Ein Vierteljahrhundert lang bespielt Wladimir Putin nun die weltpolitische Bühne, seit Boris Jelzin im Spätherbst seiner körperlichen und geistigen Kräfte ihm am letzten Tag des Jahres 1999 handstreichartig die Präsidentschaft der Russischen Föderation überließ. Es war ein Tausch „Macht gegen Straffreiheit“, nicht mehr. Die Präsidentschaftswahlen vom 6. März 2000, die Putin dann mit 52,9 Prozent gewann, waren zumindest noch eine scheindemokratische Legitimation der längst vollzogenen Machtergreifung.
Alle russischen Wahlen seither, ja selbst der verfassungsmäßig vollzogene Ämtertausch zwischen Präsident Putin und seinem Lakaien, Ministerpräsident Dmitri Medwedew, von 2008 bis 2012 waren nur eine Farce: Wladimir Putin hat das zarte Pflänzchen Demokratie, das ab 1991 fragil und verletzlich durch die zerbrochene Betonplatte des Sowjet-Kommunismus wuchs, entschlossen und mit der Wurzel ausgerissen. Von Pluralismus, Meinungsfreiheit oder Rechtsstaatlichkeit kann gar keine Rede mehr sein. Putin hat seinen Staat im Griff. Politische Konkurrenten wie Boris Nemzow oder Alexej Nawalny wurden ebenso kaltblütig ermordet wie Regimekritiker; Organisationen, die Demokratie ersehnten oder die Verbrechen der dunklen Sowjetvergangenheit aufzuarbeiten trachten, wurden verboten und verfolgt.
Mächtig durch Lüge und Gewalt
Der KGB-Mann Wladimir Putin arbeitet im Land mit jenen Methoden, die den gefürchtetsten Geheimdienst der Welt auszeichneten: Lüge, Desinformation, Erpressung („Kompromat“) und Gewalt. Wer sich in Russland dem „System Putin“ unterwirft, kann sensationell reich und juristisch unantastbar werden, wie gewisse Oligarchen und Patriarch Kyrill; wer Widerworte gegen den Präsidenten wagt, muss um seinen Besitz, seine Freiheit, seine Gesundheit und sein Leben fürchten. Ein Wladimir Putin verliert keine Wahlen und nicht einmal die Kontrolle über die Deutungshoheit. Im eigenen Land kann er sogar eine augenscheinliche Niederlage wie den Sturz seines syrischen Mündels Bashar al-Assad noch als Sieg verkaufen.
Auch außenpolitisch setzt Putin auf Lüge (Desinformation) und Gewalt (Kriege): Vom zweiten Tschetschenien-Krieg, der 1999 sein Wahlkampf-Schlager war, über den Georgien-Krieg 2008, das Eingreifen in Syrien 2015 und die Teilinvasion in der Ost- und Südukraine 2014 bis zum vollumfänglichen Krieg gegen die Ukraine seit 2022 reicht das Panorama direkter militärischer Aktionen. Dazu kommt das militärische Agieren in Afrika, teils unter falscher Flagge, teils direkt mittels Moskaus Afrika-Korps. Putins hybride Kriege, Cyberattacken und Propaganda-Aktionen zielen darauf, den Westen zu schwächen und zu spalten.
Die Angst der anderen sichert seine Macht
Die destruktive Kraft des „Systems Putin“ ist immer noch gewaltig, aber sein Russland steht – ähnlich wie die Sowjetunion, der er nachtrauert – auf tönernen Füßen. Ohne die Gas- und Ölreserven, die Veto-Macht im UN-Sicherheitsrat und die Atomwaffen wäre Russland heute ein bemitleidenswertes Land im demografischen und wirtschaftlichen Niedergang. Im Land, aber auch auf der weltpolitischen Bühne ist die Angst vor der Unberechenbarkeit des einstigen Leningrader Hinterhofschlägers groß: Die Generäle, die seine militärstrategische Unfähigkeit natürlich längst durchschaut haben, und die Oligarchen, die wegen seiner Kriegspolitik nicht an ihre Jachten und Immobilien im Westen herankommen, fürchten noch immer, in sibirischen Straflagern zu landen.
Im Westen fürchtet man, dass ein in die Ecke gedrängter Eroberer zur Atomwaffe greifen könnte, um möglichst viele in den Abgrund des eigenen Untergangs hineinzuziehen. Keine Angst vor Putin hat jedoch der mittlerweile größere Bruder in Peking: Xi Jinping nutzt die Schwäche, in die Putin Russland manövriert hat und dessen antiwestliche Attitüde für seine eher lautlose Eroberung der Welt. Putin wird in die Geschichte seines Landes als skrupelloser Gewaltherrscher eingehen, dessen Verblendung das einst stolze Russland moralisch wie ökonomisch ruiniert und in die totale Abhängigkeit von China geführt hat.
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