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Jesus im Talmud

Der Talmud spricht beiläufig über Jesus, aber nicht selten. In der jüdischen Mystik finden sich dagegen Aspekte des Göttlichen, die ein weibliches Gesicht Gottes offenbaren. Von Lorenz Jäger
Jesus im Talmud
Foto: Daniel Bockwoldt (dpa) | Über Jesus spricht der Talmud zwar eher beiläufig, aber keineswegs selten, und durchweg in herabsetzender Tendenz. So lautet die These Peter Schäfers, ehemaliger Direktor des Jüdischen Museums in Berlin.

Am 14. Juni legte Peter Schäfer, Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, sein Amt nieder. Vorausgegangen waren massive öffentliche Interventionen des israelischen und des amerikanische Botschafters sowie des Zentralrats der Juden. Der Anlass der letzten Querelen war ein Tweet des Museums gewesen, der die Entscheidung des Bundestags zur Initiative „Boycott, Divestment and Sanctions“ kritisiert hatte: Der Beschluss helfe „im Kampf gegen den Antisemitismus nicht weiter“. Aber alles kommt von weiter her. Anlässe sind nicht Gründe. 2008 erschien Peter Schäfers Studie „Weibliche Gottesbilder im Judentum und Christentum“ über das mittelalterliche kabbalistische Buch Bahir.

Schäfers wachsender Ruhm in der Judaistik mit kühnen Gedankengängen verbunden

Unter dem zehn „Sephirot“, die nach der Lehre der jüdischen Mystik jeweils einen Aspekt des Göttlichen bezeichnen, ist die „Schechina“ das weibliche Gesicht Gottes. Das war in der Erforschung der jüdischen Mystik unstrittig. Aber Schäfers Pointe lautete nun: Die Schechina sei unter dem Eindruck der katholischen Marienverehrung so prominent geworden, sei eine jüdische Antwort auf katholische Frömmigkeitspraktiken. Das war nun eine Herausforderung der Forschung, die es in sich hatte. Immer waren es sehr kühne Gedankengänge, mit denen Schäfers wachsender Ruhm in der Judaistik verbunden war. Er lehrte in Princeton und an der Freien Universität Berlin, wo er das Institut für Judaistik leitete.

Dieser katholische Christ ist ein Geisteswissenschaftler von Weltrang. Man horchte auf, wenn er mit einem neuen Buch hervortrat. 2007 erschien „Jesus im Talmud“. Schäfers These: Über Jesus spricht der Talmud zwar eher beiläufig, aber keineswegs selten, und durchweg in herabsetzender Tendenz. Solche Passagen sind indes nicht als historische Berichte über den wirklichen Jesus von Nazareth zu verstehen, vielmehr benutzen sie die Evangelien, um diese mit einer „Gegengeschichte“ zu konfrontieren. Hauptpunkt ist dabei der Vorwurf, Jesus sei ein Zauberer gewesen – und die Flucht nach Ägypten in Wahrheit eine Initiationsreise ins angestammte Zentrum antiker Magie.

Entscheidend aber ist die talmudische Darstellung der Hinrichtung Jesu

Weitere Kapitel widmet Schäfer dem missratenen Sohn, dem frivolen Schüler, dem Toralehrer und den Heilungen. Entscheidend aber ist die talmudische Darstellung der Hinrichtung Jesu am Vorabend des Passahfestes: „Jesus von Nazareth wird hinausgeführt, um gesteinigt zu werden, weil er Zauberei praktiziert und Israel aufgewiegelt und (zum Götzendienst) verführt (hiddiach) hat.“ Schäfer weist auf die Diskrepanz zu den Evangelien hin, nach diesen wurde Jesus – römisch – gekreuzigt, nach dem Talmud – gemäß jüdischer Rechtsauffassung – gesteinigt und gehängt. Die Pointe des Talmud sei es, das Verfahren gegen Jesus wieder ganz dem Judentum zurückzugewinnen.

Wer so schrieb, durfte keine Angst vor Vierteilung haben und musste sich wissenschaftlich seiner Sache sehr sicher sein. Schauen wir für einen Moment auf Schäfers Vorgänger im Amt des Leiters des Jüdischen Museums: W. Michael Blumenthal. Dieser war 1926 in Deutschland geboren worden; er emigrierte mit seinen Eltern in die Vereinigten Staaten, nachdem er während des Zweiten Weltkriegs im Getto von Schanghai über Jahre festgehalten worden war, wurde Finanzminister unter Präsident Jimmy Carter; ein politisches und wirtschaftspolitisches Schwergewicht, zudem in einer Lobbyorganisation wie dem American Jewish Committee gut vernetzt. Blumenthal war ein Repräsentant; Schäfer ist im besten Sinne ein gelehrter Dissident, dem mehr daran liegt, eingefahrene Vorstellungen in Frage zu stellen, als die wohlmeinende Kompromissformeln noch einmal zu verkünden.

Der Autor ist deutscher Soziologe, Germanist und Journalist.

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