Die katholische Kirche gedenkt des heiligen Martins wie kaum eines anderen Heiligen. Man kennt ihn als den Soldaten, der seinen Wollmantel, die Chlamys, die Teil seiner Soldatenuniform war, mit einem Bettler teilte. Kinder geben diese Mantelteilung rund um dem Martinstag am 11. November in zahlreichen Inszenierungen zum Besten, bevor sie mit Laternen durch die Lande ziehen und Martinsgänse und andere Leckereien essen. Es ist ein echter Feiertag. Nur leider wird dieser Heilige auf die Mantelteilung reduziert.
Der heilige Martin war eine von mehreren Lichtgestalten des endenden 4. Jahrhunderts — einer Zeit, in der das römische Imperium und die Häresie des Arianismus sich zwar der theologischen Diskussion nach in ihren letzten Zügen befanden, die Kirche sich davon aber noch lang nicht ganz erholt hatte - und sich bereits neue Häresien unter dem Volk verbreiteten. Wie so oft in Zeiten der Krise gab es auch zu dieser Zeit Menschen, die aufgrund ihres christlichen Lebenswandels und ihrer engen Beziehung zum Herrn andere wieder in Kontakt mit Gott und der Lehre der Kirche brachten und die Kirche von innen her aufrichteten. Zu ihnen gehörte Martin von Tours.
Begründer des westlichen Mönchtums
Vom heiligen Martin ging eine Faszination aus, die allen Heiligen gemeinsam ist: Er ließ Christus so groß werden in seinem Innern, dass er selbst, das Licht der Welt, aus ihm in die Welt strahlte. Wie Jesus, der Tausende von Menschen anzog und von seiner neuen Botschaft überzeugte, sodass Massen sich taufen ließen. So zog Christus im Lauf der Geschichte Menschen auch durch Heilige an Sein Herz.
Der heilige Martin gilt als Begründer des westlichen Mönchtums, das im Laufe der Jahrhunderte für weitere Erneuerungen in der Kirche, in Orden und für verschiedene neue geistliche Bewegungen und apostolische Lebensweisen wichtig werden sollte. Er war ein Mann des Gebets und wirkte viele Wunder: Aussätzige wurden rein, Blinde konnten sehen, Lahme gehen,Tote wurden zum Leben erweckt. Sein Markenzeichen war, dass er asketisches Leben mit apostolisch-missionarischer Tätigkeit verband — und zwar schon bevor er sich als Soldat gegen den Willen seiner Eltern hatte taufen lassen.
Barmherziger Soldat
Als Sohn eines heidnischen römischen Militärtribuns sollte er mit 15 Jahren in die Fußstapfen des Vaters treten. Dies tat er zunächst auch, wurde Soldat und Leibwächter des römischen Kaisers Konstantin, aber er tat dies nicht aus Überzeugung. Bereits als Kind nahm er regelmäßig reißaus und traf sich heimlich mit Christen, um das Evangelium kennenzulernen. Und als Soldat bereitete er sich auf die Taufe vor; nicht bloß theoretisch, sondern auch ganz praktisch, indem er das Evangelium lebendig werden ließ und viele gute Werke tat. Er sorgte für Kranke, teilte Nahrung, Kleidung und Geld mit Armen, wodurch sich Herzen für die Verkündigung des Evangeliums öffneten. Er selbst behielt für sich nur das Nötigste.
In dieser Zeit vor seiner Taufe ereignete sich auch die berühmte Mantelteilung am Stadttor. Seine Militärskollegen waren aufs Äußerste empört. Es ziemte sich nicht für einen Soldaten, sich mit lausigen Lumpenkerlen abzugeben, geschweige denn, mit zerfetzter Uniform ins römische Lager einzuziehen. Sein Diener Demetrius soll gesagt haben: „Die Kälte hat dein Hirn verwirrt. Aus welcher Schlacht willst du denn kommen“ — mit einem so zerrissenen Mantel. Martin erwiderte: „Aus dem Kampf und die Not und das Elend unserer Brüder.“
Bischof Martin, ein wandernder Bettler
In der darauffolgenden Nacht erschien Jesus Martin im Traum - bekleidet mit dem halben Mantel. „Martinus, der noch nicht getauft ist, hat mich mit diesem Mantel bekleidet!" Bald darauf, nach drei Jahren Soldatendasein — Martin war 18 Jahre alt —, wurde er von Hilarius, dem späteren Bischof von Poitiers, getauft. Bis er aus dem Soldatendienst entlassen wurde, musste er allerdings bis zu seinem 40. Lebensjahr warten.
Dann aber legte er sofort alle Prunkgewänder ab und führte ein asketisches Eremitenleben, bevor er dann bis zu seinem Lebensende als begnadeter Missionar umherzog und besonders gern der heidnischen Dorfbevölkerung das Evangelium verkündete, auch dann noch, als er nicht ganz freiwillig Bischof von Tours wurde. Andere Kleriker wollten ihn nicht zum Bischof haben, dafür lief Martin ihnen zu verschlissen herum, wie ein Landstreicher.
Naserümpfend mussten sie zusehen, dass das Volk anders dachte und ihn zum Bischof von Tours wählte. Martin, der sich im Gänsestall versteckt hielt, wurde vom Geschnatter der Gänse verraten. Die Menschen, die mit Laternen nach ihm gesucht hatten, fanden ihn. Und Martin lenkte aus Gehorsam zum Willen Gottes ein, lebte aber weiterhin in Armut und wanderte wie ein Bettler umher, um an den Menschen Dienst zu tun.
Martin machte Götzen den Garaus
Er scheute keine Mühe, besonders, wenn es galt, das Denken der keltischen Bauern, in deren Wäldern Altäre des Teutates rauchten, von abergläubischen Vorstellungen zu befreien und anderen Götzen den Garaus zu machen. Außerdem wurde er Mönchsvater: Er gründete Klöster, darunter das berühmte Kloster in Marmoutier, das zu einem Zentrum asketischen Lebens und eine geistliche Schule für viele Bischöfe wurde.
Und schließlich trat Martin auch mutig vor Kaiser, um sich bei ihnen für die arme Bevölkerung einzusetzen oder ihnen den richtigen Weg zu weisen. Zu jener Zeit entwickelte das römische Imperium zunehmend Interesse an der christlichen Religion. Kaiser Maximus, der im Begriff war, den spanischen Irrlehrer Priszillian hinrichten zu lassen, predigte Martin beispielsweise die Liebe vor Gewalt, auch wenn der Verurteilte Häresien verbreitet hatte, denn Martin fand auch „Gold zwischen wertlosem Gestein". Gott wolle nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe. Der Kaiser lenkte zunächst ein. Als Martin abgereist war, ließ er sich aber wieder umstimmen.
Lebensbeispiel für echte Reform
Auch wenn er in diesem Fall nicht erfolgreich gewesen war, so kamen viele Menschen durch Martin zum Glauben. Wie vielen Martin zu Hilfe und Vorbild geworden war, wurde spätestens deutlich, als sein Leichnam auf dem Fluss von Candes, wo er am 8. November 397 starb, nach Tours überführt werden sollte: Der Legende nach haben ihn Tausende von Menschen am Ufer mit Lichtern in der Hand begleitet. Er wurde am 11. November in Tours beigesetzt .
Wie Gott den heiligen Martin berief, berief er zu anderen Zeiten immer wieder. Menschen, die auf große Herausforderungen der jeweiligen Zeit reagierten, indem sie das Evangelium neu entdeckten, in tiefer Christusverbundenheit lebten — und so die Substanz des christlichen Glaubens erneuerten, Krisen innerhalb der Kirche überwanden. Das ist echte Reform. Und so ist auch das Leben des heiligen Martin mehr als die legendäre Mantelteilung. Es ist ein leuchtendes Beispiel für das, was „ecclesia semper reformanda“ wirklich meint.
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