Im Jahr 2022 wurde die erste repräsentative gesamtdeutsche Studie zum Thema „Multiple Bibelverwendung in der spätmodernen Gesellschaft“ durchgeführt. Was wissenschaftlich klang, war in der Sache leicht verständlich; ging es doch um die Frage, wie wichtig und alltagsrelevant den Deutschen die Bibel ist. Die Ergebnisse waren angesichts einer Gesellschaft, die sich immer weiter von ihren christlichen Ursprüngen entfernt, wenig überraschend. Zwar besitzen noch über 50 Prozent der Menschen in Deutschland eine Bibel, doch wird die schriftliche Grundlage des christlichen Glaubens nur noch von rund 30 Prozent der Menschen mindestens einmal jährlich in die Hand genommen. Tägliche und wöchentliche Bibellektüre stellen mit 1,6 Prozent und 3,2 Prozent die Ausnahme dar. Wenngleich der regelmäßige Umgang mit dem Buch der Bücher folglich nicht mehr gegeben ist, sind doch 63 Prozent der Deutschen der Ansicht, dass die Bibel auch heute noch wichtige Normen und Werte enthält.
Die aus religiöser Sicht durchwachsenen Ergebnisse der Studie verheißen für die Zukunft von christlicher Religion und katholischer Kirche in Deutschland nichts Gutes, vor allem dann, wenn sich diese Zukunft nicht in hinlänglich bekannten Reformdebatten erschöpft, sondern wieder den Kern des christlichen Glaubens, die Frohe Botschaft, in den Blick nimmt. Ganz nach dem bekannten Bonmot – im wörtlichen Sinne als guter Ausspruch verstanden – des Kirchenvaters Hieronymus: „Die Schrift nicht kennen, heißt Christus nicht kennen.“ Dabei weiß der große Gelehrte des 4. nachchristlichen Jahrhunderts, wovon er spricht. Denn wohl kaum ein anderer Theologe der kirchlichen Frühzeit hat sich zeitlebens derart intensiv und präzise mit der Schriftform und Bedeutung des Wortes Gottes auseinandergesetzt.
Benedikt XVI. stellte die Bibel in den Mittelpunkt
Benedikt XVI. brachte dies in seiner Katechesereihe über die Kirchenväter zum Ausdruck, als er in Hieronymus einen Kirchenvater sah, „der die Bibel in den Mittelpunkt seines Lebens gestellt hat: Er hat sie in die lateinische Sprache übersetzt, er hat sie in seinen Werken kommentiert, und er hat sich vor allem bemüht, sie während seines langen Erdendaseins konkret zu leben.“ Das große Bestreben des frühen Theologen war es folglich, den Sinn der Heiligen Schrift bestmöglich zu erschließen, um ihn im alltäglichen Leben desto vorbildlicher leben zu können; und dies, obwohl der spätere Kirchenvater charakterlich als herausfordernd galt. So charakterisiert ihn der Kirchengeschichtler und Patrologe Michael Durst wie folgt: „Hieronymus war eine faszinierende, aber wegen seiner Überempfindlichkeit, Reizbarkeit und sarkastischen Polemik auch schwierige Persönlichkeit. In ihm verband sich treue Kirchlichkeit mit asketischen Idealen, unermüdlichem Arbeitseifer sowie literarischer und exegetisch-theologischer Bildung.“
Dass der um das Jahr 347 in Stridon (im heutigen Kroatien) geborene Hieronymus tatsächlich von hoher Bildung war, lag auch an seinen christlichen Eltern, die ihn zum Grammatik- und Rhetorikstudium nach Rom schickten. Doch erwuchs in ihm die Liebe zum christlichen Glauben, weshalb er sich als junger Erwachsener taufen ließ und fortan sein Leben in den Dienst Gottes stellte. Zunächst lernte er in Trier das Mönchtum kennen, entschied sich dann aber – es war das Jahr 373 – in Antiochien Griechisch zu lernen, bevor er sich in der nordsyrischen Wüste als strenger Asket dem Erlernen des Hebräischen zuwandte.
Kontakt zu anderen bedeutenden Theologen der Zeit
Diese Etappen seines Lebens stellen die oben genannten asketischen Ideale des Kirchenvaters genauso unter Beweis wie seinen großen Arbeitseifer. Dass er in den verschiedenen Orten seines Wirkens immer auch dem Studium theologischer Schriften zugeneigt war und Kontakte zu anderen bedeutenden Theologen der Zeit – so beispielsweise 380/381 in Konstantinopel zu Gregor von Nazianz – knüpfte, erweiterte seinen Horizont. Und doch schien sein Werdegang gezielt auf das Werk hinauszulaufen, das zu seiner großen Lebensleistung werden sollte: die präzise Übersetzung der Heiligen Schrift ins Lateinische. Wie sehr diese Arbeit jedoch aus den besagten Kontakten und dem Ruf hervorging, den er sich als Theologe und Asket erworben hatte, zeigt die Tatsache, dass er sie im päpstlichen Auftrag ausführte. Denn als Teilnehmer der Synode in Rom im Jahre 382 wurde er kurzerhand von Papst Damasus I. zum theologischen Berater und päpstlichen Sekretär berufen. Er erhielt die Aufgabe, die vorherrschende lateinische Übersetzung der Bibel mit den Urtexten abzugleichen.
Durch die erworbenen Kenntnisse der griechischen und der hebräischen Sprache war ihm dies für das Alte und Neue Testament gleichermaßen möglich. Die daraus zu einem großen Teil entstehende Vulgata war derart präzise erarbeitet, dass sie bis in die Gegenwart als die offizielle lateinische Übersetzung der Heiligen Schrift gilt. Und doch blieb Hieronymus nicht in Rom, denn nach dem Tod Damasus’ I. im Jahre 384 trat nicht ein, womit er fest gerechnet hatte: dass er selbst den päpstlichen Thron besteigen würde.
Statt seiner wurde Siricius der neue Papst, was auch daran lag, dass Hieronymus zuvor offen den verweltlichten römischen Klerus kritisiert hatte. Der große Theologe, der durch seine Bibelübersetzung ein monumentales Werk geschaffen hatte, kehrte Rom den Rücken und unternahm eine Pilgerreise ins Heilige Land und nach Ägypten. Im Jahre 386 ließ er sich sodann in Betlehem nieder, wo er mehrere Klöster gründete und bis zu seinem Tod am 30. September 419/420 ganz nahe an dem Ort lebte, an dem Jesus Christus der Überlieferung nach geboren worden war.
Hieronymus wollte Frauen fördern
Aus dem langen Wirken des Kirchenvaters sind neben der Bibelübersetzung auch Dutzende von Predigten sowie in literarischer Hinsicht präzise formulierte Briefe überliefert, darunter ein bedeutender Briefwechsel mit dem heiligen Augustinus. Auch Kommentare zu biblischen Büchern, dogmatische Schriften sowie historische Werke wie eine von Hieronymus begonnene und später unter anderem von Isidor von Sevilla fortgeführte Patrologie über 135 christliche Autoren – darunter Hieronymus selbst – umfassen sein Gesamtwerk.
Nicht zuletzt betätigte er sich schriftstellerisch auch als christlicher Pädagoge und setzte sich dabei mit dem Wert einer ganzheitlichen Erziehung und der Stellung der Frau in der Gesellschaft auseinander. Benedikt XVI. resümiert diesbezüglich: „Ein für die Antike ziemlich unerwarteter, aber von unserem Autor als lebenswichtig betrachteter Aspekt ist darüber hinaus die Förderung der Frau, der er das Recht auf eine vollständige Bildung zuerkennt: menschlich, schulisch, religiös und beruflich.“
Bei alldem bildete für Hieronymus die Heilige Schrift das feste Fundament. Von ihr sollte das alltägliche Leben des Menschen durchdrungen sein. Alles Neue musste mit ihr als dem geoffenbarten Wort und Willen Gottes vereinbar sein. Denn nur auf dieser Grundlage war ein wahrhaft christliches Leben im Alltag möglich. Und auf dieses kam es Hieronymus an. Doch wehrte er sich andererseits entschieden gegen von subjektiven Interessen geleitete Interpretationen des biblischen Textes und betonte die unbedingte Treue zum kirchlichen Lehramt. Auch darin kann der frühe Theologe zum Wegweiser und Mahner in gegenwärtigen und zukünftigen innerkirchlichen Diskussionen werden, denn er war der festen Überzeugung: „Bei der Auslegung der Heiligen Schrift bedürfen wir immer der Hilfe des Heiligen Geistes.“
Der Autor ist katholischer Religionslehrer.
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