Das inständige Gebet ist ein bekanntes Motiv der christlichen Spiritualität. Das neutestamentliche Gleichnis vom ungerechten Richter und der unbequemen Witwe spricht aber nicht von einer bestimmten mystischen Gebetsform, sondern einfach von der beharrlichen Ausdauer im Beten. Um dies zu veranschaulichen, kommt es zu einer Gegenüberstellung der beiden Gestalten aus dem Gleichnis. Beide sind in der jüdischen Tradition sehr geläufig. Die Richter stehen im Alten Testament ständig unter Kritik wegen ihrer Ungerechtigkeit und der Beugung des Rechts zuungunsten der Schutzlosesten, die etwa kein Geld für Bestechung in Rechtssachen aufbringen können.
Demgegenüber zeigt Jesus die Witwe – in der Bibel neben den Waisen – Synonym für eine besonders vulnerable Person und Objekt der besonderen Fürsorge Gottes. Der durch Mangel an Gottesfurcht sündigende Richter lässt sich am Ende doch zum Einlenken bewegen, nicht aus Umkehr, sondern aus Bequemlichkeit. Dieses Faktum bildet für Jesus allerdings den Anlass, mithilfe der jüdischen Argumentationsfigur „um wie viel mehr“ das Handeln Gottes zu explizieren: Wenn schon der ungerechte Richter die Bitte erhört, um wie viel mehr erbarmt sich der gütige Gott seiner Auserwählten! Am Ende des Gleichnisses hingegen wird der Leser abrupt durch den dramatischen Ruf Jesu in Unruhe versetzt: „Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?“
Beten verleiht Gottesfurcht
So können wir das zuvor empfohlene Beten noch in einem anderen Sinne verstehen. Es handelt sich um den Zusammenhang von Gebet und Glaube. Letzterer ist in der Welt ständiger Anfechtung ausgesetzt. Keiner darf sich daher in Bezug auf seinen Glauben in Sicherheit wähnen. Wer sich nicht um dessen ständiges Wachstum kümmert, der riskiert, ihn ganz zu verlieren. Und eine vorzügliche Form der Sorge um den eigenen Glauben ist gerade das Gebet. Denn es nährt den Glauben, der wiederum zum Gebet anspornt.
Das Gebet ist eine Form des tätigen Glaubens, der Gottesbeziehung. Eine solche Haltung hilft auch, die Gottesfurcht zu gewinnen, die dem Richter gerade fehlt. In dieser Hinsicht steht er im Übrigen für einen weiteren schwerwiegenden Zusammenhang im Gleichnis: Die Rücksichtslosigkeit gegenüber Gott endet in der Rücksichtslosigkeit gegen den Menschen.
Für den Richter stellt Gott überhaupt keine Motivation für sein eigenes Verhalten gegenüber dem Nächsten dar. Der Säkularismus ist also offensichtlich nicht so harmlos, wie er manchmal daherkommt. Deshalb ein Appell an die heutige Kultur: Lasst uns den allmächtigen Gott aus unserem gemeinsamen Leben besser nicht ganz verabschieden. Denn dann läuft die Menschheit unweigerlich Gefahr, auch den Menschen zu vergessen.
Exodus 17, 8-13
2 Timotheus 3, 14-4, 2
Lukas 18, 1-8
Zu den Lesungen des 29. Sonntags im Jahreskreis 2025 (Lesejahr C)
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.