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Andrij Waskowycz: „Für einen freien Himmel“

Der ehemalige Präsident der Caritas in der Ukraine, Andrij Waskowycz, berichtet im Interview über die Not, unter der sein Land leidet. 
Zwei junge ukrainische Frauen betreten den Grenzübergang zu Polen
Foto: Visar Kryeziu (AP) | Vor allem die vielen Menschen auf der Flucht benötigen Hilfe: Zwei junge ukrainische Frauen betreten den Grenzübergang zu Polen bei der Stadt Medyka. Foto: dpa

Herr Waskowycz, Sie befinden sich im Moment im Ausland, um Hilfslieferungen aus der ukrainischen Diaspora für Ihr Heimatland zu organisieren, sind aber im ständigen Austausch mit Ihren Landsleuten vor Ort. Wie sieht das Leben der Menschen gut eine Woche nach Beginn des Krieges aus?

Die Stimmung ist sehr bedrückt. Es gibt eine große Bereitschaft des ukrainischen Volkes, für seine Freiheit zu kämpfen. Aber die brutale Gewalt dieses Krieges hat seine Wirkung. Große Sorge herrscht vor allem um Kyjiw (Kiew), die Hauptstadt wird immer mehr von russischen Truppen umzingelt. Ich habe am Montag mit einem Freund dort telefoniert. Er sagte, dass er zum ersten Mal die Sorge habe, dass er diesen Krieg nicht überleben könne.

Wenn er ihn aber überlebe, dann wolle er einen offenen Brief an die Völker des Westens und ihre politische Führungen schreiben. Und die Frage an sie richten: Warum habt ihr uns nicht stärker geholfen?  Der Westen hat immer noch nicht verstanden, dass Putin eine „Endlösung“ der ukrainischen Frage anstrebt. Es geht um einen Genozid am ukrainischen Volk. Wenn jetzt seitens Russlands gesagt wird, die Ukraine solle „entnazifiziert“ werden, dann heißt das, jeder der sich zu seiner ukrainischen Identität bekennt soll, als „Nazi“ verunglimpft  und beseitigt werden.

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Hier in Deutschland gehen Tausende auf die Straße, um für den Frieden zu demonstrieren. Nehmen Sie das wahr und vor allem: Hilft Ihnen das?

In der Ukraine gibt es eine sehr positive Haltung gegenüber den Menschen in Deutschland, die jetzt ihre Solidarität mit uns zeigen. Und auch schon vor dem Ausbruch des Krieges wurde immer wieder betont: Es gibt einen Unterschied zwischen der Bevölkerung und der Regierung. Wir nehmen wahr, wie groß die Unterstützung der Menschen für uns ist und sind dafür dankbar. Wir benötigen jetzt aber natürlich vor allem politische und militärische Hilfe.

Wenn Sie sich jetzt direkt an den deutschen Bundeskanzler wenden könnten, was würden Sie von ihm fordern?

Am wichtigsten ist jetzt, dass wir wieder einen freien Himmel über der Ukraine bekommen. Kyjiw und viele größere Städte leiden ungemein unter den russischen Bombardements. Wir brauchen Raketensysteme, um diese Angriffe abwehren zu können. Wissen Sie, ich bin kein Militär und auch kein Politiker. Mein Fachgebiet sind humanitäre Fragen. Ich bin Katholik und es fällt mir als Christ wirklich nicht leicht, das zu sagen: Ich kann verstehen, wenn Menschen ablehnen, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Aber wenn Frauen, Kinder und Alte getötet werden, dann müssen wir die Waffe in die Hand nehmen und diese unschuldigen Menschen verteidigen.

Es ist sehr erfreulich,
wie hilfsbereit diese Flüchtlinge zum Beispiel
in Polen aufgenommen werden.

Viele Deutsche überlegen, wie Sie den Menschen in der Ukraine helfen können. Wo gibt es aus Ihrer Sicht bei Ihren Landsleuten am meisten Bedarf?

Es geht vor allem um drei Dinge: 1. Solidarität können die Deutschen jetzt am besten durch humanitäre Hilfe zeigen. Sie können die vielen Hilfsorganisationen wie etwa auch den Deutschen Caritasverband unterstützen, die in der Ukraine aktiv sind. 2. Wir erleben im Moment eine riesige Flüchtlingswelle. Mehr als eine halbe Million Menschen haben bereits das Land verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie fliehen vor allem vor den russischen Bombenangriffen. Es sind vor allem Frauen, Kinder und Alte. Denn Männer zwischen 18 und 60 Jahren können das Land nicht verlassen, da sie wehrfähig sind. Es ist sehr erfreulich, wie hilfsbereit diese Flüchtlinge zum Beispiel in Polen aufgenommen werden. Mein Appell an die Deutschen: Heißen auch Sie ukrainische Flüchtlinge in Ihrem Land willkommen, nehmen Sie sie bei sich auf, helfen Sie Ihnen.

Und 3. schließlich: Fordern Sie Ihre Regierung auf, die Ukraine politisch und militärisch zu unterstützen, damit es in meinem Land keinen Genozid gibt. Deutschland muss sich immer vor Augen halten: Putin wird nicht in der Ukraine haltmachen. Welche Länder sind als nächstes dran? Lettland, Estland, Litauen, Polen?

Wie sieht die Versorgungslage aus?

Vor allem in den großen Städten werden die Regale der Supermärkte leer. Die Russen wollen versuchen, uns auszuhungern. Ich bin im Moment im Ausland in der ukrainischen Diaspora unterwegs, um Lebensmitteltransporte etwa über die polnische Grenze, zu organisieren. In einigen Tagen werde ich mich deswegen auch in Berlin aufhalten.

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