Kommentar um "5 vor 12"

FDP und Grüne suchen nach einem Narrativ

Die Schlüsselfiguren des Wahlabends waren nicht Laschet oder Scholz. Es sind Christian Lindner, Robert Habeck und Hans-Georg Maaßen. Sie stehen für strategische Entscheidungen, die jetzt zu treffen sind.
Grüne und FDP
Foto: Kay Nietfeld (dpa) | Jamaika bietet hier mehr Stoff als die Ampel: Schwarz-Grün-Gelb das wäre auch so etwas wie eine Versöhnungskoalition des bürgerlichen Lagers.

Die wichtigen Personen dieses Wahlabends heißen nicht Olaf Scholz und Armin Laschet. Ihre Namen lauten Christian Lindner, Robert Habeck und Hans-Georg Maaßen. Der Reihe nach: Lindner und Habeck sind die Kanzlermacher. FDP und Grüne werden darüber entscheiden, welches Dreier-Bündnis es letztlich werden wird. Und wenn dieses Dreier-Bündnis, egal ob Ampel oder Jamaika, mehr sein soll als ein Zweckbündnis, dann muss es ein gemeinsames Narrativ haben. Habeck und Lindner sind die Erzähler.

Kein Revival für neomarxistische Ideologie

Jamaika bietet hier mehr Stoff als die Ampel: Schwarz-Grün-Gelb das wäre auch so etwas wie eine Versöhnungskoalition des bürgerlichen Lagers. Denn bei allen drei Parteien existieren solche bürgerlichen Wurzeln, bei den Grünen sicher am geringsten ausgeprägt, aber doch vorhanden. Die gemeinsame Leitmelodie könnte lauten: Privat vor Staat. Nur müssten Habeck und Lindner bereit sein, das mit Blick auf ihre Kernthemen durchzubuchstabieren. Es hieße für die Grünen: Mehr Kretschmann, kein Revival für neomarxistische Ideologie. Konzentration auf die Frage, wie sich Ökonomie und Ökologie zusammenführen lassen verbunden mit Impulsen für den Standort Deutschland. Aber kein Kulturkampf für „Eltern 1“ und „Eltern 2“, die Gender-Sprache und die Abtreibung.

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Für die FDP hieße dies: Anerkennen, dass sie ihr gutes Ergebnis bürgerlichen Wählern zu verdanken hat, die mit Laschet gehadert haben und Rot-Grün-Rot verhindern wollten. Diese Wähler wollen eine andere Steuerpolitik, einen Entbürokratisierungsschub und endlich Fortschritte bei der Digitalisierung. Sie wollen aber keine Wiederauferstehung der Drei-Pünktchen-FDP  aus der sozial-liberalen Periode der 70er Jahre.

Der Union kommt dabei die Aufgabe zu, Grüne und FDP in ihren kulturkämpferischen Ambitionen zu bremsen. Aber erst einmal müssen Lindner und Habeck überhaupt bereit sind, sich auf ein solches Narrativ einzulassen. Erkennen sie die Chance, die für sie darin liegt, zu den Hauptautoren einer solchen Jamaika-Erzählung zu werden?  

Methode Maaßen ist gescheitert

Und Hans-Georg Maaßen? Der ehemalige Verfassungsschutzpräsident steht stellvertretend für den Versuch der Union, konservative Stammwähler wieder besser zu integrieren. Maaßen hat es nicht geschafft, seinen Wahlkreis direkt zu holen. Er wird dem Bundestag nicht angehören. Nicht nur das: Beinahe wäre er sogar in seinem Südthüringer Wahlkreis auf dem dritten Platz, noch hinter dem AfD-Kandidaten gelandet.

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Maaßen ist von seinen politischen Gegnern in diesem Wahlkampf hart angegangen worden. Karl Lauterbach verstieg sich gar zu der unsinnigen Aussage, Maaßen sei für ihn ein Nazi. Das alles unterstreicht, wie sehr der Union der Gegenwind ins Gesicht bläst, wenn sie sich um ihr konservatives Profil bemüht. Zu der Causa Maaßen gehört aber auch: Der Jurist agierte ungeschickt. Mit seinen auf Eskalation setzenden, oft polemischen Tweets machte er es auch seinen Unterstützern nicht leicht.

Und nun steht fest: Die Methode Maaßen ist gescheitert. Laschet kann in gewisser Weise aufatmen, denn ein Maaßen in der Fraktion hätte ihm Verhandlungen mit FDP und Grünen sicherlich nicht erleichtert. Die Aufgabe bleibt allerdings. Jamaika kann nur dann funktionieren, wenn die Union ihr konservatives Profil nicht noch weiter abbaut. Es muss vielmehr gerade dann geschärft werden. Diese Konservativen müssen über Personen angesprochen werden. Hans-Georg Maaßen wird es nicht sein. Aber wo so sind andere Personen, die dieses Spektrum glaubwürdig vertreten?   

Lesen Sie einen umfassenden Hintergrund zur Wahl in der kommenden Ausgabe der Tagespost.

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