Vor zwei Jahren erregte der Vorgang auch überregional Aufmerksamkeit: Im Theater Aachen wurde eine Büste des Jahrhundertdirigenten Herbert von Karajan aus dem Foyer entfernt. Grund waren neue Forschungsergebnisse des Karajan-Forschers Klaus Riehle, dass der berühmte Musiker bereits 1933 in die NSDAP eingetreten war und nicht – wie von ihm behauptet – erst 1938. In der Ausstellung „Bravo! Bravissimo!“, die sich im Aachener Centre Charlemagne der 200-jährigen Geschichte des Theaters widmet, an dem viele berühmte Künstler tätig waren, hat man der Entwicklung Rechnung getragen: Karajans Büste steht hier nicht mehr auf einem Sockel, sondern ist, in eine halbhohe Box eingepackt und verbannt, nur von oben zu sehen, was in den letzten Wochen in der Aachener Öffentlichkeit für manche Diskussionen gesorgt hat.
Kuratorin Viktoria Walmrath ist Aachenerin, hat schon als Kind Vorstellungen im Theater besucht und ist deshalb mit Herzblut an ihre Aufgabe herangegangen. Sie hat sich für eine ungewöhnliche Präsentation entschieden und lädt dazu ein, das Theater aus einer neuen Perspektive zu entdecken. „Wir zeigen bewusst keine Bühnenbilder, Theaterzettel oder Programmhefte“, erläutert sie die Konzeption, die sie zusammen mit Myriam Kroll erarbeitet hat. „Das alles verändert sich mit der Zeit. Stattdessen haben wir uns für eine immersive Inszenierung im Raum entschieden.“ Auf fünf langen Leinwänden und dargestellt von aktuellen Ensemblemitgliedern werden zehn historische Persönlichkeiten präsentiert, die für das Theater Aachen große Bedeutung hatten. Ihre Mimik dominiert den Museumsraum, aber zu hören sind ihre Berichte über ihre Erlebnisse am Theater erst, wenn man die neben den Leinwänden herunterhängenden Kopfhörer aufsetzt. Auf diese Weise wird die Geschichte des Theaters Aachen lebendig und anschaulich.
Immersive Inszenierung statt Broschüren
Die Besonderheit der Schau ist: Sie findet genau an dem Ort statt, an dem das erste feste Theater Aachens und einer der ersten kommunalen Theaterbauten Deutschlands stand. Aus einer ehemaligen Tuchhalle entstanden, befand sich das alte Komödienhaus an derselben Stelle am historischen Katschhof, an der heute das Centre Charlemagne steht. Bis zur Eröffnung des neuen Schauspielhauses (wie das Theater Aachen anfangs genannt wurde) wurde in dem Gebäude Theater gespielt. Die wiederkehrenden Bestrebungen, ein neues Theatergebäude zu errichten, mündeten nach vielen Jahren der Planung in der Umsetzung des Entwurfes von Landesbauinspektor Johann Peter Cremer. Nach einigen konzeptionellen Veränderungen der Gebäudefront durch den berühmten Berliner Oberbauinspektor Karl Friedrich Schinkel konnte am 16. November 1822 die Grundsteinlegung gefeiert werden, der am 15. Mai 1825 die Eröffnung des klassizistischen Baus folgte.
Die Festrede sollte dabei ursprünglich Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe halten, doch der sagte nach dem Brand seines geliebten Weimarer Theaters ab, und der Journalist Johann Baptist Rousseau, Herausgeber der „Rheinischen Flora“, musste für ihn einspringen. Wenige Tage später, am 25. Mai 1825, fand in Aachen ein weiteres Highlight statt: Beim erstmals ausgetragenen Niederrheinischen Musikfest kam Beethovens 9. Symphonie – erst zum dritten Mal nach Wien und London – zur Aufführung, die der Komponist selbst autorisiert hatte. Ferdinand Ries, der das Sinfonieorchester Aachen an diesem denkwürdigen Abend leitete, wurde am Ende enthusiastisch gefeiert. Und die Reihe der Superstars, die in den kommenden Jahrzehnten Gastauftritte in Aachen feierten, sollte nicht abreißen: Im Jahr 1846 war Felix Mendelssohn Bartholdy zu Besuch, 1857 Franz Liszt. „Die Musik spielte in Aachen immer schon eine große Rolle, Orchester und Chor hatten einen hohen Stellenwert“, weiß die Kuratorin. Dazu passt, dass das städtische Orchester sich schon 1852 als Berufsorchester etablieren konnte.
Stern- und Mitternachtsstunden
Das große Verdienst von „Bravo! Bravissimo!“ besteht darin, dass nicht nur die Sternstunden, sondern auch die dunklen Seiten und die Krisen des Aachener Theaters beleuchtet werden: So hatte etwa die Generalmobilmachung während des Ersten Weltkrieges zur Folge, dass das Orchester kleiner und kleiner wurde. Allerdings gelang es dem damaligen Generalmusikdirektor Fritz Busch, der selbst zwischen der Front und Aachen hin- und herpendelte, das örtliche Musikleben aufrechtzuerhalten. In der Zeit des Nationalsozialismus spitzten sich dann die Probleme genauso zu, wie auch der Ausstellungsraum sich an dieser Stelle zuspitzt: Peter Raabe, in Personalunion Generalmusikdirektor und Präsident der Reichsmusikkammer, sorgte dafür, dass der jüdische erste Kapellmeister und Chorleiter Paul Pella seinen Posten aufgeben und in die Niederlande emigrieren musste. Pella kehrte aber nach dem Krieg zurück und dirigierte in den 50er-Jahren erneut Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“, die er schon 1931 dirigiert hatte. Verwaltungsdirektor und Opernsänger Albert Hoff, der ab 1933 die NS-Interessen am Haus durchsetzen musste, zwang die beliebte jüdische Sängerin Elisabeth Klepner, das Theater zu verlassen. „Sie konnte sich allerdings verstecken, kehrte 1953 nach Aachen zurück und ist hier 1983 gestorben“, weiß Viktoria Walmrath. Weitaus schlimmer erging es dem jüdischen Bratschisten Leo Fischer, dem zweimal gekündigt wurde und der am Ende höchstwahrscheinlich deportiert und ermordet wurde.
Selbstverständlich widmet die Ausstellung sich in einem zweiten Teil auch der Baugeschichte des Theaters. Nachdem im Jahr 1893 der eiserne Vorhang und eine elektrische Beleuchtung eingebaut worden waren, kam es in den Jahren 1900 und 1901 zu weitreichenden baulichen Veränderungen an dem ursprünglich klassizistischen Bau. Architekt Heinrich Seeling ließ den Bühnenraum vergrößern, die Garderoben umbauen, den Zuschauerraum ausgestalten und vor allem die Fassade, der zwei niedrige Ecktürme, die sogenannten „Eselsohren“, aufgesetzt wurden, neu gestalten. Nachdem das Theater dann am 14. Juli 1943 durch einen Bombenangriff stark zerstört worden war – nur das Foyer und der Portikus blieben erhalten –, gab es einen Aufruf zum Wiederaufbau. Viktoria Walmrath: „Durch Unterschriftensammlungen wollte man der Kommune und dem Land klarmachen, dass die Bürgerschaft das Theater wieder aufgebaut sehen wollte.“ Die Aktion hatte Erfolg, viele Abonnements wurden gewonnen, das ursprünglich dreirangige Haus wurde mit zwei Zuschauerrängen wieder aufgebaut und am 23. Dezember 1951 mit einer „Meistersinger“-Aufführung wiedereröffnet.
Ein in Ungnade gefallener Pult-Star bekommt Konkurrenz
Manch Aachener Star bleibt trotz der Fülle des Gezeigten unerwähnt. Dazu gehören der berühmte Dirigent Wolfgang Sawallisch, der später eine Weltkarriere machte, sowie Schauspieler wie Willi Birgel, Hans Jörg Felmy, Jürgen Prochnow, Heinrich Schafmeister und Sophie von Kessel.
Und Karajan? In den letzten Wochen haben sich einzelne Fans des Salzburger Pult-Stars in Leserbriefen zu Wort gemeldet und den Umgang mit seiner Büste in der aktuellen Ausstellung heftig kritisiert. Doch Kuratorin Walmrath versichert: „Wir stehen im Team absolut weiter hinter der Entscheidung, die Büste so zu präsentieren.“ Tatsache ist: Es läge in Aachen total auf der Hand, einen anderen großen, prägenden Dirigenten und Komponisten als wahre Lichtgestalt zu verehren: den gebürtigen Aachener Leo Blech (1878–1958), dessen Orchesterwerke und Opern der amtierende Generalmusikdirektor Christopher Ward in den letzten Jahren durch bemerkenswerte Aufführungen zu neuem Leben erweckt hat. Dass „Bravo! Bravissimo!“ ihn als eine Art Gegenfigur zu Karajan in den Mittelpunkt rückt, macht nicht deren geringstes Verdienst aus.
Der Autor ist Theologe und publiziert zu kulturellen Themen.
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