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Die CDU sehnt sich nach geistig-politischer Führung

Helge Braun, Norbert Röttgen und Friedrich Merz stellten sich Mitgliederfragen. Dabei zeigte sich: Bei der Vorsitzendenwahl geht es nicht nur um eine Personalie.
Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Helge Braun stellen sich in einer Townhall-Veranstaltung
Foto: Michael Kappeler (dpa) | Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Helge Braun stellen sich in einer Townhall-Veranstaltung im Konrad-Adenauer-Haus den Fragen der Parteimitglieder.

„Geistig-politische Führung“ –  schon ziemlich zu Beginn zündet Norbert Röttgen eine Begriffsbombe. 25 CDU-Mitglieder sitzen im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin und sollen stellvertretend für ihre rund 400 000 Parteifreunde Fragen an die drei Männer stellen, von denen jeder neuer Vorsitzender der Union werden will. Das Ganze wird via Internet und im Fernsehen übertragen. Das unterstreicht: Die CDU will ihre Führungsfrage nicht im stillen Kämmerlein diskutieren, die Öffentlichkeit soll mit dabei sein, wenn die größte Oppositionspartei sich inhaltlich neu aufstellt.

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Ein solcher Anspruch ist hoch, die Frage ist nur, ob die Partei, die von ihrer historischen Wahlniederlage immer noch gebeutelt ist, das auch leisten kann. Die Parteiseele leidet, wären da Therapiesitzungen im Hinterzimmer nicht vielleicht hilfreicher? Im ersten Teil ist der Blick denn auch sehr nach innen gerichtet. Da geht es dann darum, wie Mitglieder künftig besser in die Parteiarbeit eingebunden werden können. Das mag Funktionäre umtreiben, die breite Öffentlichkeit elektrisiert so etwas nicht. Doch dann fällt Norbert Röttgens Wort von der „geistig-politischen Führung“.

Ein Begriff, der sofort historische Assoziationen aufwirft. Man denkt gleich an Helmut Kohls Versprechen von der „geistig-moralischen Wende“. Ob das tatsächlich jemals eingelöst worden ist, müssen Historiker klären. Fest steht aber: Kohl, der noch immer einen Platz im Partei-Olymp der Union hat, reklamierte damals für die deutsche Christdemokratie politische Führung. Und das war mit dem Willen verbunden, die Gesellschaft nach den eigenen Prinzipien zu gestalten. Genau das fehlt heute nach 16 Jahren Angela Merkel, deren Name in der ganzen Debatte nicht einmal fällt. Im Grunde klingt dies bei allen Kandidaten durch, nur Röttgen ist der Einzige, der die Probleme auch deutlich ausspricht.

Die Familie

Er benennt Versäumnisse der Vergangenheit und mahnt an, dass die einzelnen Flügel wieder stärker durch einzelne Personen repräsentiert werden müssten. Gleichzeitig geht er in die Offensive. Er will mehr Diskussion in die Partei tragen. Und auch zum „C“ legt er ein persönliches Bekenntnis ab. Dies sei das Alleinstellungsmerkmal der Union, das sie von allen anderen Parteien unterscheide. Sie müsse mehr daraus machen. Als er in die CDU eingetreten sei, habe er nicht vorher das Parteiprogramm gelesen. Ihn habe das „C“ fasziniert. Er sei in einer christlichen Familie aufgewachsen. Für ihn sei entscheidend gewesen, dass die Partei für die Werte stehe, nach denen auch seine Eltern gelebt haben. Überhaupt Familie: Am Ende sollen alle Kandidaten ein Foto präsentieren, das für ihren Politik-Ansatz steht.

Friedrich Merz zeigt ein Bild von sich und seinem Team: langweilig. Helge Braun präsentiert eine Aufnahme von jubelnden Anhängern beim Wahlsieg 2013: nicht originell. Norbert Röttgen aber lässt ein Bild von sich und seiner Familie an die Wand werfen: Der 18. Geburtstag seiner Tochter, im Hintergrund sieht man das Familienfest. Die Familie sei sein Rückzugsort, seine Basis und wo er lerne, das Politik nicht alles sei. Wenn er wissen wolle, warum er das alles mache, schaue er in die Augen seiner Tochter. Hier drückt Röttgen auf die Tränendrüse. Aber er weiß, dass er nur gewinnen kann, wenn er auch die Parteiseele anspricht.

Kanzler in Wartestand

Im Vergleich dazu bleibt Friedrich Merz erstaunlich blass. Er gibt sich staatsmännisch, nicht forsch. Nach der Bedeutung des „C“ für ihn gefragt, bekennt er: Es lehre ihn Demut, in der Politik würden nur die vorletzten Dinge geklärt. Merz macht genau das nicht, was viele seiner Anhänger von ihm erwarten: Er spitzt nicht zu, er polarisiert nicht. Hier präsentiert sich eher ein Kanzler im Wartestand. Offenbar denkt er: Von Olaf Scholz zu lernen, heißt siegen zu lernen. Die Umfragewerte sehen im Moment für ihn gut aus. Warum also Risiken eingehen? Norbert Röttgen muss kämpfen, dass er es wenigstens in den zweiten Wahlgang schafft. Diesem Ziel ist er nun ein Stück näher gekommen.  

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