Inakzeptabel, verfassungswidrig, unamerikanisch“: Der Aufschrei in konservativen US-Kreisen war enorm, als Mitte Februar ein internes Memorandum einer regionalen Zweigstelle des FBI, der amerikanischen Bundespolizei, seinen Weg an die Öffentlichkeit fand. Der namentlich nicht benannte Verfasser des Textes sieht von „radikal traditionalistischen Katholiken“ eine Gefahr für die Demokratie und die öffentliche Ordnung ausgehen – und empfiehlt, diese zu beobachten. Die konkreten Vorwürfe lauten Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Ablehnung von LGBTQ-Anliegen sowie eine Nähe zu einer „weißen rassistischen Ideologie“.
Der Protest gegen das FBI-Papier regte sich nicht nur unter traditionalistischen Katholiken: In einem Brief an den US-Justizminister Merrick B. Garland sowie den FBI-Chef Christopher Wray brachten die Justizminister von 20 republikanisch regierten Bundesstaaten ihre Empörung zum Ausdruck und erinnerten daran, dass in den USA schon immer das Recht auf Religionsfreiheit gegolten habe. Die Unterzeichner nannten aber noch einen weiteren Aspekt, an den sich viele Katholiken erinnert fühlen mussten: Trotz ihres Bekenntnisses zur Religionsfreiheit grassierten in den USA lange, noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, massive antikatholische Vorurteile. Es ist daher kaum überraschend, dass Bilder aus diesen vergangenen Zeiten nun wieder heraufbeschworen werden, wenn eine staatliche Behörde wie das FBI von manchen Katholiken eine potenzielle Terrorgefahr ausgehen sieht – und offenbar intern sogar erwägt, Spitzel in Gottesdienste einzuschleusen.
Kennedy, "Erfüllungsgehilfe des Vatikans"?
Wie schwer es Katholiken auf amerikanischem Boden noch vor einigen Jahrzehnten hatten, erfuhr am eigenen Leib der bis heute vielleicht prominenteste US-Katholik überhaupt: John F. Kennedy. Während des Wahlkampfes 1960 bekam er im protestantisch geprägten Amerika seiner Zeit die Stereotype und Vorurteile mit voller Wucht zu spüren. Aus heutiger Perspektive erscheinen diese absurd: Beispielsweise wurde Kennedy als „Erfüllungsgehilfe des Vatikans“ verunglimpft und man behauptete, er sehe sich zuallererst dem Papst verpflichtet, nicht der amerikanischen Verfassung. Der Gipfel der Hirngespinste: Sollte er gewählt werden, werde er einen Tunnel unter dem Atlantik graben lassen, der das Weiße Haus und den Vatikan verbinde, um direkte Befehle aus Rom erhalten zu können.
Dass sich die antikatholischen Vorurteile im Wahlkampf derart hartnäckig hielten, lag auch daran, dass von protestantischer Seite regelrechte Kampagnen gegen Kennedy lanciert wurden. Die Strippenzieher dahinter: die prominenten evangelikalen Prediger Billy Graham und Norman Vincent Peale. Beide hatten das Ziel, Bedenken gegenüber Kennedy zu streuen und seine Anhängerschaft zu verunsichern. So erklärte Peale im Hinblick auf Kennedys Kandidatur: „Unsere amerikanische Kultur steht auf dem Spiel.“ Ein Katholik sei nicht für das Amt des US-Präsidenten qualifiziert.
Kennedy wusste, dass er in die Offensive gehen musste. Nur allzu deutlich war im Lager des Demokraten noch präsent, wie der erste katholische Präsidentschaftskandidat überhaupt, Alfred Smith, im Jahr 1928 krachend gescheitert war. Er hatte schon damals geglaubt, die US-Bevölkerung hätte ihre Vorurteile gegenüber Katholiken überwunden. Weit gefehlt: Smith unterlag seinem Gegner, Herbert Hoover, deutlich – er konnte nur acht Bundesstaaten gewinnen. Und so sprach Kennedy schließlich wenige Wochen vor der Wahl vor einer Gruppe prominenter protestantischer Pastoren über seinen Glauben. „Ich bin nicht der katholische Präsidentschaftskandidat, ich bin der Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, der zufälligerweise auch Katholik ist“, erklärte er in seiner Rede, die live im Fernsehen übertragen wurde. Und er betonte: Die Trennung von Kirche und Staat sei für ihn unumstößlich. Unter Historikern gilt die Rede als Wendepunkt in Kennedys Wahlkampf, er konnte seinen Kontrahenten Richard Nixon knapp besiegen.
Ablehnung in religiösen Differenzen begründet
Die Vorurteile gegenüber Katholiken, die Kennedy mühsam überwinden musste, lagen zunächst einmal in religiösen Differenzen begründet. Die frühen, überwiegend protestantischen Einwanderer auf dem amerikanischen Kontinent, hatten versucht, der religiösen Verfolgung in ihren europäischen Heimatländern zu entkommen. Die von ihnen gelebte Ausrichtung des christlichen Glaubens betrachteten sie als die von Gott gewollte und zweifelten gleichzeitig an der Rechtgläubigkeit der Katholiken, von denen sie sich nach der Reformation dezidiert absetzen wollten. Zu Beginn waren sie den Katholiken in der „Neuen Welt“ auch in ihrer Zahl deutlich überlegen.
Einen heftigen Schub erhielten die Ressentiments gegenüber Katholiken im Zuge einer Welle von Millionen katholischer Einwanderer aus Irland und Deutschland im 19. Jahrhundert. Sie stammten ganz überwiegend aus der Unterschicht und wiesen massive soziale und kulturelle Differenzen zur etablierten protestantischen Mehrheitsgesellschaft auf. Insbesondere die Iren, bekannt für ihre romtreue Frömmigkeit und Glaubensdisziplin, dominierten den US-Katholizismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Mit der protestantischen Spiritualität, die auch geprägt war von den Idealen der Freiheit, der Marktwirtschaft und dem Streben nach persönlichem Erfolg, war dies nur schwer zu vereinbaren. Gehorsam gegenüber einer hierarchischen, ja als „autoritär“ wahrgenommenen Kirchenstruktur, deren Zentrum sich auf einem anderen Kontinent befand? Bei vielen Protestanten löste dies Skepsis bis hin zu offener Ablehnung aus.
Um 1850 herum formierte sich sogar eine eigene Partei, deren Existenz im Wesentlichen darin begründet lag, den politischen Einfluss von Katholiken und Einwanderern gering zu halten: die „American Party“, auch bekannt als „Know Nothings“. Schon im Namen steckte das nationalistische Programm ihrer Mitglieder. So wollte die Partei beispielsweise jenen, die nicht auf amerikanischem Boden geboren waren, das Recht zu wählen oder ein Staatsamt zu bekleiden entziehen; um die US-Staatsbürgerschaft zu erlangen sollte die Bedingung gelten, zuvor mindestens 21 Jahre in Amerika gelebt zu haben. In den 1850er Jahren gelang es den „Know Nothings“ auf diese Weise, in Landes- und bundesstaatlichen Parlamenten Hunderte Mandate zu gewinnen. Da man in der Frage der Sklaverei gespalten war, verschwand die Partei bald jedoch wieder in der Versenkung.
"Ku-Klux-Klan" machte Stimmung gegen Katholiken
Nicht so die Vorurteile gegenüber Katholiken. Wer die Fackel der antikatholischen Ressentiments weiter am Brennen hielt, war der „Ku-Klux-Klan“. Jener berüchtigte Terrorbund weißer Rassisten verbreitete nicht nur Gewalt und Hass gegenüber schwarzen Bürgern – auch Juden und Katholiken waren im Visier der Geheimorganisation, die sich im ausgehenden 19. Jahrhundert gründete und dann hauptsächlich in den 1920er Jahren antikatholische Stimmung schürte. Oft versuchten Klan-Mitglieder, Katholiken auf dem Gebiet der Schulbildung zu unterdrücken – insbesondere im Nordwesten des Landes. So wollte man in den Staaten Washington und Oregon katholische Schulen gesetzlich verbieten. In Oregon gelang dies sogar zwischenzeitlich, in Washington scheiterte ein entsprechender Gesetzentwurf. Ein engmaschiges Netz privater katholischer Schulen war quasi eine der Antworten der katholischen Minderheit auf das feindselige Klima im protestantischen Amerika. Man fürchtete, in staatlichen Bildungseinrichtungen würden Schüler mit protestantischem Gedankengut „indoktriniert“. Noch heute gibt es in den USA mehr als 200 private katholische Schulen, Hochschulen und Universitäten. Die Zahl ist weltweit einzigartig und liefert einen Beleg dafür, wie sich Katholiken trotz aller widrigen Umstände behaupten konnten.
Auch die Präsidentschaft Joe Bidens könnte in dieser Hinsicht als Beleg gelten. Doch Biden hat mit einem ganz anderen Phänomen zu kämpfen als etwa noch sein katholischer Amtsvorgänger Kennedy: einer innerkatholischen Polarisierung. Ähnlich wie hierzulande sind heute auch in den USA die Fronten zwischen progressiven und konservativen Anhängern des katholischen Glaubens zunehmend verhärtet. Und so sehen viele Konservative – vielleicht nicht ganz unbegründet – das jüngst zutage geförderte Memorandum, das ja dezidiert traditionalistische Katholiken ins Visier nimmt, als diskriminierende Maßnahme einer progressiven Regierung gegenüber konservativen Glaubensanhängern. Dass das FBI das Dokument schnell wieder zurückzog und Justizminister Garland es in einer Anhörung vor dem Justizausschuss des Senats „entsetzlichen“ nannte, glättete die Wogen kaum. Fürs Erste wird das wohl auch schwer möglich sein. Denn Katholiken sind im Amerika des 21. Jahrhundert zwar voll etabliert – gleichzeitig aber auch tief verstrickt in die Kulturkämpfe, die das Land spalten. Und dies noch länger tun dürften.
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