Gar nicht so wenige Menschen schauen so auf die nächste Bundestagswahl, wie sie früher als Kinder die Bescherung herbeigesehnt haben. Endlich soll der große Wunsch in Erfüllung gehen. Das, was früher die Spielzeug-Eisenbahn war, das ist jetzt der Politikwechsel. Nun spricht tatsächlich viel dafür, dass sich nach dem Urnengang am 23. Februar vieles verändern wird, aber eines sollte jedem klar sein, Politik wird nie Erfüllung bringen. Egal, Ob Donald Trump, Robert Habeck oder Alice Weidel: Politik war immer, ist und wird immer unzulänglich sein. Lediglich die Grade der Unzulänglichkeit variieren.
Das erklärt – zum Ende des Jahres darf man ja mal etwas grundsätzlicher werden – auch die Aufgabe von politischem Journalismus: Er muss ent-täuschen. Politische Programme und Doktrinen, die Couleur ist ganz egal, verführen ihre Leser zu der Annahme, es gebe so etwas wie optimale Rundum-Lösungen. Würden sie nur einmal konsequent umgesetzt, paradiesische Zustände brächen aus. Das ist aber eine große Täuschung. Politischer Journalismus klärt also seine Leser auf, indem er ent-täuscht. Er muss die Brüche, die Ambivalenzen, eben die Unzulänglichkeiten aufzeigen, die in allen diesen politischen Plänen liegen.
Respekt vor Politikern, unabhängig ihrer Couleur
Es wäre allerdings ganz falsch, wenn man so eine Haltung mit einer Verachtung des politischen Betriebes gleichsetzen würde. Ganz im Gegenteil: Vielmehr sollte so eine Einsicht den Respekt vor Politikern, und auch hier unabhängig von ihrer Couleur, wachsen lassen. Denn ihre Aufgabe ist existenziell. Sie müssen trotz der allgemeinen Unzulänglichkeit dafür sorgen, dass Ordnung und Recht gesichert sind.

Am besten hat dies einmal Max Weber auf den Begriff gebracht: „Nur wer sicher ist, dass er nicht daran zerbricht, wenn die Welt, von seinem Standpunkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will, dass er all dem gegenüber ,dennoch!‘ zu sagen vermag, nur der hat den ,Beruf‘ zur Politik.“ Bei Albert Camus heißt das: „Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen.“
Kann Politik die Erlösung bringen?
Philosophen haben leicht reden, aber tatsächlich ist es doch so, dass niemand voller Freude Tag um Tag einen Felsbrocken mühsam auf den Berg schiebt, wenn er weiß, dass dieser gleich schon wieder herunterrollt. Und so ist es eigentlich nur allzu menschlich, irgendwann darüber nachzudenken, wie man erreichen könnte, dass nie wieder Felsen hin und her geschoben werden müssen. Das ist genau der Moment, in dem die Vorstellung aufkommt, Politik könnte die Erlösung bringen. Oder noch konkreter: die Rettung.
Und hier kommen die Christen ins Spiel. Angesichts solcher innerweltlichen Erlösungsphantasien müssen auch sie ent-täuschen. Sie wissen, dass es keinen politischen Advent gibt. Die Linken wollen die Welt retten, die Rechten Deutschland – die Christen wissen, dass es nur einen Retter gibt. Deswegen können sie auch in so politisch unruhigen Zeiten wie diesen ruhig bleiben. Und diese Ruhe strahlt aus.
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