn hier ausgerechnet unter dem Banner „liberaler Demokratie“ versucht wird, bestimmten Weltanschauungen pauschal die Legitimität abzusprechen. Das Unterdrücken missliebiger, aber demokratischer Positionen läuft Gefahr, selbst autoritär zu werden.
Welche Gefahr sehen Sie in der Gleichsetzung von Konservatismus mit Extremismus?
Demokratie lebt vom Wettbewerb der Ideen – auch unbequemer. Wer konservative, christlich motivierte Positionen als extremistisch abtut, verengt den öffentlichen Raum. Der Begriff „Extremismus“ bezeichnet in unserem Wortschatz Akteure, die Gewalt anwenden oder demokratische Grundrechte abschaffen wollen. Wenn dieser Begriff auf friedlich engagierte Christen angewandt wird, wird er entwertet – und echte Gefahren werden verharmlost. Eine pauschale Bewertung christlichen Engagements in der Politik als „extremistisch“ ignoriert zudem den historischen Beitrag des Christentums zu Kultur, Rechtsstaat, Ethik und humanitären Idealen, und kann als kulturelle Entfremdung wahrgenommen werden, was wiederum den gesellschaftlichen Zusammenhalt schwächt.
Was schlagen Sie als Reaktion auf solche Berichte vor?
Emanzipiertes Denken: Sich nicht vom Hochglanz einer Broschüre beeindrucken lassen, sondern Quellen, Wortwahl und Methode kritisch in Frage stellen. Bürger und Medien sollten an EPF beteiligte Politiker und Fördergeber fragen, wie sie solche Methoden mit demokratischen Grundwerten vereinbaren. Wir brauchen differenzierten öffentlichen Dialog statt einseitiger Diffamierung.
Sehen Sie religiöse Extremisten als reale Gefahr?
Ja – weil religiöser Extremismus dort beginnt, wo Glaube zur Rechtfertigung von Gewalt, Zwang oder Unterdrückung wird. Das trifft auf die meisten im EPF-Bericht denunzierten Personen nicht zu, denn ein authentisch gläubiger Christ bekämpft Gewalt, Zwang und Unterdrückung in welcher Form auch immer. Im Gegensatz dazu wiederhole ich mit Überzeugung meine Kritik an den Äußerungen der russisch-orthodoxen Kirche, in denen der brutale Angriffskrieg legitimiert, ja geradezu dazu aufgerufen wird, sowie an jenen Russen, die an der Verschleppung von ukrainischen Kindern beteiligt sind. Die präzise Bekämpfung tatsächlicher extremistischer Bedrohungen wird durch die inflationäre Verwendung von derartigen Zuschreibungen verwässert.
Was ist Ihre zentrale demokratiepolitische Kritik an Dossiers wie „The Next Wave“?
Solche Dossiers delegitimieren nicht Positionen, sondern Personen. Ihre Arbeit wird nicht argumentativ widerlegt, sondern moralisch disqualifiziert. Für den Durchschnittsleser ist dies oft schwer erkennbar, weil das dominante Narrativ verkleidet auftritt in vermeintlichen Informationen. Solche Dossiers sind eine Gefahr für die Demokratie, weil sie den Diskursraum einseitig verschieben und eine Gesinnungskontrolle einzuführen versuchen, wer im Diskurs zugelassen wird. Von konservativer Seite kenne ich keine ähnlich gelagerten Machenschaften. Denn dort sitzt der Respekt für einen demokratische Kultur und die Meinung Andersdenkender doch tief. Eine wehrhafte Demokratie fürchtet sich nicht vor einer offenen Debatte und stellt Respekt vor Andersdenkenden über alle inhaltlichen Differenzen.
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