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Denkmal-Krieg zwischen Russland und Litauen: Schwert oder Kreuz?

Ein Denkmal-Krieg zwischen Russland und Litauen entlang der Memel sorgt für erhitzte Gemüter.
Denkmal von Petras Šadauskas
| Was tun mit dem Denkmal von Petras Šadauskas?

Das Memelland ist im Allgemeinen eine eher friedliebende Region. Das litauische Volkslied „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ fand hier als verdecktes Friedenslied Eingang ins deutsche Volksliedgut. Möglicherweise ließ sich der Komponist Max Colpet (1905-1998), der aus Königsberg stammte und 1933 in die USA emigrierte, von diesem memelländischen Volkslied inspirieren, als er den Text von Pete Seegers Friedenslied „Where have all the flowers gone“ schrieb. Seit Russlands Überfall auf die Ukraine am 24. Februar, sind auch an dem Fluss Memel, der im einstigen Ostpreußen viele Kilometer die Grenze zwischen Litauen und Russland bildet, auch düstere Wolken aufgezogen. Der nördliche Teil des ehemaligen Ostpreußens mit seiner Hauptstadt Königsberg/Kaliningrad, gehört nämlich seit 1946 als exterritoriales Gebiet zu dem heutigen Invasor Russland, obwohl es durch zwei Länder vom Mutterland Russland getrennt ist. Seitdem das EU-Mitglied Litauen auch auf dem Korridor nach Kaliningrad durch Litauen die EU-Sanktionen gegen Russland durchsetzt, droht Russland fast jeden Tag mit Vergeltung.

Demontage des Denkmals des Sieges

Auf diesem Hintergrund wurde in Klaipeda/Memel Anfang Juli, kurz vor dem litauischen Nationalfeiertag, mit der Demontage des Denkmals des „Sieges und zur Verherrlichung der sowjetischen Armee“ begonnen. Lediglich die Namen der gefallenen sowjetischen Soldaten sollen vom Denkmal übrigbleiben. Das Denkmal des litauischen Architekten Petras Šadauskas mit einem von der Höhe herabhängenden Schwert, wurde 1975 am Rande des ehemaligen deutschen Friedhofs des alten Memel am Begräbnisort von hunderten beim Kampf um Memel gefallenen sowjetischen Soldaten errichtet. Im Jahre 1980 war es mit einer kompositorischen Gruppe überdimensionierter Sowjetsoldaten des sowjetlitauischen Bildhauers Rimantas Daugintis ergänzt worden. Eine spezielle Expertengruppe hatte der Stadtverwaltung vor wenigen Wochen vorgeschlagen, das Schwert in der Mitte des Denkmals sowie die Gruppe der Bronzesoldaten und den fünfzackigen roten Stern mit der so genannten Ewigen Flamme zu entfernen.

Mit den Abriss-Arbeiten war dasselbe Unternehmen betraut worden, das auch die Umgestaltung des Skulpturenparks in der Nähe des Denkmals durchführt. Der Skulpturenpark war an der Stelle des ehemaligen deutschen Friedhofs der Stadt, der nach 1945 eingeebnet worden war, errichtet worden. In den 1980er Jahren fand noch in sowjetischer Zeit dort ein internationaler Skulpturenwettbewerb statt. Das sowjetische Denkmal wird jedoch nicht zerstört, sondern in den Grūtas Park in Druskininkai, ebenfalls am Fluss Memel gelegen, überführt, wo schon andere ehemalige Denkmäler aus der litauischen Sowjetzeit eine neue Bleibe gefunden haben. Die Menschen, die es wünschen, können das Denkmal dann dort besichtigen. Für die Neugestaltung des Platzes des sowjetischen Ehrenmals, der in den Skulpturenpark überführt werden soll, wird ein Architektur- Wettbewerb durchgeführt werden, sagte der stellvertretenden Stadtverbandsdirektor Audrius Dobranskis.

Sensibles Thema

Auf die Frage, warum die Entfernung der sowjetischen Symbole der Gedenkstätte nicht im Voraus bekannt gegeben wurde, machte der Direktor der Stadtverwaltung keinen Hehl daraus, dass es sich um ein sensibles Thema handele und die Stadt befürchtete, dass die Arbeiten verschiedene Reaktionen hervorrufen könnten. Nicht jeder Einwohner des einstigen Memel unterstützt die Entscheidung der Stadtverwaltung, immerhin sind etwa 20 Prozent der Bevölkerung der Dangestadt heute ethnische Russen. Die russischsprachige Gemeinde der Stadt versammelte sich jedes Jahr am 9. Mai in großer Zahl an der Gedenkstätte, um dem in Russland gefeierten Tag des Sieges zu gedenken, zuletzt kaum noch um der Gefallenen zu gedenken. Dabei waren in der Vergangenheit, als noch die Opfer des 2. Weltkrieges und nicht die Verherrlichung der Waffen im Mittelpunkt der Gedenkfeier stand, viele Kriegsveteranen zu sehen, die mit Stolz sowjetische Orden trugen. Das Ehrenmal wurde jedoch mit der Zeit zu einem Ort, an dem nicht nur an gefallene Soldaten erinnert wurde, sondern auch ein wichtiger ideologischer Raum für das russische Regime und seine imperialistische Politik unter Putin.

Mit dem Denkmal in Klaipėda sollte in den 1970er und 1980er Jahren auch das Litauertum bekämpft werden, genauso wie heute das Ukrainertum von Russland mit Gewalt bekämpft wird, schrieben litauische Zeitungen. Eine Woche bevor die Stadtverordneten die Entscheidung zur Verlegung des sowjetischen Ehrenmals fällten, hatten sich unabhängig von der Stadt Stadtplaner, Architekten, Historiker und Künstler bereits mit der Angelegenheit beschäftigt. Der Architekt Mantas Daukšys, Vorsitzender des Architektenverbandes von Klaipėda sagte, dass eine Mehrzahl von Menschen mit dem jetzigen Zustand schon lange nicht mehr zufrieden waren. Einer der Diskussionsteilnehmer, der Architekt Petras Sakalauskas erinnerte daran, dass zwei sehr verschiedene litauische Künstler an der Schaffung des sowjetischen Denkmals mitgewirkt haben: der Architekt Petras Šadauskas und der Bildhauer Rimantas Daugintis, der die Skulptur der drei Soldaten gegossen hat. Rimantas Daugintis hatte sich 1990, ähnlich wie Pfarrer Oskar Brüsewitz in der DDR, während der Wirren um die Unabhängigkeit Litauens, auch aus Verzweiflung über sein Auftragswerk an der schon geöffneten ungarischen Grenze selbst angezündet und getötet. Der Abriss seiner Skulptur war ihm zuvor von den sowjetischen Behörden verweigert worden.

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Sakalauskas zufolge hat das von Petras Šadauskas geschaffene Schwert jedoch einen anderen Charakter, es war ein verdecktes symbolisch patriotisch-religiöses Werk, das gut proportioniert sowohl „dem Symbol des Kreuzes als auch dem des Schwertes Bedeutung verleiht“. Nach Angaben des Bildhauers ähnelt es dem Schwert, das kürzlich für die litauischen Partisanen in Kryžkalnis, dem Berg der Kreuze, errichtet wurde, was zeigt, dass auch litauische Künstler während der Sowjetzeit es wagten, in sowjetische Denkmäler Symbole des Partisanenkrieges gegen die Sowjets, der in Litauen noch bis 1956 gedauert hat, einzubauen.

Raum des Friedens

Der Historiker Vaivada bezeichnete die Entscheidung aus der Sowjetzeit, einen Skulpturenpark auf dem Gelände des Friedhofs zu errichten, auf dem sich alte Gräber und daneben eine Gedenkstätte für die gefallenen Soldaten befinden, in der etwa 700 Soldaten begraben sind, als großen Fehler. Nach Ansicht von Vaivada muss der Staat als Erstes das umsetzen, wozu er gesetzlich verpflichtet ist, nämlich die Totenruhe der Menschen zu respektieren. Vaivada favorisierte die Idee eines öffentlichen „Raums des Friedens“ (Friedhof kommt von Frieden). Neben den sowjetischen Gefallenen sollten in dem Friedenspark auch die litauischen Gefallenen und die deutschen zivilen Verstorbenen des alten Memel wieder eine würdige Ruhestätte finden, ohne Pathos und falsches Heldentum und Verherrlichung von Regimen und Imperien. Die alte deutsche Friedhofskapelle, die nach 1945 in die erste orthodoxe Kirche des sowjetischen Klaipėda umfunktioniert wurde, sollte wieder den drei Religionen der Stadt, neben den orthodoxen Russen auch den katholischen Litauern und den evangelischen Memelländern und Kleinlitauern als religiöser Gedenkort gehören. Auch der aus Klaipeda stammende russische Historiker V. Safronov erklärt sich mit diesem Vorschlag einverstanden, weil so auch die Totenruhe der sowjetischen Soldaten gewahrt werden könnte. Immerhin waren es die Sowjets, die 1945 die Entscheidung trafen, ihre Toten neben den deutschen und litauischen Toten zu begraben.

Keine Erinnerung mehr an den Dichter Vydūnas

Eine Woche zuvor hatten die Russen die Plakette des litauischen Dichters, Philosophen und Humanisten Vydūnas, alias Wilhelm Storost (1868-1953) in der etwa 100 Kilometer entfernten Stadt Tilsit (heute russ. Sowjetsk) zerstört. Einen Ausweichpark gab es für dieses Denkmal in der russischen Exklave Königsberg nicht. Vydūnas, der ebenfalls aus dem Memelland stammte, hatte sich zeitlebens für eine Verständigung zwischen Deutschen und Litauern und zwischen Memelländern und Kleinlitauern eingesetzt.

Der Leiter der Stadtverwaltung von Sowjetsk (Königsberger Gebiet), Evgenij Makarov, schrieb auf seinem Telegramkanal dass „die Genossen dort ein Denkmal für Denis Davydov anstelle von Vydūnas anbringen wollen“. Der russische Dichter war ein Held des Krieges gegen Napoleon von 1812. Vydūnas lebte von 1933 bis 1944 im damals noch deutschen Tilsit, das auf litauische Tilze heißt, und flüchtete bei Kriegsende nach Detmold, wo er starb. Die Beziehungen zwischen Litauen und Russland eskalierten im Juni, nachdem Vilnius beschlossen hatte, den Warentransit in die Exklave Kaliningrad zu beschränken. Die litauischen Behörden begründeten dies mit der Notwendigkeit, die Sanktionsregelung der Europäischen Union infolge des von Russland ausgelösten Ukrainekrieges einzuhalten.

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