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Bischof Anba Damian: Ihr könnt von den alten Kirchen lernen

Der koptische Bischof für Norddeutschland im "Tagespost"-Gespräch über Fiducia supplicans, die Lage der Kirche in Deutschland und die Perspektiven für die Ökumene.
Der koptisch-orthodoxe Bischof Anba Damian
Foto: Andreas Fischer (imago stock&people) | Der koptisch-orthodoxe Bischof Anba Damian sprach mit der Tagespost über die Ökumene, die Erklärung "Fiducia supplicans" und warum die Kopten das Gespräch mit Rom unterbrochen haben,

Lieber Herr Bischof Anba Damian, obwohl wir zwei Kirchen angehören, eint uns etwas und das sind ausgerechnet Märtyrer. Der Schriftsteller Martin Mosebach hat ein Buch über die 21 koptischen Märtyrer geschrieben, die auch unsere Kirche verehrt. 

Martin Mosebach ist mein Freund. Er hatte mich gefragt, ob ich ihm helfen kann, Kontakt zu den Familien der 21 Märtyrer zu bekommen. Da habe ihn mitgenommen in einer Reisegruppe nach Ägypten mitgenommen. Wir sind dann in die Diözese gefahren, wo die Märtyrer lebten. Mosebach konnte sich dort ein Bild machen von der Situation der Familien der 21 Märtyrer.

Diese 21 Männer haben weltweit einen großen Eindruck gemacht. Wie erklären Sie sich das? 

Der Heilige Vater Franziskus hat sie in eigener Vollmacht anerkannt und zur Ehre der Altäre erhoben. Es waren einfache Männer, Analphabeten, die nicht einmal lesen und schreiben konnten, die waren keine Theologen, keine Wissenschaftler, keine Professoren. Sie haben es geschafft, die Einheit der Kirche auf besondere Weise zu realisieren. Was Professoren und Patriarchen, Bischöfe, Theologen, Professoren nicht geschafft haben.

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Wir reden häufig von einer Ökumene der Märtyrer. 

Ja, deswegen haben wir hier im Kloster eine wunderbare Ausstellung über die Märtyrer. Nicht nur die koptischen Märtyrer, auch über westliche Märtyrer. Betroffen vom Martyrium sind die Christen weltweit.

Trotzdem hakt es gerade in der Ökumene. Alexandrien hat die Gespräche mit Rom unterbrochen. Können Sie den Grund erklären? 

Im Rahmen der Heiligen Synode, also Versammlung der koptischen Kirche weltweit, hatten wir eine Tagung in Ägypten. Wir sind nach Ägypten berufen worden und dort zusammengekommen. In einer Kommission für Ökumene haben wir dort einheitlich beschlossen, dass wir eine Denkpause im offiziellen Dialog mit der katholischen Kirche in Rom brauchen. Wir wollen Revue passieren lassen, was wir bisher erreicht haben. 

Und wir wollen verstehen, was in Rom beschlossen worden ist. Denn die Erklärung „Fiducia Supplicans“ hat einen negativen Einfluss auf die Erreichbarkeit der vollständigen Einheit der beiden Kirchen. Diese Pause berührt aber in keiner Weise die bilateralen Beziehungen. 

Papst Tawadros II. und Papst Franziskus schätzen und respektieren sich. Sie vertrauen einander und es wird keine Kraft auf der Welt geben, der diese Beziehung in irgendeiner Form negativ beeinflusst. Wir haben ein klares Ziel. Wir wollen mit der katholischen Kirche zu einer vollständigen Vereinigung kommen. Wir sehen dies als eine Notwendigkeit des Lebens und des Überlebens.

Worin sehen Sie das Problem von „Fiducia Supplicans“? 

Die Kirche besteht nicht nur aus Papst, Metropoliten, Bischöfe und Klerus, zu ihr gehören auch die Laien. Und die stellen die Frage, wie soll das gehen? Diese Aussagen aus Rom wirken wie Stolpersteine auf dem gemeinsamen Weg. Die gesamte katholische Kirche in Ägypten ist nicht damit einverstanden, die afrikanischen Kirchen sind damit nicht einverstanden. Alle Muslimen sind nicht damit einverstanden. Die Juden sind nicht damit einverstanden. 

Also man muss sich Gedanken darüber machen, ob man das Ganze noch in Kauf nehmen möchte oder ob man nicht mal die Aussagen präzisiert haben möchte. 
Dann muss man noch kirchliche Entscheidungen und politische Entscheidungen unterscheiden. Der römische Papst ist das Oberhaupt einer ehrwürdigen katholischen Kirche ist. Gleichzeitig ist aber ein Papst auch ein Staatsoberhaupt. Ein Staatsmann orientiert sich an seinem Volk und an der Demokratie und damit an irdischen Vorschlägen, parlamentarische Sitzungen und Entscheidungen. Das Prinzip ist, dass in seiner Person zwei Welten kollidieren. Das himmlische und das irdische Prinzip treffen aufeinander.

Was müsste Rom tun, um den Gesprächsfaden wieder anzuknüpfen? Widerrufen? Modifizieren? 

Man muss den Menschen erklären, wie wir als Kirche segnen. Wir segnen die Bäume, das Wasser, wir segnen die Menschen. Wir können aber nicht ihr falsches Verhalten segnen. Wenn ein Staatsmann mit einem Mann lebt, segnen wir seine Dienste. Aber nicht das private Leben oder ein bestimmtes Verhalten, was nicht mit unseren Vorstellungen konform geht.

Also geht es immer nur um den Menschen? 

Vielleicht segnen wir diesen verantwortlichen Regierenden, damit er gute Entscheidungen zum Wohle der Menschen und im Dienst des Friedens ausführt. Aber wir segnen nicht ein Verhalten. So muss man es erklären. Wir sind nicht da, um sein Leben zu akzeptieren. Das Problem bei diesem Segen aus Rom ist eine versteckte Akzeptanz für eine Situation, die nicht biblisch ist.

Trotzdem sagen Sie, dass man den Menschen segnen kann?

Gott gibt uns die Sonne für alle Menschen. Er gibt die Luft und das Wasser. Wir alles kriegen wir umsonst. Dabei ist es egal, ob wir gut oder böse sind. Das ist die Güte des himmlischen Vaters und wir müssen lernen, dass wir nicht als Richter dastehen. Wir sollen die Menschen nicht mit der Lupe analysieren, nicht Richter sein, sondern wir müssen unsere Grenze sehen und erkennen.

Muss nicht der Priester etwas dazu sagen? 

Wir können nicht Lieder des Lobes für jedes sexuelles Verhalten singen. Ehrlicherweise habe ich als Diener der Kirche kein Interesse zu erfahren, welche sexuelle Praxis jemand zu Hause macht. Das interessiert mich nicht. Warum wird ständig darüber geredet? Warum muss immer wieder offenbart werden, wie man sich sexuell verhält? Wozu? 

Ich will nicht erzählen über meine Enthaltsamkeit. Ich möchte nicht wissen über deine Freizügigkeit. Das interessiert mich nicht. Mein Leben ist viel wertvoller. Meine Zeit ist kostbar. 

Ich habe nicht das Recht jemand schief anzugucken oder jemand positiv oder negativ zu bewerten. Ich muss die Menschen als Ebenbilder Gottes behandeln, respektvoll, würdevoll, keine Gewalt anwenden. Aber man darf auch nicht von mir verlangen, dass ich einen Menschen sonderlich lobe oder kritisiere, aufgrund seines anderen sozialen Verhaltens.

Gehört dann die Moral ganz ins Forum internum? 

Wie gesagt, wozu interessiert mich das Privatleben eines Menschen? Wir haben klare Beziehungen und wir haben klare Grenzen. Die Väter sagen, wir sollen lieber mit Abstand und mit Weisheit auf die Menschen sehen. Koptische Künstler malen immer Heilige mit kleiner Nase. Man will damit sagen, du sollst nicht die Nase immer in die Affäre des anderen reinstecken.

Gehen wir mal zurück zur Ökumene. Hat die Entscheidung aus Alexandrien Einfluss auf die Ökumene vor Ort? 

Wir haben eine sehr intensive Beziehung zu den Schwesterkirchen. Wir sind aktiv in der Arbeitsgemeinschaft Christliche Kirchen in Deutschland, auf überregionaler und auf regionaler Ebene. Wir sind wie eine große Familie und wir haben eine Vertrauensbeziehung. 

Wenn Sie auf die Lage der Kirche in Deutschland blicken. Wir scheinen ja so von einer Krise in die nächste zu rasseln. Sexueller Missbrauch, hohe, Austrittszahlen und immer weiter fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft. Wie schauen Sie auf die Situation der Kirche hier in Deutschland?

Erstens: Sie müssen die Überzeugung zurückgewinnen, dass Sie eine großartige Kirche mit wunderbaren Traditionen, mit fabelhaften caritativen Diensten haben! Ihr solltet Euer Selbstbewusstsein wiederfinden. 

Zweitens solltet ihr Strategie folgen, wo ihr nicht dauerhaft über die negativen Dinge redet, sondern über die positiven. Es geht um die heilenden Dinge. Wir reden zum Beispiel über Kindesmissbrauch. Was haben wir getan jetzt, um die nachfolgenden Kinder so richtig behandeln zu können, sie zu animieren, die Liebe der Kirche zu sehen?

Man kann nicht dasitzen und heulen. Über Vorfälle, die waren. Und dann geht eine Kirche mit 1,4 Milliarden Menschen kaputt. Das geht nicht. Wir müssen auch diese Relativität erkennen. Was bei euch Katastrophe ist, ist in anderen Ländern, zum Beispiel in den arabischen Ländern wie Wasser trinken. Das soll nicht die Sünde relativieren oder verharmlosen. Kriminalität ist Kriminalität und Berühren der Kinder, da gibt es keine Diskussion, das ist das Schlimmste, was es geben kann.

Was ist die Alternative?

Ich sehe nicht ein, dass man aufgrund des schlechten Verhaltens von Menschen eine große, wunderbare Kirche kaputtmachen und zerstören lassen soll. Das geht nicht. Wir müssen konstruktive Dinge tun und investieren. Wir müssen umdenken. Wir müssen uns reformieren. Wir müssen von den alten Kirchen lernen, wo die Liturgien überfüllt sind von Kindern.

Ihr könnt auch sonst von den alten Kirchen lernen. Die haben diese Probleme eigentlich nicht oder so gut wie nicht. Wo Menschen existieren, menschelt es überall, aber nicht in dieser Masse und nicht so grausam. Ihr habt viele gute Dinge, aber wir müssen runter von dem hohen Thron. Wir müssen die Menschen besuchen, auf der Straße, unter den Brücken. Wir müssen auch die Glaubwürdigkeit zeigen. Ich muss überzeugt sein, dass ich glücklich bin als Priester, um diese Glaubwürdigkeit weiterzugeben. 

Sie leben hier auf dem Gebiet eines der reichsten Bistümer der Welt Ist das ein Problem?

Ich weiß nicht, ob das eine Katastrophe ist oder ein Segen ist, aber ich wünsche mir, dass nicht erwähnt wird, wieviel Rücklagen man hat. Ich wünsche es mir eher, dass ich höre, dass man zu den Menschen geht, die Obdachlosen unter die Brücken besucht hat und sie mal zu Tisch eingeladen hat, zu einer warmen Suppe oder zu einer ordentlichen Unterbringung. 

Das ist für mich die supertolle Investition, nicht die Rücklage und nicht das viele Geld. Denn wenn sie vor dem Richterstuhl Gottes stehen, wird Petrus nicht uns in den Arm nehmen, weil wir eine supertolle Rücklage bei der Bank haben, sondern er wird sich freuen, wenn ich einen aus der Drogenszene, aus der Prostitution, aus der Kneipe oder aus irgendeiner anderen Sucht geholt habe.
Entscheidend ist, wie viele Seelen habe ich gewonnen, wie viele Menschen konnte ich retten? Wie viele Leute konnte ich ernähren? Was habe ich gemacht für die Kranken und für die Gefangenen und für die alleinstehenden Menschen und für die Verletzten und für die Deprimierten und für die Obdachlosen? Das würde mich persönlich eher faszinieren als nur die Milliarden in der Rücklage und der Überschuss.

Die koptischen Gemeinden in Deutschland gelten als sehr lebendig. Haben Sie ein Rezept dafür, warum das so ist?

Die Kirche ist der Mittelpunkt unseres Lebens. Dadurch, dass wir als Babys die Taufe, die Firmung und die Kommunion bekommen, werden wir als kleine Pflanzen in die Gemeinschaft eingepflanzt. Wir bekommen die Tradition und die Lehre mit der Muttermilch. 

Die Kirche ist der Mittelpunkt unseres Lebens. Wo eine Kirche ist, kommen die Leute und wohnen neben der Kirche oder umgekehrt. Wo die Leute wohnen, kommt die Kirche zu ihnen. Also die Kirche ist untrennbar vom Volk, und ein Hirte versteht sich mehr als Vater, denn als Theologe.

Was bedeutet für Sie Vater der Gemeinde?

Der Priester ist der Vater der Gemeinde. Er ist der Psychiater und Arbeitsberater, er ist der Eheberater und der Finanzberater. Er ist der Mittelpunkt in der Familie seiner Gemeinde. Wichtig ist es Wärme, Liebe, Gastfreundschaft und Herzlichkeit zu spenden. Auch die Bereitschaft, Menschen in Not zu helfen ist wichtig. Egal, ob es tagsüber oder nachts ist. Wenn jemand beichten möchte, dann muss man nicht lange warten, sondern unkonventionell und unkompliziert sein, dann kommt er und beichtet. Da braucht man kein Büro und keinen Terminkalender. 

Wir Priester müssen unsere Leute im Blick haben. Wir kennen die Leute, wir kennen ihre Geburtstage und ihre Namenstage. Wir helfen oft, machen Übersetzungsdienste, begleiten zum Arzt oder zum Rechtsanwalt oder zur Behörde. Alles das gehört dazu. 

Herr Bischof, herzlichen Dank für das Gespräch und die herzliche Gastfreundschaft in Ihrem Kloster.

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