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Zukunft als Erbe

Liturgie ist im Verständnis Benedikts XVI. niemals eine esoterische Dreingabe, sondern vielmehr das sichtbare und klingende Vermächtnis Christi, dieser Welt jetzt schon eine greifbare Ahnung ihrer Vollendung zuteilwerden zu lassen, weswegen man ihr eben gerade nicht zu entfliehen braucht.
Schwenkendes Weihrauchfass in der Liturgie
Foto: JAN TEPASS (234651801) | Nach dem Tod Papst Benedikts XVI. glüht seine Vision einer Reform der Liturgie ganz offensichtlich in den Vielen weiter, die er prägte und inspirierte.

Dass eine Kellnerin aus Chicago den Barkeeper Fernand Petoit zur Kreation des berühmten Getränkes inspiriert hat, ist ebenso legendär wie die Behauptung, der Cocktail-Mix aus Tomatensaft, Wodka und Würzmitteln sei seiner Farbe wegen nach der Tochter König Heinrichs VIII. und ihrer recht blutigen Bekämpfung der Reformation in England benannt und hieße deswegen „Bloody Mary“. Die englische Königin, die 1553 die Thronfolge antrat, war als fromme Katholikin bemüht, die Trennung der englischen Kirche vom Heiligen Stuhl in Rom wieder zu sanieren und den katholischen Glauben wieder in die Herzen zu tragen. In der Pflege des blutrünstigen Images Marias I. wird gerne übersehen, dass es genügend Versuche gab, die Untertanen durch Überzeugung die Augen für die Quellen der wahren Religion zu öffnen. Blutigkeit war nicht in erster Linie das vornehmste Mittel der restaurativen Versuche der Königin, sondern eher deren letzte Konsequenz, an die die flüssige Legende des würzigen Pick-me-up-Longdrinks erinnert.

Nach fünf Jahren Regentschaft machte jedoch Marias Schwester, Elisabeth I., mit dem anstrengenden gegenreformatorischen Intermezzo ein schnelles Ende. Zu intensiv und nachhaltig war das reformatorische Gedankengut schon zuvor in die Seelen eingesickert und ließ den Versuch von Queen Mary, das Rad zurückzudrehen, als gescheitert in die Geschichte eingehen. Jenseits des karikaturesken Bloody-Mary-Images zeigt eine kleine goldene Medaille die Königin auf eine seriösere Weise in ihrer Rolle als Retterin des katholischen Glaubens und als Gegenreformatorin. Ihr Ehemann, Philipp II. von Spanien, hatte sie bei dem Gemmenschneider Jacopo Nizzola da Trezzo anlässlich ihrer beider Hochzeit 1554 anfertigen lassen. Auf deren Rückseite sieht man die Königin, wie sie Waffen verbrennt, umkränzt von der keineswegs agitatorischen Umschrift. „Cecis visus – timidis quies“ – „Den Blinden Sehkraft – den Ängstlichen die Ruhe“. Ungeachtet dessen steht Maria, die Katholische, für die Unmöglichkeit, den Selbstlauf einer Reformation mit äußeren Mitteln aufzuhalten.

Das restaurative Interregnum Benedikts XVI.

Man ist immer wieder geneigt, das Pontifikat Papst Benedikts XVI. als ein ähnlich restauratives Interregnum zu verstehen, das die Aufbrüche des Zweiten Vatikanischen Konzils zunichtemachen wollte. Für dieses Image sorgte symbolistisch nicht unwesentlich die in seiner Regierungszeit neu hervorgeholte traditionelle Ästhetik päpstlicher Liturgien und vor allen die im Jahre 2007 wieder für die allgemeine Praxis zugelassene „Alte Messe“. Es wäre falsch, diese äußeren Merkmale als nebensächlich zu apostrophieren. Denn in der Tat stand die dem Glaubensgut der Jahrhunderte verpflichtete Theologie Josef Ratzingers immer auch in einem liturgischen Zusammenhang – vielleicht allein deswegen, weil schon am Vorabend des Konzils die profane Gesellschaft, mit der für die Nachkriegszeit prägenden Entzauberung der Alten Welt, an ihren eigenen Wurzeln sägte und sich in der Abkehr von allem übte, was sie selbst hervorgebracht hat. Später reagiert das Konzil mit einem pauschalen Willen zur Öffnung von Fenstern und Türen, wobei es gleichzeitig unter der Hülle umständlicher Formulierungen die Antwort auf die Frage verschweigt, ob der Atem des Heiligen Geistes von innen nach außen dringen oder der Wind eines neuen Weltgeistes in das Innere der Kirche hineinwehen sollte.

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Papst Benedikt XVI., der als wichtiger Peritus am Konzil teilgenommen hatte und sicher als berufener Zeuge des Kampfes zwischen dessen Chancen und dessen Gefahren gelten kann, sollte den Versuch unternehmen, eine neue geistliche Durchlüftung der Kirche zu ermöglichen. Das Fenster, das er dazu öffnete, war in großer Eindeutigkeit das Fenster zum Jenseits, durch das man das Ziel alles Vergänglichen erblicken kann, wenn man in rechter Weise Liturgie feiert. Mit seiner stets wiederholten Betonung der Wichtigkeit liturgischer Vollzüge und ihrer stimmigen Form gab er seinem Pontifikat das unmissverständliche Gepräge von Schönheit und Heiligkeit. Man kann ohne Übertreibung in der Liturgie so etwas wie einen roten Faden erblicken, der als Anker aber auch als Kampfplatz seine Lebenszeit prägte. Anker und Kampfplatz, weil Liturgie als gebeteter Glaube stets das Korrektiv der Theologie ist und gleichzeitig der Nerv der Auseinandersetzung. Wo die Liturgie verändert wird, zuckt der Leib der Kirche empfindlich zusammen und blutet unter Umständen sogar aus den Wunden, die die Eingriffe in die Formen der Glaubensfeier für den Fortbestand des Glaubensbekenntnisses hinterlassen.

Keine esoterische Dreingabe, sondern das sichtbare Vermächtnis Christi

Hier öffnete schon der Theologe Ratzinger Anfang der 1980er-Jahre die Augen für die Gefahren der Formlosigkeit und der falschen Formgebung in der Liturgie etwa bei der Frage der Folgen der Zelebrationsrichtung oder der Form des Kommunionempfangs für den praktizierten Glauben an das rechte Christusbekenntnis und an die reale Präsens Gottes in der heiligen Messe, die nicht aus dem Willen der Feiernden, sondern aus Wirkmacht Gottes stammt. Die sensible Persönlichkeit Benedikts XVI., der schon als Kind ein hohes Einfühlungsvermögen für die Liturgie besaß und später das aus seiner bodenständigen Erziehung entnommene Empfinden für die Schönheit gottgemäßer Formen in theologische Abhandlungen goss, steht Pate für die Manifestation der untrennbaren Verbindung von Glaube und Form und damit von Feier und Bekenntnis eines inkarnierten Jenseits. Sein Anliegen bestand in der Aufpolierung des liturgischen Wesenskerns, der – ganz nach der ursprünglichen Absicht des Konzils – keinesfalls verändert als vielmehr neu sichtbar gemacht werden wollte.

Die stets zeitgemäße Verortung und Erdung des Glaubens in der Gegenwart – so war es die Überzeugung des Theologen Ratzinger – kann nicht gelingen ohne die zeitüberhobene Weise, dem Herrn zu singen und spielen. Die Emanzipation der Kultur von ihren Glaubenswurzeln, die Lostrennung vom religiösen Mutterboden macht sie auf eine vernichtende Weise fruchtlos.
Deswegen braucht die sichtbare Seite des Glaubens neben der Schönheit der menschlichen Seelen und ihrer guten Taten auch und besonders die Heiligkeit des Gottesdienstes als Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens und das heißt auch als Garant einer inspirierenden Welttauglichkeit. Liturgie ist im Verständnis Benedikts XVI. niemals eine esoterische Dreingabe, sondern vielmehr das sichtbare und klingende Vermächtnis Christi, dieser Welt jetzt schon eine greifbare Ahnung ihrer Vollendung zuteil werden zu lassen, weswegen man ihr eben gerade nicht zu entfliehen braucht.

Im Sinne der Verteidigung dieser Grundidee, dass die Zeit die Ewigkeit braucht, um nicht an sich selbst zu verzweifeln, und dass deswegen der Gottesdienst die vornehmste Insel der Rettung inmitten aller Vergänglichkeit ist, erhob Josef Ratzinger als Theologe und als Papst seine beständige Kritik an der Verflachung des Festes des Glaubens und an der missverständlichen bis missbräuchlichen Behandlung des Ritus als funktionale Performance. Er forderte in Liturgie und Kirchenmusik – hier schlug sein Herz mit hohem Puls – eine Umkehr zu den Quellen der Zukunft. Die darin liegende neue Inbesitznahme des liturgischen Erbes, das bis in die apostolische Zeit zurückreicht und sich über die Jahrhunderte und ihre diversen Aufklärungen, Emanzipationen und Paradigmenwechsel in seinem Kern als unwandelbar erwiesen hatte, fasste er in dem im Jahre 2001 geprägten Begriff der „Reform der Reform“ zusammen. Damit war mitnichten eine apparative Renovierung gemeint, sondern vielmehr genau dies: der immer wieder neue und erneuernde Erwerb des Erbes, das in der Zukunftsfähigkeit der Wahrheit besteht. Erben bedeutet in dieser Hinsicht eben gerade nicht, Vergangenheit zu erwerben, sondern Zukunft.

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Wahrheit kann immer wieder neu aufflammen

Auf dieser Linie liegt als eines seiner ersten, gerade von jungen Christen verstandenen Signale kurz nach der Übernahme seines Pontifikates die spontane Einführung der Eucharistischen Anbetung bei der Vigil des Kölner Weltjugendtages. Dies war der Beginn eines neu entfachten weltweiten Bewusstseins für den Wert der Anbetung Gottes, das bis heute in immer wieder neuen jungen Generationen das rechte Verhältnis von Gott und Mensch wachhält und ohne viele Worte erfahren lässt, dass der Mensch nie schöner ist, als wenn er anbetet. Auch die allgemeine Zulassung der „Alten Messe“ als forma extraordinaria des römischen Ritus ist ein solches Dokument der unmissverständlichen Gegenwärtighaltung des Heiligen in einer Welt der langen menschlichen Schatten. Diese liturgischen Wegmarken bezeichnen keineswegs die hilflose oder womöglich nostalgische Reconquista eines aus der Zeit Gefallenen. Es sind vielmehr die entscheidenden Angeln dieses Pontifikat, die das halten, was sie versprechen: Sie halten den wahren Gott gegenwärtig.
Nach seinem tragischen Rücktritt mögen diese Geschenke Papst Benedikts an die Kirche mitsamt der brutal demontierten päpstlichen Ästhetik als in der Asservatenkammer verschwunden erscheinen.

Jedoch zeigt die Geschichte der Kirche, dass die Wahrheit nicht zu Asche zerfällt, allenfalls zur Glut herunterbrennt, wenn man sich nicht um das Feuer kümmert, und deswegen immer neu aufflammen kann. Die englische Kirchengeschichte steht dafür ein, in der nach einer Wartezeit von dreihundert Jahren der bekämpfte und seinerzeit von Königin Maria scheinbar erfolglos beschworene wahre Glaube und seine liturgische gefeierte Schönheit wieder etabliert wurde. So liegt auch für die Kirche unserer Tage eine Hoffnung darin, dass nach dem nunmehr endgültigen Tod Papst Benedikts XVI. seine Vision einer Reform der Reform der Liturgie keineswegs wie eine versandete Gegenreformation im Sog der Entsakralisierungen verschwunden ist, sondern ganz offensichtlich in den Vielen weiterglüht, die er geprägt, inspiriert, bekehrt und gestärkt hat, als er den Blinden die Augen geöffnet und den Ängstlichen die Ruhe der in der Wahrheit Gelassenen vermittelt hat, die – wie er – von ihrer Zeit unverstanden bleiben.

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Guido Rodheudt Elisabeth I. Jesus Christus Katholikinnen und Katholiken Philipp II. Päpste Reformation der christlichen Kirchen Zweites Vatikanisches Konzil

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