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Filmklassiker „Dr. Mabuse, der Spieler“

Meisterverbrecher, Manipulator, Machtmensch: Vor 100 Jahren wurde der Filmklassiker „Dr. Mabuse, der Spieler“ von Fritz Lang uraufgeführt.
Filmfigur Dr. Mabuse gilt  immer noch als Inbegriff des teutonischen Superschurken
Foto: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung | Vielen gilt die Filmfigur des Dr. Mabuse (Rudolf Klein-Rogge) immer noch als Inbegriff des teutonischen Superschurken.

Ziemlich genau vor 100 Jahren, am 27. April 1922, feierte der erste Teil von Fritz Langs („Metropolis“, „Die Nibelungen“) Krimireihe um das Verbrechergenie Dr. Mabuse seine Premiere im Berliner Ufa-Palast am Zoo – seitdem ist die Figur des verrückt-genialen teutonischen Superschurken aus der internationalen Popkultur nicht mehr wegzudenken.

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Als Adaption des 1920 erschienenen und zum damaligen Zeitpunkt äußerst populären Romans „Dr. Mabuse, der Spieler“ des luxemburgischen Autors Norbert Jacques schildert Lang in seiner Verfilmung zahlreiche Ängste und Konflikte in der aus den Fugen geratenen Gesellschaft der „Weimarer Republik“ nach dem Ersten Weltkrieg: Ohne Kompass oder Kaiser kämpfen die normalen Menschen ums buchstäbliche Überleben, während sich eine reiche Oberschicht in den immer neu errichteten Sündentempeln dieses „Babylon Berlin“ zu Tode amüsiert.

Mabuse (Rudolf Klein-Rogge), der in der Reichshauptstadt hinter einer bürgerlichen Fassade als Arzt und Psychoanalytiker ein verbrecherisches Doppelleben führt, nutzt als Kopf einer verzweigten Verbrecherbande diese gesellschaftspsychologische Instabilität reichlich aus: Nachts erscheint der „Mann mit den 1 000 Gesichtern“ in wechselnden Masken und Verkleidungen in Nachtclubs sowie legalen und illegalen Spielcasinos, wo er beim Kartenspiel seine Mitspieler durch Hypnose manipuliert, zu hohen Einsätzen verleitet und verlieren lässt.

„Insofern können Filme wie „Dr. Mabuse, der Spieler“ hinsichtlich der Bewunderung,
die heutzutage in manchen Kreisen Machtmenschen, Manipulatoren
und angeblich „großen Männern“ wie Wladimir Putin selbst dann immer noch entgegenschlägt,
wenn deren Lügen und Verbrechen bereits enttarnt sind,
auch 100 Jahre nach deren Erstaufführung einige Erklärungen liefern“

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Außerdem manipuliert Mabuse durch Aktendiebstahl und gezielte Falschinformationen die Börsenkurse, ist in Spionagefälle verwickelt und besitzt neben Häusern, Autos, Yachten und Nachtclubs auch eine eigene Falschgelddruckerei. Der überzeugte Anhänger von Nietzsches Philosophie des „Willens zur Macht“ sieht sich selbst als Inkarnation von dessen „Übermensch“, will mit seiner Verbrecherbande eine gesetzlose Schreckensherrschaft errichten, einen „Staat im Staate“, wie er es selbst formuliert – doch Staatsanwalt von Wenk (Bernhard Goetzke) ist Mabuse dicht auf den Fersen.

„Dr. Mabuse ist ein Spieler“, sagte Fritz Lang später über die Hauptfigur des zweiteiligen Films, der ihm 1922 zum Durchbruch als Regisseur verhelfen sollte und dem er 1933 mit „Das Testament des Dr. Mabuse“ sowie 1960 mit „Die 1 000 Augen des Dr. Mabuse“ noch zwei weitere Fortsetzungen widmete. „Er spielt Karten, er spielt Roulette, und er spielt mit den Menschen, mit dem Leben dieser Menschen, mit dem Tod.“ Und rückblickend ergänzt er mit Blick auf das Jahr 1922: „In dieser Zeit gab es ein Plakat in Berlin: ,Berlin, dein Tänzer ist der Tod‘.“

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Diese fiebrige Atmosphäre, die zum damaligen Zeitpunkt in Berlin vorherrschte und bereits zwei Jahre zuvor in Robert Wieles Filmklassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ erstmals in expressionistisch-surrealer Form thematisch verarbeitet wurde, konnte von Lang in seinen Mabuse-Filmen kongenial eingefangen werden: In der Tat darf man dem Film, dessen erster Teil von Lang noch passenderweise den Untertitel „Ein Bild der Zeit“ erhielt und der anlässlich seines 100. Geburtstages gegenwärtig erneut in den Kinos aufgeführt wird, aus heutiger Sicht beinahe dokumentarischen Wert zusprechen.

Der deutsch-jüdische Soziologe, Filmtheoretiker und Kulturkritiker Siegfried Kracauer (1889-1966) ging sogar noch einen Schritt weiter und betrachtete in seinem 1947 im amerikanischen Exil erschienenen Buch „From Caligari to Hitler“ die sogenannten „Tyrannenfiguren“ des Weimarer Kinos wie Caligari und Mabuse als Vorläufer Hitlers beziehungsweise mediale Vorahnungen der nationalsozialistischen Terrorherrschaft: Der von Kracauer den Deutschen der Weimarer Jahre attestierte Hang zum Makabren und Morbiden bei gleichzeitiger politischer und kultureller Verunsicherung habe letztendlich zur puren Anbetung von Führertum und Macht geführt und Adolf Hitlers Machtergreifung erst ermöglicht.

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Wenngleich Kracauers Thesen nicht bei allen Filmtheoretikern gleichermaßen Anklang gefunden haben, gibt jedoch der Blick auf einige handelnde Charaktere des Lang-Films von 1922 dem Exil-Amerikaner durchaus recht: Denn manche der auftretenden Figuren unterwerfen sich in einer durchaus eigenwilligen Mischung aus Abscheu, Masochismus und regelrechter Hingabe dem „Titelhelden“ – gleichwohl sie eigentlich wissen oder zumindest ahnen, lediglich benutzt beziehungsweise manipuliert zu werden. Doch die Übergabe des eigenen freien Willens an einen Großmeister der Manipulation und Lüge offenbart ebenfalls die durchaus befreienden Züge, die eine solche selbstgewählte Verantwortungslosigkeit haben kann.

Insofern können Filme wie „Dr. Mabuse, der Spieler“ hinsichtlich der Bewunderung, die heutzutage in manchen Kreisen Machtmenschen, Manipulatoren und angeblich „großen Männern“ wie Wladimir Putin selbst dann immer noch entgegenschlägt, wenn deren Lügen und Verbrechen bereits enttarnt sind, auch 100 Jahre nach deren Erstaufführung einige Erklärungen liefern. Nachdem es bereits in den 1960er-Jahren weitere „Mabuse“-Filme gegeben hat, wäre die Zeit also möglicherweise reifer denn je für eine weitere Neuauflage.

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