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„Europa Aeterna“ von David Engels: Zurück zu Tradition

Mit „Europa Aeterna“ legt der Althistoriker Professor David Engels einen Konföderationsentwurf vor, der Europa wieder stark machen soll.
Krakau, Pro-Europa_Demonstration
Foto: IMAGO/Artur Widak (www.imago-images.de) | Selbst Ukraine-Unterstützer in Polen suchen den Anschluss an die Europäische Union - allerdings wünschen sich die Menschen mehr, als die kalte EU-Bürokratie.

Herr Professor Engels, 2019 haben Sie den Band „Renovatio Europae“ herausgegeben, in dem Sie mit anderen Autoren einem „gesamteuropäischen Patriotismus“ nachspürten. Nun legen Sie „Europa Aeterna“ vor, in dem Sie nicht nur eine „Präambel zur Verfassung einer Konföderation Europäischer Nationen“ präsentieren, sondern diese von Ihren Mitautoren interpretieren lassen. Gibt es zurzeit nicht dringendere Probleme als solche fantasievollen Ideen? Krieg, Energieknappheit, Inflation …

Ganz im Gegenteil: Jene Probleme sind gerade die Folge der zahlreichen konzeptionellen Schwächen der postmodernen Gesellschaften, deren institutioneller Höhepunkt zweifellos die EU darstellt. Die Gegenwart hat alle traditionellen Solidargemeinschaften zertrümmert und sieht sich nun mit der Feststellung konfrontiert, dass angesichts der jetzigen Krisenzeiten kaum noch Bereitschaft besteht, für höhere Werte, soziale Minderheiten oder europäische Nachbarn irgendwelche Opfer auf sich zu nehmen. Wenn wir die gegenwärtige Situation halbwegs meistern wollen, müssen wir unbedingt jene gemeinsame Identität stärken, die alle Abendländer verbindet, und einen gesamteuropäischen kulturellen Patriotismus schaffen, anstatt sie weiter zu „dekonstruieren“ – also das, was ich „Hesperialismus“ nenne.

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Aber spielen Sie Putin mit Ihrer Konföderationsidee nicht in die Hände, indem Sie die realen europäischen Institutionen schwächen?

Nein, denn mein Konföderationsentwurf zielt vielmehr darauf ab, Europa sogar noch zu stärken – aber eben nur da, wo es wirklich Sinn macht, allen voran in der Außen- und Verteidigungspolitik, aber auch der Forschung, Infrastruktur und strategischen Ressourcensicherung. Ich warne schon seit geraumer Zeit vor der Bedrohung, die nicht nur von China, sondern auch von Russland für Europa ausgeht – und zwar gerade deshalb, weil die europäischen Institutionen eine effiziente Zusammenarbeit der abendländischen Staaten und das Bewusstsein, gemeinsame Interessen und eine gemeinsame Identität verteidigen zu müssen, eher schwächen als stärken. Die EU ist nach vielversprechenden Anfängen zu einem Papiertiger geworden, der zwar die kleinsten normativen Details zu regeln und massiv in die Innen- und Kulturpolitik der Mitgliedsstaaten einzugreifen versucht, aber darin versagt hat, Solidarität zu schaffen und Europas Einzigartigkeit zu schützen – vor russischer Invasion, chinesischer Konkurrenz, kultureller Amerikanisierung oder afrikanischer Massenmigration.

„Ohne einen historisch geerdeten Transzendenzbezug muss das Bekenntnis zu den Menschenrechten in den Relativismus und sogar Zynismus des dauerhaften ‚Aushandels‘ abdriften – und somit in jene vielbeschworene ‚Tyrannei der Mehrheit‘ oder derjenigen, die sie durch Medienmonopole kontrollieren.“

Den Anstoß für das Buch, das schreiben Sie auch, gaben nationalkonservative polnische Wissenschaftler. Haben Sie als belgischer Althistoriker, der in Polen lebt, nicht Angst, dass Sie für eine Polit-Ideologie instrumentalisiert werden? Ist das ein Buch verfasst aus der PiS-Perspektive?

Der Gedanke des Hesperialismus, also eines abendlandpatriotischen und kulturkonservativen Ansatzes, ist ja schon in meinen frühesten zeitkritischen Publikationen von 2013 enthalten, viele Jahre vor Beginn meiner Tätigkeit in Polen. Von daher entspringt meine Zusammenarbeit mit den hiesigen Konservativen eher einer unabhängig entstandenen, zwar nicht vollständigen, aber doch teilweisen ideologischen Übereinstimmung als einer wie auch immer gearteten politischen Einflussnahme – und ich bin glücklich zu sehen, dass auch viele andere Parteien und Intellektuelle in ganz Europas sich zunehmend vom Souverainismus zum Hesperialismus durchringen, der, wie ich hoffe, eines Tages auch eine Art „Middle Ground“ für die Zusammenarbeit mit den christdemokratischen Parteien darstellen könnte, falls diese endlich ihren Linksrutsch bereuen und ihre ureigene Identität zurückerobern.

Ich fühle mich geehrt, mit meiner essayistischen Arbeit an diesem Prozess mitwirken zu können und betrachte es gerade als Historiker als meine Pflicht, nicht nur an einem abstrakten Verständnis der Vergangenheit als „l´art pour l´art“ zu arbeiten, sondern mitzuhelfen, die Liebe zu unserem großartigen kulturellen Erbe zu verteidigen und erneut zu einem politischen Antrieb zu gestalten.

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Für wie realistisch und wünschenswert halten Sie eine Verwirklichung Ihrer Föderalismus-Idee eigentlich?

Wäre sie nicht wünschenswert, würde ich sie nicht formulieren. Was den Realismus betrifft, ist dies für mich zwar nicht der einzig vorrangige Aspekt, geht es doch um die Verteidigung des christlich-abendländischen Begriffs des Guten, Wahren und Schönen, für den es selbst dann einzutreten gilt, wenn man auf verlorenem Posten steht. Aber ich glaube tatsächlich daran, dass die linksliberale, zunehmend „woke“ Piratisierung des europäischen Projekts mitsamt der inneren Erosion der demokratischen Institutionen sich selbst allmählich ad absurdum führen, und viele Menschen zunehmend zu einem positiven Verhältnis zu Transzendenz und Tradition zurückkehren wollen.

Meine Hoffnung ist, dieser legitimen Suche eine zwar idealistische, gleichzeitig aber auch realistische und ideologisch mehrheitsfähige Zielsetzung zu geben, um damit nicht nur dem abendlandfeindlichen „woken“ Relativismus entgegenzutreten, sondern auch gegen die Tendenz zu engstirnigem Nationalismus und egoistischem Libertarismus anzukämpfen. Die kommenden Monate und Jahre werden unsere Gesellschaft vor schwerste Proben stellen – es ist dringend, gerade jetzt ein positives Leitbild zu schaffen.

Wollen Sie denn wirklich in einem Europa leben, das so dezidiert katholisch aufgestellt wäre, wie es sich manche Autoren ersehnen? Oder ist Ihr Anliegen, wie es im Essay von Leon Krier zur Schönheit anklingt, nicht auch vorrangig ein ästhetisches?

 „Europa Aeterna“ ist wie „Renovatio Europae“ ein Sammelband, dessen Autoren zwar allesamt wichtige Grundüberzeugungen teilen, aber durchaus verschiedene Ansätze und Präferenzen verfolgen – gerade dieser Versuch, breite politische Diversität und abendländischen Kulturpatriotismus zu versöhnen, ist ein wesentliches Anliegen dieser Bände. Selbstverständlich zählt ein erneutes konstruktives Verhältnis unserer Nationen und europäischen Institutionen zur christlichen Spiritualität und Kultur fundamental zu unserem Programm: Ohne einen historisch geerdeten Transzendenzbezug muss das Bekenntnis zu den Menschenrechten in den Relativismus und sogar Zynismus des dauerhaften „Aushandels“ abdriften – und somit in jene vielbeschworene „Tyrannei der Mehrheit“ oder derjenigen, die sie durch Medienmonopole kontrollieren.

Und natürlich ist auch die Ästhetik ein wesentlicher Bestandteil des Hesperialismus: Unsere gesamte Kultur ist von der Suche nach dem Schönen, das eben auch das Wahre und Gute ist, geprägt, und es ist kein Zufall, dass das wachsende Desinteresse für die beiden letzten Begriffe einhergeht mit der erschreckenden Häßlichkeit der Moderne. Léon Krier, Commander des Royal Victorian Order und Architekt von Prince Charles, ist hier einer der herausragenden und leider immer noch allzu seltenen Exponenten des Versuchs, eine überzeitliche, klassisch-abendländische Ästhetik mit den Voraussetzungen der Moderne zu verbinden.

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