Biopolitisch herrscht hierzulande derzeit Windstille. Die bioethischen Wellen werden momentan andernorts geschlagen. Etwa in Frankreich, wo über die Aufnahme eines "Rechts auf Abtreibung" in der Verfassung abgestimmt wird oder in den USA, wo die Demokraten mit der gesetzlichen Regelung der vorgeburtlichen Kindstötung im Wahlkampf um die Präsidentschaft punkten wollen.
Doch die Flaute trügt. Mag der Ampelregierung bislang kaum etwas gelingen, ihr ambitioniertes Projekt eines gesellschaftspolitischen Umbaus droht auch biopolitisch keinen Stein auf dem anderen mehr zu lassen. Dabei bekommen die Ampelkoalitionäre bisweilen auch ungeahnte Hilfe. Jüngstes Beispiel: die Organspende. Ende vergangenen Jahres forderte der Bundesrat die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen, der die sogenannte Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz einführt. Ihr zufolge würde im Fall eines diagnostizierten Hirntods jeder als potentieller Organ"spender" gelten, der einer Organentnahme nicht rechtzeitig widersprochen hat.
Verpflichtende Bannmeilen um Abtreibungskliniken?
Wann sich die Bundesregierung mit der auf Initiative von acht Ländern gefassten Entschließung (Bundesratsdrucksache 582/23) befasst, ist zwar noch offen. Klar ist jedoch längst, dass die Länder damit bei Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine offene Tür einrennen. In der vergangenen Legislaturperiode waren Lauterbach und sein Vorgänger im Amt, Jens Spahn (CDU), mit einem entsprechenden Gesetzesvorstoß, der nun nur recycelt werden muss, noch gescheitert.
Post hat auch der Bundesrat bekommen. Vergangenen Freitag wurde ihm der Entwurf der Bundesregierung "eines Zweiten Gesetzes zu Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes" zur Stellungnahme zugeleitet. Der will die Länder verpflichten, Bannmeilen um Abtreibungskliniken und Schwangerschaftskonfliktberatungsstellungen zu errichten. Gewissermaßen keimfreie Zonen mit einem Radius von 100 Metern, auf dass weder Schwangere noch Personal, mit Lebensrechtlern in Kontakt kommen, die dort meist still beten oder friedlich für das Recht auf Leben demonstrieren, das die Verfassung laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch den Ungeborenen garantiert.
Ob die Länder dem zustimmen werden, muss abgewartet werden. Einerseits halten zwar zahlreiche Experten den Gesetzesentwurf wegen der massiven Einschränkungen von Grundrechten wie der Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit für verfassungsrechtlich bedenklich oder gar für verfassungswidrig. Andererseits dürften die Ordnungsstrafen von bis zu 5.000 Euro, die die Kommunen im Falle eines Zuwiderhandelns dann pro Person verhängen dürften, für die verfassungsrechtlich nicht Sattelfesten eine beinah magische Anziehungskraft besitzen.
Klientelpolitik für die Wähler der Ampelparteien
Wann der Bundesrat sich zu dem Gesetzesentwurf äußern wird, steht noch allenfalls in den Sternen. Klar aber ist: Sollte die Länderkammer den Gesetzesentwurf durchwinken, tritt das übliche Gesetzgebungsverfahren des Bundestags in Kraft: Erste Lesung, Öffentliche Anhörung der Sachverständigen, Zweite und Dritte Lesung. Ende Gelände. So oder so dürfte das Ergebnis bis zur Sommerpause vorliegen.
Damit nicht genug: Im April wollen die beiden Arbeitsgruppen der von der Regierung im vergangenen Jahr berufenen Kommission "reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" ihre Berichte vorlegen. Dabei geht es um nicht weniger als die von nicht wenigen erhoffte Aufhebung des Verbots der Eizellspende und der Leihmutterschaft sowie um die noch brisantere Streichung des prinzipiellen Verbots von Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch.
Gemeinsam ist all diesen Projekten, dass mit ihnen Wählerklientel der Ampelparteien zufriedengestellt werden sollen: Transplantations- und Reproduktionsmediziner, homosexuelle Paare, die ohne Leihmütter, nicht zu Kindern kommen können, Abtreibungsärzte und Pro Familia-Mitarbeiter. Billiger war der Ausverkauf von Grund- und Menschenrechten in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht zu haben.
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