Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat erneut eine Aufarbeitung der Corona-Pandemie auf der Ebene des Bundes angemahnt. „Ich halte es für – offen gesagt – unabdingbar, dass Transparenz hergestellt wird, damit wir möglichst viele Menschen zurückgewinnen, die in der Zeit der Pandemie an der Demokratie, an den Institutionen gezweifelt haben“, sagte das Staatsoberhaupt bei einer Diskussionsveranstaltung Ende vergangener Woche im Schloss Bellevue. Zu den aufzuarbeitenden Fragen gehöre etwa, welche Maßnahmen sinnvoll und welche Grundrechtseinschränkungen unvermeidbar waren. Deren Klärung sei eine „riesige Chance für die Demokratie“. Er vertraue darauf, dass dies der neue Bundestag und die neue Bundesregierung auch so sehen werden, so Steinmeier.
Eine Einschätzung, mit der das Staatsoberhaupt keineswegs allein ist. Zu schwer wiegt das in der Rückschau geradezu epidemisch anmutende Staatsversagen, welches gleich zwei Bundesregierungen und 16 Landesregierungen während der Pandemie an den Tag legten. Nicht immer, und schon gar nicht jedes Mal in gleichem Ausmaß, aber eben doch auf signifikante Weise. Zu gravierend waren die Eingriffe in die Grundrechte der Bürger, zu eklatant das offensichtliche Versagen von Behörden und Ämtern, zu intransparent und hemdsärmelig die Kommunikation, zu tief die Wunden, die das anfangs kluge und verhältnismäßige, bald jedoch aus dem Ruder gelaufene und hernach völlig überzogene Corona-Management Millionen Menschen geschlagen hat, als dass dies anders könnte.
95 Prozent für die Laborthese
„Schwamm drüber“ ist daher keine Option. Zumal sich nun Fragen stellen, die so bisher niemand auf dem Radar hatte. Vergangene Woche überraschten die „Süddeutsche Zeitung“ und die Wochenzeitung „Die Zeit“ mit einem gleichlautenden Bericht. Ihm zufolge ergaben gemeinsame Recherchen, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) aufgrund eigener Erkenntnisse die sogenannte „Laborthese“ bereits im Jahr 2020 für sehr viel wahrscheinlicher hielt, als die sogenannte „Zoonose-These“, wonach das Virus von Wildtieren über einen Zwischenwirt auf den Menschen übergesprungen sei.
Nicht irgendwie wahrscheinlicher, sondern mit einer Wahrscheinlichkeit, die BND-Chef Bruno Kahl bei seiner Unterrichtung des Bundeskanzleramtes den Zeitungen zufolge mit sage und schreibe 80 bis 95 Prozent angegeben haben soll. Selbstverständlich erwartet niemand, dass die Bundesregierung Erkenntnisse ihres Auslandsgeheimdienstes öffentlich macht. Geheimdienste heißen Geheimdienste, weil sie a) im Geheimen operieren und ihre Erkenntnisse b) eben nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Das Problem ist also nicht, dass das Bundeskanzleramt den Bericht des BND als streng geheim einstufte und unter Verschluss hielt. Ein solcher Umgang mit nachrichtendienstlichen Erkenntnissen ist bereits zum Schutz der Quellen üblich und auch sonst aus guten Gründen angeraten.
Unter Verdacht: Gain-of-Function-Forschung
Auch war der BND nicht der einzige Geheimdienst, der Zweifel an der Zoonose-These hegte. Im Mai 2021 wies US-Präsident Joe Biden die US-Geheimdienste an, ihre laufenden Bemühungen, den Ursprung der COVID-19-Pandemie zu ermitteln, zu verstärken und binnen 90 Tagen einen Bericht vorzulegen. Wie der Präsident dabei offenbarte, hielten Teile der US-Geheimdienste das Szenario eines Laborunfalls schon länger für möglich. Schon Bidens Amtsvorgänger Donald Trump hatte wiederholt vom „China-Virus“ gesprochen und erklärt, es gebe Hinweise dafür, dass das Virus aus einem Labor in Wuhan stamme.
Mitte Mai 2021 hatten zudem 18 Wissenschaftler im renommierten Wissenschaftsmagazin „Science“ unter der Überschrift „Untersucht die Ursprünge von COVID-19“ einen Brief veröffentlicht, in dem sie die Theorien „der versehentlichen Freisetzung aus einem Labor“ und die der Übertragung einer vom Tier auf den Menschen übergehenden Krankheit als jeweils „tragfähig“ bezeichneten. Zu den Unterzeichnern des Briefes gehörten unter anderem sowohl der Epidemiologe Marc Lipsitch von der Harvard-University in Boston als auch Ralph Baric von der University of North Carolina in Chapel Hill. Das Besondere dabei: Während Lipsitch als ausgewiesener Kritiker der sogenannten „gain-of-function“-Forschung gilt, beteiligt sich Baric an ihr und gilt als einer ihrer prominentesten Vertreter.
Bei der „gain-of-function“-Forschung, kurz auch GOF genannt, verleihen Forscher Viren im Labor neue Fähigkeiten, vornehmlich solche, die sie in der Natur gar nicht besitzen. Gerechtfertigt werden solche Experimente für gewöhnlich mit der Behauptung, eine gezielte Veränderung von Viren böte die Chance, deren Gefahrenpotentiale zu erkennen, noch bevor sie in der Natur mutierten und zu einer Bedrohung für die Menschheit würden. Dass in Wuhan GOF betrieben wurde, ist längst kein Geheimnis mehr. Anfang Dezember 2024 veröffentlichte ein Untersuchungsausschuss des US-Repräsentantenhauses einen 520-seitigen Bericht. Ihm zufolge wurden am Wuhan Institute of Virology (WIV) GOF mit SARS-CoV-2 durchgeführt, die über die in New York ansässige US-amerikanische Firma „EcoHealth-Alliance“ mit amerikanischen Steuergeldern finanziert wurde. Das Projekt sah vor, in die SARS-CoV-2-Viren eine sogenannte Furin-Schnittstelle einzubauen, die die Übertragung des Virus auf den Menschen erleichtert. Und genau diese Schnittstelle wurde auch in dem SARS-CoV-2-Virus gefunden.
Wer die Laborthese vertrat, wurde als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt
Im Vollsinne bewiesen ist die Laborthese damit zwar nicht. Wer sie jedoch mit dem Wissen von heute weiterhin ins Reich der Legenden verstauen will, macht nur eines: sich selbst lächerlich. Gar nicht lächerlich, sondern ziemlich ernst zu nehmen, sind hingegen Fragen wie die folgenden: Wie kann es sein, dass das Bundeskanzleramt bereits 2020 darüber informiert war, dass der BND die Laborthese für hochwahrscheinlich hielt, aber tatenlos zusah, wie Wissenschaftler und Journalisten, die diese in Erwägung zogen, jahrelang öffentlich an den Pranger gestellt, als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt, zensiert und in sozialen Medien gecancelt wurden?
Was hätte es die Bundesregierung gekostet, zu verkünden, man gehe davon aus, dass das Virus natürlichen Ursprung sei, sei aber bereit, zu gegebener Zeit auch alle denkbaren Erklärungen gewissenhaft zu prüfen? Vorerst müsse es aber darum gehen, der Pandemie Einhalt zu gebieten. Die Antwort lautet: Gar nichts. Und weil das so ist, wirft die diesbezügliche Untätigkeit der Bundesregierung eine ganze Reihe unappetitliche Fragen auf. War es der Bundesregierung egal, dass berufliche Existenzen von Wissenschaftlern und Journalisten gefährdet oder gar vernichtet wurden, weil auch sie für möglich erachteten, was ihr eigener Auslandgeheimdienst für hochwahrscheinlich hielt? Oder war es womöglich in ihrem Sinne? Wenn ja, warum? Wurde sie vielleicht gar selbst aktiv? Und welche Rolle spielte bei all dem der Charité-Virologe Christian Drosten?
Fragen über Fragen
War es Zufall, dass Drosten im März 2020 in der Fachzeitschrift „The Lancet“ „Verschwörungstheorien, die suggerieren, dass COVID-19 keinen natürlichen Ursprung hat, aufs Schärfste“ verurteilte? Gemeinsam mit Peter Daszak, bis Anfang des Jahres Präsident eben jener „EcoHealth-Alliance“, die das US-Gesundheitsministerium im Mai 2024 nach Abschluss einer achtmonatigen Untersuchung für die Dauer von fünf Jahren von jeglicher Förderung ausschloss, nachdem der Vorsitzende des Untersuchungsausschuss Brad Wenstrup nachwies, dass „EcoHealth“ wiederholt gegen die Auflagen des Regierungszuschusses verstieß, Aufsichtsanfragen „routinemäßig“ ignorierte und es versäumte, „gefährliche Gain-of-function-Experimente zu melden, die am Wuhan Institute of Virology durchgeführt wurden“.
Wenn es kein Zufall war, dass Drosten gemeinsam mit Daszak und anderen jenen „unsäglichen ,Lancet-Artikel‘“ (vgl.: The Lancet, Volume 395, Issue 10226, e42-e43), publizierte, mit dem nach Ansicht des Virologen Alexander Kekulé „kritische Wissenschaftler von vorneherein als Verschwörer gebrandmarkt wurden“, handelte er dann in eigenem Auftrag oder in fremdem? Fragen über Fragen, die eine unabhängige und ergebnisoffene Untersuchung verdienen. Jedenfalls dann, wenn Wunden heilen, erlittenes Unrecht wiedergutgemacht und die Spaltung der Gesellschaft nicht weiter vorangetrieben werden soll.
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