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Es war Benedikt, der das Gesicht einer bußfertigen Kirche zeigte

Andrea Tornielli, Chefredakteur der Vatikanmedien, nimmt Stellung zu den Vorwürfen des Münchner Gutachtens gegen Benedikt XVI. – „Die Tagespost“ dokumentiert im Wortlaut.
Papst Benedikt XVI. : Bild der Buße ist der Kern seiner Botschaft
Foto: Patrick Seeger (dpa) | Nach seiner Wahl zum Papst habe Benedikt äußerst strenge Vorschriften gegen klerikale Missbrauchstäter sowie eigene Gesetze zur Bekämpfung der Pädophilie erlassen, betont Tornielli.

Nach der Veröffentlichung des Gutachtens stehen die Jahre des emeritierten Papstes als Erzbischof von München und Freising im Mittelpunkt des Interesses. In diesem Zusammenhang muss zu Recht an den Kampf Benedikts XVI. gegen Pädophilie von Klerikern erinnert werden sowie an seine Bereitschaft, den Opfern zu begegnen, ihnen zuzuhören und sie um Vergebung zu bitten.


Die Worte, die im Rahmen der Pressekonferenz zur Vorstellung des Missbrauchsgutachtens in der Erzdiözese München und Freising gefallen sind, sowie die 72 Seiten des Dokuments, das dem kurzen Zeitraum gewidmet ist, in dem Joseph Ratzinger Erzbischof war, haben in der letzten Woche viele Zeitungsseiten gefüllt und einige sehr scharfe Kommentare hervorgerufen. Der emeritierte Papst ist, unterstützt von seinen Mitarbeitern, den Fragen der Anwaltskanzlei nicht ausgewichen. Diese war von der Erzdiözese beauftragt worden, ein Gutachten zu erstellen, das einen sehr langen Zeitraum von Kardinal Michael von Faulhaber bis zum jetzigen Kardinal Reinhard Marx untersucht. Benedikt XVI. antwortete mit einem Text von 82 Seiten, nachdem er einen Teil der Dokumente aus den Diözesanarchive einsehen konnte. Wie vorherzusehen war, beherrschten Ratzingers viereinhalb Jahre an der Spitze der bayerischen Erzdiözese die Kommentare.

Die eindrücklichsten Worte sind nach wie vor die Worte Jesu

Einige der Vorwürfe waren bereits seit mehr als zehn Jahren bekannt und wurden bereits von wichtigen internationalen Medien veröffentlicht. Insgesamt gibt es vier beanstandete Fälle, und sein Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, hat angekündigt, dass der emeritierte Papst nach Abschluss der Prüfung des Gutachtens eine ausführliche Stellungnahme abgeben werde. In der Zwischenzeit jedoch ist die von Benedikt XVI. immer wieder bekräftigte Verurteilung dieser Verbrechen nachdrücklich zu betonen, und man sollte daran erinnern, was seit seinem Pontifikat in den letzten Jahren in der Kirche getan wurde.

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Kindesmissbrauch ist ein schreckliches Verbrechen. Der Missbrauch von Minderjährigen durch Kleriker ist vielleicht ein noch abscheulicheres Verbrechen, und darauf haben die beiden letzten Päpste unermüdlich hingewiesen: Es schreit vor dem Angesicht Gottes nach Vergeltung, dass Kinder Gewalt durch Priester oder Ordensleute erleiden, denen ihre Eltern sie zur Erziehung im Glauben anvertrauen. Es ist nicht hinnehmbar, dass sie Opfer von Sexualstraftätern werden, die sich hinter der Soutane verstecken. Die eindrücklichsten Worte zu diesem Thema sind nach wie vor die Worte Jesu: Wer den Kleinen Ärgernis gibt, sollte sich eher mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer stürzen.

Man darf nicht vergessen, dass Ratzinger in der letzten Phase des Pontifikats von Johannes Paul II. als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre und enger Mitarbeiter des Papstes das Phänomen bereits bekämpft hatte. Und nach seiner Wahl zum Papst erließ er äußerst strenge Vorschriften gegen klerikale Missbrauchstäter, eigene Gesetze zur Bekämpfung der Pädophilie. Darüber hinaus bezeugte Benedikt XVI. mit seinem konkreten Beispiel die Dringlichkeit des Mentalitätswandels, der so wichtig ist, um das Phänomen des Missbrauchs zu bekämpfen: den Opfern zuzuhören, ihnen nahe zu sein und sie um Vergebung zu bitten. Viel zu lange wurden missbrauchte Kinder und ihre Angehörigen auf Distanz gehalten, anstatt sie als verletzte Personen zu betrachten, die angenommen und auf dem Weg der Heilung begleitet werden müssen. Leider wurden sie oft weggeschickt und sogar als »Feinde« der Kirche und ihres guten Namens bezeichnet.

Bild der Buße ist der Kern der Botschaft Benedikts

Joseph Ratzinger war der erste Papst, der auf seinen Apostolischen Reisen mehrmals mit Missbrauchsopfern zusammentraf. Es war Benedikt XVI., der inmitten des Sturms der Skandale in Irland und Deutschland, auch gegen die Meinung vieler selbsternannter "Ratzingerianer", das Gesicht einer bußfertigen Kirche zeigte, die demütig um Vergebung bittet, die Bestürzung, Reue, Schmerz, Mitgefühl und Nähe empfindet.

Genau dieses Bild der Buße ist der Kern der Botschaft Benedikts. Die Kirche ist kein Unternehmen, sie wird nicht allein durch gute Praktiken oder durch die Anwendung strenger und wirksamer Normen gerettet, auch wenn diese unerlässlich sind. Die Kirche muss den um Vergebung, Hilfe und Rettung bitten, der sie als Einziger geben kann: den Gekreuzigten, der immer auf der Seite der Opfer und nie auf der Seite der Henker stand.

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Auf dem Flug nach Lissabon im Mai 2010 gestand Benedikt XVI. in aller Deutlichkeit ein: "Die Leiden der Kirche kommen gerade aus dem Inneren der Kirche, von der Sünde, die in der Kirche existiert. Auch das war immer bekannt, aber heute sehen wir es auf wahrhaft erschreckende Weise: Die größte Verfolgung der Kirche kommt nicht von den äußeren Feinden, sondern erwächst aus der Sünde in der Kirche. Und darum ist es für die Kirche zutiefst notwendig, dass sie neu lernt, Buße zu tun, die Reinigung anzunehmen; dass sie einerseits zu vergeben lernt, aber auch die Notwendigkeit der Gerechtigkeit sieht; denn Vergebung ersetzt die Gerechtigkeit nicht." Worte, denen konkrete Fakten im Kampf gegen die Geißel der Pädophilie von Klerikern vorausgingen und folgten. All dies
darf weder vergessen noch ausgelöscht werden.

Die Rekonstruktionen des Münchner Gutachtens, das wohlgemerkt keine gerichtliche Untersuchung, geschweige denn ein endgültiges Urteil darstellt, werden zur Bekämpfung der Pädophilie in der Kirche beitragen können, wenn sie sich nicht auf die Suche nach bloßen Sündenböcken und Pauschalurteilen beschränken. Nur wenn sie diese Risiken vermeiden, können sie zu einer Suche nach Gerechtigkeit in der Wahrheit und zu einer kollektiven Gewissenserforschung über die Fehler der Vergangenheit beitragen.

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