Jean-Marc Sauvé, der Leiter der Unabhängigen Kommission zu sexuellem Missbrauch in der Kirche in Frankreich (CIASE), hat im Gespräch mit der Tagespost unterstrichen, dass es dem kürzlich veröffentlichten Untersuchungsbericht zufolge keinen kausalen Zusammenhang zwischen priesterlichem Zölibat und sexuellem Missbrauch gibt. Möglicherweise habe es jedoch eine übertriebene Vorstellung vom Zölibat, die den Einfluss von klerikalen Tätern auf ihre Opfer begünstigt und verstärkt haben könne.
Klerikalismus
Nicht der Zölibat, sondern der Klerikalismus sei das Problem, so Sauvé. Die Theologie des Priesters als „Alter Christus“ sei von Tätern pervertiert worden. Der Untersuchungsbericht über sexuelle Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche in Frankreich war Anfang Oktober veröffentlicht worden. Eine Hochrechnung auf Basis einer Umfrage unter 28000 erwachsenen Franzosen im Auftrag der CIASE schätzt, dass 216 000 heute erwachsene Franzosen in ihrer Kindheit Missbrauch durch einen Kleriker erlitten haben. Die Zahl wächst auf 330 000 Betroffene, wenn Missbrauch durch Laien im kirchlichen Rahmen hinzugezählt wird.
Ergänzung der Moral
Im Hinblick auf die kirchliche Sexualmoral fordert die Kommission nach Angaben Sauvés keine „Tabula rasa“, sondern ihre Ergänzung und Bereicherung. Man stelle fest, dass es keine Rangordnung innerhalb der Verstöße gegen die Sexualmoral gebe, erklärte der ehemalige Richter und Vizepräsident des ob einvernehmliche, außereheliche sexuelle Beziehungen einerseits und Vergewaltigung andererseits. Die Sexualmoral nimmt dabei mehr den Sünder in den Blick als das mögliche Opfer.“
Im Unterschied zur MHG-Studie der deutschen Bischöfe bezieht die französische Studie auch Missbräuche durch Laien ein. Priester durch Laien zu ersetzen sei keine wirksame Antwort, schlussfolgert Sauvé. Es gebe sexuelle Übergriffe in allen sozialen Bereichen, in Schulen, im Sport, in Familien, in denen es keine Verpflichtung zum Zölibat gebe. DT/reg
Lesen Sie in der kommenden Ausgabe der Tagespost ein Interview mit Jean-Marc Sauvé.