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„Ring“: Schwarz ist einstweilig in Bayreuth gescheitert

Wollte den „Ring“ wie eine Netflix-Serie aufführen: Die „Ring“-Neuinszenierung am Grünen Hügel von Valentin Schwarz lässt das Publikum ratlos und wütend zurück.
Bühnenszene aus "Götterdämmerung" - Bayreuther Festspiele 2022
Foto: Enrico Nawrath (Festspiele Bayreuth) | Auch die Nornen in der „Götterdämmerung“ konnten den Faden für eine gelungene „Ring“-Neuinszenierung in Bayreuth nicht mehr spinnen.

Richard Wagner war bekanntermaßen ein großer Verehrer des Philosophen Arthur Schopenhauer. Kaum ein Denker prägte den Komponisten so sehr wie der große Metaphysiker des Willens und des Mitleids, dessen 1819 veröffentlichtes Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ Wagner auf Anraten seines Freundes Georg Herwegh 1854 erstmals in die Hand bekam und welches er – wie er später in seiner Autobiographie „Mein Leben“ schrieb – schließlich innerhalb kürzester Zeit insgesamt viermal durchlas.

Bis zu seinem Lebensende blieb Wagner Schopenhauers philosophischer Maxime, nämlich jener dem Buddhismus ähnlichen Annahme, dass alles Weltgeschehen und dessen Wahrnehmung maßgeblich durch den eigenen blinden, egozentrischen Willen geprägt ist und dieser entweder jener bei den christlichen und fernöstlichen Mystikern zu erlernenden Abtötung oder wenigstens der Musik als höchster Ausdrucksform der Künste bedarf, um immerhin zu zeitweiliger Ruhe zu finden, zutiefst verbunden – und in der Tat ist Schopenhauers philosophischer und musikästhetischer Einfluss in den Wagner-Opern wie „Tristan und Isolde“, den „Meistersingern von Nürnberg“ und „Parzival“, aber auch eben in dessen „Ring“-Tetralogie unübersehbar.

„Dieses Stadium der künstlerischen Narrenfreiheit inklusive der Erlaubnis,
auch einmal über den Rand der Respektlosigkeit hinaus
mit einem großen Werk inszenatorisch auseinanderzusetzen,
musste sich beispielsweise jemand wie David Lynch
im Laufe von Jahrzehnten erst einmal erarbeiten“

Aus „Verehrung und Dankbarkeit“ ließ der Mitte der 1850er-Jahre in Zürich lebende Wagner seinem philosophischen Idol gar ein Manuskript seines gesamten „Rings des Nibelungen“ nach Frankfurt am Main übermitteln – eine Antwort oder irgendeine Form der Reaktion des Hochverehrten erhielt Wagner jedoch nie, was er seinem großen Vorbild jedoch nicht übel nahm, da gemeinsame Freunde ihm versicherten, dass Schopenhauer vom „Ring“-Manuskript äußerst angetan gewesen sei. Jedoch: Nichts könnte entfernter von der Wahrheit sein – denn Schopenhauer, der musikalisch Rossini und Mozart den Vorzug gab, war trotz aller Freundlichkeiten und Schmeicheleien des um Richard Wagner in Zürich gebildeten Schopenhauer-Freundeskreises eines definitiv nicht: Wagnerianer.

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So ist sein Exemplar des „Ring“-Manuskripts, welches sich in den Archiven der Harvard-Universität befindet, voll scharfer und beißender Kritik – nicht nur bezüglich Wagners Sprache, sondern auch angesichts weiter Teile der Handlung des „Rings“. Vor allem das inzestuöse Verhältnis zwischen Siegmund und Sieglinde in der „Walküre“ missbilligte der ansonsten durchaus zu amoralischem Denken fähige Philosoph entschieden und kommentierte Wagners finale Regieanweisung zum Ende des ersten Aktes der „Walküre“ („Der Vorhang fällt schnell“) in typisch schopenhauerscher Bissigkeit: „Denn es ist hohe Zeit.“

Darsteller und Musiker erhielten den verdienten Applaus

„Denn es ist hohe Zeit“ dachte sich auch die überwältigende Mehrheit des Publikums, welches bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen an vier – wagnergemäß langen – Abenden der Neuinszenierung des „Rings des Nibelungen“ durch Valentin Schwarz beiwohnte, als nach der finalen „Götterdämmerung“ der Vorhang fiel – und lauthals buhte. Denn die Neuinszenierungen von „Rheingold“, „Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ des 33-jährigen Österreichers, die eigentlich bereits im Corona-Sommer 2020 aufgeführt werden sollten, dann allerdings pandemiebedingt erst zwei Jahre später auf dem „Grünen Hügel“ Premiere feiern durften, verloren sich trotz eines engagierten und vom Publikum gefeierten Darsteller- und Musikerensembles rund um den für den ursprünglich eingeplanten Pietari Inkinen eingesprungen Dirigenten Cornelius Meister in zahlreichen mitunter skurrilen, oftmals jedoch schlicht und ergreifend misslungenen Regieeinfällen, die nicht selten in vollkommenem Gegensatz zu Wagners Musik und Intentionen standen und dem Publikum Bild-Text-Scheren in Dauerschleife bescherten.

Wie eine Netflix-Serie wolle Schwarz den „Ring“ inszenieren, verriet der Regisseur im Vorfeld – und auch inhaltlich die Tetralogie in die Jetztzeit verlegen: So behandelt Valentin Schwarz im 2022er „Ring des Nibelungen“ Themen wie den Generationen- und Geschlechterkampf; Gewalt gegen Frauen, Kinder (inklusive Kinderhandel) und Tiere sowie soziale Ungerechtigkeit im Allgemeinen oder auch die Weitergabe familieninterner psychologischer Traumata an nachfolgende Generationen – Themen und Fragestellungen, die sich in der Tat durchaus plausibel aus Wagners „Ring“-Vorlage ableiten und ein zeitgemäßes Update des gesamten Ringstoffes bedeuten könnten. Doch so mancher Regieeinfall liest sich auf dem Papier oftmals besser als dass er sich auf der Bühne umsetzen lässt – und so wurden die aufgeworfenen Themen selten zufriedenstellend im Festspielhaus dargebracht, ganz zu schweigen von zahlreichen weiteren unnötigen Fragen, die sich aus von Schwarz ebenso unnötig hinzuerfundenen und verwirrend erzählten Geschichten und Charakteren ergaben.

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Zwischen Holzhammer und Klamauk

Und wenn sich Valentin Schwarz tatsächlich darum bemühte, sich mit den von ihm ermittelten Themen inszenatorisch auseinanderzusetzen, verfiel Schwarz entweder der gerade hierzulande beliebten Holzhammer-Methode (so verwandelt er im „Siegfried“ den Waldvogel, der Siegfried nach der Tötung Fafners über Ring und Tarnhelm in Fafners Besitz aufklärt, in eine Pflegefachkraft, die den alt gewordenen Fafner pflegt und von diesem sexuell belästigt wird) oder driftet in regelrechten Klamauk ab, wie beispielsweise in der „Götterdämmerung“ bei der Inszenierung Gunthers und Gutrunes als Protzmillionäre à la „Die Geißens“ oder die Umwandlung von Siegfrieds Pferd Grane in einen Helfer, der ohne jeglichen Grund (und ohne Bezug zur Wagnerschen Vorlage) grausam massakriert wird.

Das von Geißen-Gunther während der „Götterdämmerung“ getragene Glitzershirt mit der Aufschrift „Who the Fuck is Grane?“ dürften wohl so manche Zuschauer im Bayreuther Festspielhaus gedanklich durch den Nachnamen des Bayreuth-Regiedebütanten ersetzt haben: Am Ende wurde dem Publikum nämlich eine Persiflage statt eines Originals, gewissermaßen „Spaceballs“ anstatt „Star Wars“ beziehungsweise ein Münster-„Tatort“ anstatt Netflix serviert – letzterer allerdings wie von Helge Schneider inszeniert.

Den zahlreichen missglückten Regieeinfällen und nicht notwendigen Hinzuerfindungen innerhalb der „Ring“-Neuinszenierung gäbe es noch viele hinzuzufügen. Dennoch mag es durchaus zutreffen, dass man einem sich lange im Geschäft befindenden Regisseur wie beispielsweise Lars von Trier (der sogar 2004 für eine „Ring“-Inszenierung in Bayreuth engagiert wurde, diese jedoch absagte) oder jemandem wie „Twin Peaks“-Macher David Lynch (siehe Seite 22 in dieser Ausgabe) so manche Regieanweisung, die Valentin Schwarz bei seinem 2022er-„Ring“ um die Ohren gehauen wird, möglicherweise hätte durchgehen lassen oder sich verstärkt darum bemüht hätte, sich in die Perspektive des Künstlers hineinzuversetzen.

Künstlerische Narrenfreiheit muss man sich erarbeiten

Doch dieses Stadium der künstlerischen Narrenfreiheit inklusive der Erlaubnis, auch einmal über den Rand der Respektlosigkeit hinaus mit einem großen Werk inszenatorisch auseinanderzusetzen, musste sich beispielsweise jemand wie David Lynch im Laufe von Jahrzehnten erst einmal erarbeiten: Zwar konnte der am liebsten mit surrealen und non-lineal erzählten Filmstoffen hantierende Regisseur um sich und sein Ouevre seit seinem Debütfilm „Eraserhead“ (1977) eine große Kult-Fangemeinde scharen und 1990 beispielsweise für „Wild at Heart“ die Goldene Palme auf dem Filmfestival von Cannes in Empfang nehmen – doch erst sein Spielfilm „Mullholland Drive“ von 2001 erhielt selbst von ärgsten Lynch-Gegnern wie der US-Filmkritikerlegende Roger Ebert großen Zuspruch.

„David Lynch hat seine gesamte Karriere auf „Mullholland Drive“ hingearbeitet… und je weniger Sinn dieser Film ergibt, desto weniger können wir damit aufhören, ihn anzuschauen“, schrieb der 2013 verstorbene Maestro der US-Filmkritik beinahe liebevoll über Lynch´s Neo-Noir-Traumfilm, der von der BBC 2016 zum „besten Film des 21. Jahrhunderts“ gewählt worden ist und sicherlich mit dazu beigetragen hat, dass Lynch 2019 mit einem Ehren-Oscar – seinem ersten überhaupt – ausgezeichnet wurde.

Die Einladung nach Bayreuth erfolgte zu früh

Übertragen auf den Bayreuther „Ring“ und seinen noch jungen Regisseur muss deshalb festgestellt werden, dass die Neuinszenierung des „Rings des Nibelungen“ durch Valentin Schwarz zu früh in seiner durchaus vielversprechenden Karriere erfolgte – zugegebenermaßen bissen sich aber auch bereits ältere und etabliertere Regisseure die Zähne an Wagners Opern-Monolithen aus. Als junger Regisseur sollte Schwarz wissen: „It´s the Singer, not the Song“ – künstlerische Narrenfreiheit muss sich erst im Laufe einer längeren und beständigen Karriere erarbeitet werden.

Aber auch ein 38-jähriger David Lynch stand nach dem monumentalem Flop von „Dune“ (1984), der gleichnamigen Verfilmung von Frank Herberts gewaltigem Science-Fiction-Werk „Der Wüstenplanet“, welches von der Kritik und selbsternannten „Herbertianern“ zerrissen wurde, wieder auf und hatte die besten Regiearbeiten seiner Karriere noch vor sich – warum sollte es im Falle eines Opernregisseurs wie Valentin Schwarz anders sein?

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