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„Medien in Demokratien sind weniger vertrauenswürdig“

Tucker Carlson zieht im Interview mit der Schweizer „Weltwoche“ schonungslos über die Medien her – und darf unwidersprochen sein haarsträubendes Weltbild offenbaren.
Tucker Carlson, ehemalige "Fox News"-Moderator
Foto: IMAGO/Brian Cahn (www.imago-images.de) | Behauptet, die US-Regierung habe interveniert, als er ein Interview mit Russlands Präsident Wladimir Putin habe führen wollen: der ehemalige "Fox News"-Moderator Tucker Carlson.

Zugegeben, unterhaltsam ist es ja, was der höchst umstrittene amerikanische Fernsehmoderator und Politik-Kommentator Tucker Carlson im Gespräch mit der Schweizer Zeitung „Weltwoche“ so zum Besten gibt. Das von Roger Köppel geführte Medium, das sich selbst als seriöse Alternative zum journalistischen Mainstream betrachtet, veröffentlichte das Telefon-Interview zwischen Carlson und dem Auslandsredakteur Urs Gehringer jüngst in Form einer Audiodatei. Ungeschnitten, unzensiert, transparent.

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Carlson, 54, langjähriger „Fox News“-Moderator, liefert darin ein Zitat nach dem anderen, das man sich einwandfrei auf den in Sozialen Netzen so beliebten Bildposts vorstellten könnte: In Großaufnahme das Konterfei Carlsons, der Mund weit aufgerissen, die Hände gestikulierend, und über der perfekt sitzenden, haselnussbraunen Dauerwelle dann Sätze wie dieser: „Joe Biden hat Demenz.“ Und: „Er kann kaum sprechen, er kann kaum laufen.“ Oder auch: „Für mich ist es offensichtlich, dass Obama auf Männer steht.“

„Die Medien lügen. Punkt“

Darüber könnte man vielleicht schmunzeln, wäre einem bei Tucker Carlson nicht schon vor langer Zeit das Lachen vergangen. Im Kern nimmt der in alternativen rechten US-Milieus gefeierte Moderator in dem knapp halbstündigen, auf Englisch geführten Gespräch eine Fundamental-Kritik an der etablierten Medienlandschaft vor. „Die Medien lügen. Punkt“, so Carlson. Nicht nur in den Vereinigten Staaten. Das Problem liege am politischen System der Demokratie. „Medien in Demokratien sind weniger vertrauenswürdig“, so die steile These Carlsons. Denn der Staat bestimme, welche Informationen die Bürger erhalten. „Wenn man ihr Wahlverhalten kontrollieren will, muss man kontrollieren, was sie wissen.“ 

Ein merkwürdiges Demokratieverständnis. Aus dem Munde Carlsons, dem Kritiker seit jeher eine Zuneigung zu Schein-Demokraten, Autokraten und Diktatoren unterstellen, überraschen diese Worte kaum noch. Dagegen verwundert es doch, dass „Weltwoche“-Redakteur Gehringer sie einfach so stehen lässt. Kritische Nachfrage? Fehlanzeige. Meistens quittiert er Carlsons Antworten mit einem „mhm, mhm“, das ganz offensichtlich nach Zustimmung klingt. An anderer Stelle fungiert der Fragesteller sogar als Stichwortgeber, etwa wenn er auf Carlsons Kritik an unglaubwürdiger medialer Berichterstattung bemerkt: „Und die Leute, die für die Medien arbeiten, scheinen da mitzumachen.“ Klar, erwidert Carlson, sie hätten ja viel zu viel Angst davor, sich dagegen zu wehren. Angst, verklagt, gedemütigt oder gefeuert zu werden.

Den eigentlichen Anlass zur Kritik liefert die "Weltwoche" selbst

Und so muss man unterm Strich die Frage stellen, ob den eigentlichen Anlass zur Medienkritik nicht das Interview der „Weltwoche“ selbst liefert. Natürlich ist nichts falsch daran, Personen wie Tucker Carlson zu interviewen, die nicht in allem die gängige Mehrheitsmeinung vertreten – im Gegenteil. Es gehört sogar zur Aufgabe eines seriösen, kritischen Journalismus, auch der „anderen Seite“ Gehör zu schenken. Aber wenn deren Vertreter zu Fake News und Propaganda neigen, muss man dies offenlegen und kritische Nachfragen stellen, anstatt ihnen einfach nur Raum für gewagte Thesen zu bieten. Ansonsten geschieht das, was Carlson den Mainstream-Medien vorwirft: Die Rezipienten werden in die Irre geführt. 

Darüber hinaus bleibt der Erkenntnisgewinn aus dem Interview gering. Tucker Carlson wiederholt altbekannte und im äußersten rechten Lager beliebte Thesen, wie die vom korrupten Biden-Clan, der sich in der Ukraine bereichert habe, oder die der korrumpierten US-Justiz, die Donald Trump nur verfolge, weil er bei den Präsidentschaftswahlen gegen Joe Biden antreten wolle. Haarsträubend wird es, wenn er behauptet, dass Joe Bidens Tochter Ashley in einem Tagebuch von inzestuösen Handlungen mit ihrem Vater berichtet habe. Auf all das keine Nachfrage, kein kritischer Einwand, nichts. Vielleicht ist man beim Team der „Weltwoche“ selbst sprachlos angesichts der geballten „alternativen Fakten“, die Tucker Carlson in nicht einmal 30 Minuten auszubreiten vermag.

Hat die US-Regierung ein Interview mit Putin verhindert?

An einer Stelle behauptet Carlson, die US-Regierung habe interveniert, als er ein Interview mit Russlands Präsident Wladimir Putin habe führen wollen. Wie dies abgelaufen sein soll und welcher Regierungszweig Carlson angeblich daran hinderte – darüber hätte man gerne mehr erfahren. Aber Carlson geht nicht näher darauf ein. Und, Überraschung, er wird auch nicht danach gefragt. 

Die interessanteren Sätze fallen dann noch ganz zum Schluss: Auf die Frage, woraus er derzeit Hoffnung für die Zukunft schöpfe, antwortet Carlson, er nehme ein neues spirituelles, religiöses Bewusstsein in der amerikanischen Gesellschaft wahr. Und: „Die größte Bedrohung unserer Zufriedenheit geht von Menschen aus, die denken, sie seien Gott.“ Dem könnte man sogar zustimmen. Falls Carlson damit auf konkrete Personen anspielt, sagt er es nicht. Auch gut. So kann jeder selbst die Leerstelle füllen. 

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