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Die Welt, wie sie Kennedy gefällt

Der Demokrat Robert F. Kennedy Jr. will US-Präsident werden. Mit fragwürdigen Thesen, die das klassische Links-Rechts-Schema sprengen. Woher rührt sein Erfolg – und wie lange hält er an?
Robert F. Kennedy Jr.
Foto: IMAGO/Jemal Countess (www.imago-images.de) | Robert F. Kennedy Jr. pflegt bewusst das Image des Außenseiters, des Anti-Establishment-Kandidaten. Ein Bild, das einer eingehenderen Betrachtung jedoch nicht standhält.

Er hat noch nie ein politisches Amt bekleidet. Sein Name ist allen Amerikanern bekannt. Und er will den politischen Sumpf in Washington wieder trockenlegen: Sätze, mit denen sich 2016 die Präsidentschaftskandidatur Donald Trumps charakterisieren ließ. Heute treffen sie auf einen demokratischen Bewerber zu: Robert F. Kennedy Jr. Der Neffe des legendären Präsidenten John F. Kennedy und Sohn von Robert F. Kennedy will der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden.

Als Kennedy, gläubiger Katholik in der Tradition seiner irisch-katholischen Familiendynastie, im April seine Kandidatur bekanntgab, nahmen Medien und Öffentlichkeit davon zunächst nur am Rande Notiz. Das Partei-Establishment zählt für 2024 abermals auf Joe Biden. Doch Kennedy verzeichnet derzeit parteiübergreifend höhere Beliebtheitswerte als Biden oder Trump. Auf bis zu 20 Prozent Zuspruch kommt „RFK Jr.“ unter den Anhängern der Demokraten. Sorgt das für Nervosität im Biden-Lager? Bislang hat sich das Weiße Haus nicht dazu geäußert. Das Partei-Establishment dürfte in jedem Fall bemerkt haben, dass Kennedy derzeit einiges an Aufregung auslöst. Denn der 69-Jährige vertritt Positionen, die – freundlich formuliert – äußerst umstritten sind. Viele würden sagen: Kennedy bewegt sich auf dem gefährlichen Terrain der Verschwörungstheorien. Kostprobe gefällig?

So gilt Kennedy als Anhänger der Ideologie des sogenannten „Great Reset“: Er sieht eine mächtige Elite aus Militär, Wirtschaft und Milliardären am Werk, um in Kooperation mit „infiltrierten“ Regierungsbehörden die Bürger zu kontrollieren. Besonders eingeschossen hat sich Kennedy dabei auf die großen Pharmakonzerne: Deren Absicht sei es, die Bürger krank zu machen, um ihr Milliardengeschäft am Laufen zu halten. Zudem seien Schusswaffenattentate auf die Einnahme von Antidepressiva zurückzuführen. Seine womöglich absurdeste Theorie: Transsexualität werde hervorgerufen durch mit dem Pflanzenschutzmittel Atrazin verseuchte Trinkwasserquellen.

Kennedys Markenzeichen: eine äußerst kritische Haltung gegenüber Vakzinen

Kennedys Markenzeichen ist jedoch eine äußerst kritische Haltung gegenüber Vakzinen. Anfang der 2000er Jahre gelangte er zu der Überzeugung, Autismus sei auf Quecksilber in Impfstoffen zurückzuführen. Ein Wendepunkt in der Biografie des damals 50-Jährigen. Bekannt und angesehen war der studierte Jurist und Harvard-Absolvent als Umweltaktivist, der unter anderem das Ökosystem des New Yorker Hudson Rivers vor dem Kollaps durch Verschmutzung und Misswirtschaft gerettet hatte. Nun verlor er sich immer mehr im verschwörungstheoretischen Sumpf.

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Die Corona-Pandemie verhalf Kennedy schließlich zu zusätzlicher Popularität. Er avancierte zu einem der bekanntesten Gesichter der Impfgegner, wetterte gegen die Covid-Schutzmaßnahmen und trat auf zahlreichen Demos auf – im September 2020 sogar vor dem Brandenburger Tor. Als Kennedys Lieblingsfeind gilt übrigens Anthony Fauci. Dem noch von Donald Trump berufenen US-Chefimmunologen widmete er sogar ein ganzes Buch. Darin schreibt er, Fauci habe einen „Staatsstreich gegen die westliche Demokratie“ orchestriert. Die Impfbestimmungen in den USA verglich er mit Nazi-Deutschland – eine Äußerung, die er später zurücknahm. Kennedy selbst sieht sich jedoch nicht als Impfgegner. Stattdessen betont er, nur umfassendere Tests zu fordern – zum Schutz der Bürger und deren körperlicher Autonomie.

Überhaupt betrachtet Kennedy die körperliche Autonomie als hohes Gut – und begründet damit auch seine Haltung in der Abtreibungsfrage. Er gilt als entschiedener Anhänger der „Pro-Choice“-Position. „Ich denke nicht, dass die Regierung ein Recht hat, den Leuten vorzuschreiben, was sie mit ihrem Körper tun und lassen sollten“, erklärte er – betonte jedoch gleichzeitig, dass jede Abtreibung eine Tragödie sei.

Tritt "RFK Jr." für die falsche Partei an?

Ausgerechnet beim polarisierenden Thema Abtreibung dürfte Kennedy damit weitestgehend auf der Linie der Demokraten liegen. Nicht zu Unrecht werfen ansonsten viele Beobachter die Frage auf, ob „RFK Jr.“ nicht für die falsche Partei antritt. Denn auch zum derzeit bedeutendsten außenpolitischen Thema, dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, vertritt er eine Meinung, die nicht der unter Demokraten gängigen entspricht. Hierzulande würde Kennedy als „Putin-Versteher“ gelten: Er benennt nicht eindeutig Opfer und Aggressor. Er behauptet, der russische Präsident habe ein berechtigtes sicherheitspolitisches Interesse, die NATO aus der Ukraine herauszuhalten. Wäre er US-Präsident, würde er sofort ein Friedensabkommen aushandeln. Zu den Bedingungen und den potenziellen Zugeständnissen an Putin schweigt der politische Quereinsteiger jedoch.

Es ist keine Überraschung, dass Kennedy viele Fans im äußersten rechten, nationalistischen Lager hat. Der ehemalige Fox-News-Moderator Tucker Carlson fand lobende Worte für ihn, genauso wie der Ex-Trump-Stratege Steve Bannon. Tesla-Gründer Elon Musk, der sich immer mehr zum Zugpferd der Trump-Republikaner entwickelt, führte auf „Twitter“ ein langes, wohlwollendes Gespräch mit Kennedy. Überhaupt scheint er in Podcasts rechter „Ikonen“ gerade omnipräsent zu sein. Bei Joe Rogan saß er stundenlang am Mikrofon, ebenso stand er dem kanadischen Psychologen Jordan Peterson ausführlich Rede und Antwort. Wer ihn einmal gehört hat, dem bleibt neben Kennedys Thesen insbesondere auch seine Stimme in Erinnerung: Heißer klingt sie, dünn und brüchig. Hat man kein Gesicht vor Augen, stellt man sich eher einen Greis vor, als den noch immer recht jugendlich wirkenden 69-Jährigen. Der Grund: Kennedy leidet an spasmodischer Dysphonie – eine Erkrankung der Stimmbänder, deren Ursache er in Nebenwirkungen eines Impfstoffs vermutet.

Wie erklärt sich Kennedys derzeitiger Erfolg? Zum einen mangels Alternativen. Sowohl Biden wie auch Trump gelten als angeschlagene Kandidaten. Biden merkt man seine 80 Jahre inzwischen deutlich an. Das wirft die Frage auf, ob er körperlich und geistig in der Lage sein wird, eine zweite Amtszeit zu bestreiten. Bei Trump muss man damit rechnen, dass ihm eine seiner zahlreichen Anklagen irgendwann auf die Füße fallen wird. Sollte er scheitern, könnten sich Trumps Anhänger Kennedy zuwenden, zumal es zwischen Trump und Kennedy durchaus Schnittmengen gibt. Aber auch innerhalb der Demokraten findet Kennedy Anschluss. Sein Einsatz für den Umwelt- und Klimaschutz, seine Kritik an den großen Wirtschaftskonzernen – all das kommt insbesondere am äußersten linken Rand der Partei gut an.

Gleichzeitig pflegt Kennedy bewusst das Image des Außenseiters, des Anti-Establishment-Kandidaten. Ein Bild, das einer eingehenderen Betrachtung jedoch nicht standhält. Kennedy mag zwar im politischen Geschäft ein unbeschriebenes Blatt sein. Als Sprössling einer der berühmtesten und wohlhabendsten Dynastien Amerikas hat er aber von Geburt an Privilegien genossen, die ihn als Identifikationsfigur für den einfachen Bürger disqualifizieren.

Schließlich dürfte es aber dennoch der „Nostalgie-Faktor“, die Herkunft aus dem Hause Kennedy, sein, die ihm bei vielen Amerikanern Sympathien einbringt. Der Nordamerika-Experte Michael Hochgeschwender betont gegenüber dieser Zeitung, dass man „die immer noch vorhandene, wenn auch verblassende Anziehungskraft des Namens Kennedy nicht vergessen“ dürfe.

Der Name Kennedy ist auch eine Hypothek

Doch der Name Kennedy ist auch eine Hypothek: Denn die Liste der Schicksalsschläge, die „RFK Jr.“, geboren als drittes von elf Kindern, schon früh erleiden musste, ist lang. Neun Jahre war er alt, als sein Onkel JFK in Dallas erschossen wurde. Fünf Jahre später fiel sein Vater, damals aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat, in Los Angeles ebenfalls einem Schusswaffenattentat zum Opfer. Noch heute vertritt Kennedy hartnäckig die Theorie, hinter beiden Attentaten stecke die CIA. Er setzte sich sogar für die Freilassung des verurteilten Mörders seines Vaters ein. Kaum verwunderlich, dass die übrigen Mitglieder des Kennedy-Clans ein äußerst gespaltenes Verhältnis zu ihm pflegen. Die Verluste beschränken sich aber nicht auf Vater und Onkel: Ein Cousin kam bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, ein Bruder bei einem Skiunfall, ein weiterer starb an einer Überdosis. Und auch Kennedy selbst kämpfte jahrelang mit seiner Heroinsucht. Seine zweite Ehefrau beging 2012 Selbstmord.

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Heute ist Kennedy in dritter Ehe verheiratet mit der Schauspielerin Cheryl Hines. Aus seinen früheren Ehen hat er sechs Kinder. Nicht zuletzt dank der zahlreichen Affären John F. Kennedys hängt den männlichen Familienmitgliedern ja durchaus der Ruf an, Frauenhelden zu sein. Und auch „RFK Jr.“ wird nachgesagt, es mit dem sechsten Gebot nicht ganz so genau zu nehmen. Der New Yorker Klatschpresse zufolge soll er in einem Tagebuch mehr als zwei Dutzend Affären aufgelistet haben. Seine derzeitige Frau unterstützt die Kampagne ihres Mannes in jedem Fall: Zwar erlebe sie eine herausfordernde Zeit, es freue sie aber zu sehen, dass „Bobby“ in seinem Element sei.

Bislang hat Kennedy auch allen Grund zur Zuversicht. Kann er Joe Biden am Ende tatsächlich vom Thron stoßen? Das bleibt bei allem Erfolg eher unwahrscheinlich. Auf Dauer ignorieren kann Biden den parteiinternen Widersacher aber auch nicht. Zumindest die republikanische Konkurrenz nimmt ihn schon seit einiger Zeit sehr ernst. So betonte Donald Trump mehrmals, dass er Kennedy für einen „cleveren Kerl“ halte. Noch interessanter ist allerdings, dass auch mehrere republikanische Großspender Geld in den Wahlkampf Kennedys stecken. Die Organisation „Heal the Divide“, die für Kennedy Wahlkampffinanzierung betreibt, soll gar in direkter Verbindung zu prominenten Trump-Republikanern wie Marjorie Taylor Greene und George Santos stehen. Das Kalkül dahinter ist leicht zu durchschauen: Indem sie einen auf lange Sicht eher wenig aussichtsreichen Bewerber stützen, wollen die Republikaner Bidens Kandidatur untergraben – und den amtierenden Präsidenten im Vorfeld des Hauptwahlkampfes schwächen.

Diese Strategie kann nach hinten losgehen

Diese Strategie kann allerdings nach hinten losgehen: Der Nordamerika-Experte Hochgeschwender gibt zu bedenken, dass Kennedy sowohl Biden wie auch Trump gefährlich werden könne, „da er Positionen vertritt, die sich teilweise mit denen Trumps und Bidens überschneiden“. Für Hochgeschwender, der an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität eine Professur für Nordamerikanische Kulturgeschichte, Empirische Kulturforschung und Kulturanthropologie innehat, ist es ein durchaus denkbares Szenario, dass Kennedy sich als unabhängiger Drittkandidat profilieren wird, „was dann einerseits Biden sehr gefährlich werden kann, der ja auf jede Stimme aus der katholischen Arbeiterschaft und der katholischen Mittelklasse angewiesen ist“. Aber auch Trump müsse darauf achten, nicht solche Wähler an Kennedy zu verlieren, „die zwar einige seiner Positionen vertreten, mit seiner Person indes unzufrieden sind“. Hochgeschwenders Prognose gegenüber der „Tagespost“: „Selbst wenn Kennedy als Außenseiterkandidat womöglich nicht sehr viele Stimmen erhält, könnte sich das in der Addition bei einem knappen Wahlausgang in jede Richtung als wahlentscheidend auswirken.“

Man sollte ihn also nicht unterschätzen, den „Trump der Demokraten“. Wobei man fairerweise sagen muss: Der Vergleich mit Trump hinkt etwas. Der Spott, die Häme, das Lästern – jene hervorstechenden Charakteristika Trumps – sie sind Kennedy eher fremd. So haarsträubend sein Weltbild teilweise sein mag, hat er sich in seiner Außenwirkung doch etwas Freundliches, Anständiges, Großväterliches bewahrt. Was auf Trump eindeutig nicht zutrifft. Zudem bemüht sich Kennedy um eine ähnliche Rhetorik wie Präsident Biden, indem er ankündigt, Spaltungen überwinden und das Land einen zu wollen. Auch wenn berechtigte Zweifel bestehen, ob Kennedy dazu die richtige Person ist: Aus Trumps Mund hört man das nie.

Es ist eine ungeschriebene Regel, dass ein amtierender US-Präsident zur Wiederwahl antreten darf. Das letzte Mal, dass sich ein demokratischer Amtsinhaber einem ernstzunehmenden parteiinternen Gegenkandidaten stellen musste, war im Jahr 1980. Präsident Jimmy Carter bangte in jenem Jahr bis zuletzt, ob er wieder für die Demokraten ins Rennen gehen darf. Sein Herausforderer: ein gewisser Edward „Ted“ Kennedy – ein Onkel von „RFK Jr.“ Die Demokraten stürzte das Szenario damals in tiefes Chaos. Und Carter scheiterte bei den Präsidentschaftswahlen krachend.

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