Sofern der Gedanke an ein persönliches Gericht nach dem Tod noch vorhanden ist, verbindet sich damit oft die Vorstellung, dieser Moment biete die Gelegenheit, sich verteidigen und rechtfertigen zu können, um Dinge klarzustellen. Manche meinen gar, dass Gott ihnen dann Rechenschaft schuldet über erlittenes Leid, den Verlust lieber Menschen oder über andere Schicksalsschläge. Wie aber sieht das persönliche Gericht aus, das direkt auf den Tod folgt?
Im Neuen Testament finden sich darüber verschiedene Aussagen. Das Gleichnis von Lazarus und dem Reichen spiegelt eindrucksvoll wider, dass im Tod der Mensch gemäß der göttlichen Gerechtigkeit gerichtet wird. In der Erzählung hat dies grundverschiedene Resultate: Der eine wird gerettet, der andere verdammt (Lk 16,20-31). Dem guten Schächer am Kreuz, der bereut, umkehrt und den Herrn im letzten Moment seines Lebens annimmt, wird feierlich zugesichert: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). Hier wird deutlicht, welche Auswirkungen jene Entscheidungen haben, die im irdischen Leben getroffen werden. Der Hebräerbrief bekräftigt, dass auf den Tod das Gericht folgt (vgl. Hebr 9,27). Wie kann man sich dies konkret vorstellen?
Nichts bleibt verborgen
Im Moment des Todes trennt sich die Seele vom Leib und die Seele tritt sofort vor Gott, der Licht vom Licht ist. In diesem göttlichen Licht wird das ganze vergangene Leben offenbar und was dabei zutage tritt, ist unvergleichlich genauer als eine Magnetresonanztomographie. Nichts bleibt verborgen oder lässt sich verbergen, alles wird offenbar. Schon der Psalmist hat dies geschildert: „Herr, du hast mich erforscht und kennst mich. Ob ich sitze oder stehe, du kennst es. Du durchschaust meine Gedanken von fern. Ob ich gehe oder ruhe, du hast es gemessen. Du bist vertraut mit all meinen Wegen. Ja, noch nicht ist das Wort auf meiner Zunge, siehe, Herr, da hast du es schon völlig erkannt“ (Ps 139,1-4).
Ein Vergleich mag helfen, um das Gesagte besser zu verstehen. Wie in einem Film wird das ganze Leben vor Gott offengelegt – alle Gedanken, Worte und Werke, selbst die heimlichsten Gedanken. Der erste Johannesbrief bekräftigt: „Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm. Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben und doch in der Finsternis wandeln, lügen wir und tun nicht die Wahrheit. Wenn wir im Licht wandeln, wie er im Licht ist, haben wir Gemeinschaft miteinander und das Blut seines Sohnes Jesus reinigt uns von aller Sünde“ (1 Joh 1,5-7).
Vom göttlichen Licht durchleuchtet
Im Moment des Gerichts wird demnach das ganze Leben vom göttlichen Licht durchleuchtet, alles wird offenbar: das Gute wie das Schlechte. Wenn sich die Seele in der Gnade Gottes befindet, wird diese heller leuchten als das Licht. Wenn die Seele hingegen in schwerer Sünde verstrickt ist, die zu Lebzeiten nicht bereut wurde, umgibt die Seele Finsternis. Schon an dieser Stelle wird deutlich, warum die Seele, die mit schwerer Sünde behaftet ist, vor Gott nicht bestehen kann.
Das Lehramt der katholischen Kirche hat bekräftig, dass das Gericht direkt nach dem Tod folgt. Papst Benedikt XII. hat dies im Jahr 1336 in der Bulle „Benedictus Deus“ dogmatisch festgelegt. Der Katechismus fasst die Lehre vom persönlichen Gericht wie folgt zusammen: „Jeder Mensch empfängt im Moment des Todes in seiner unsterblichen Seele die ewige Vergeltung. Dies geschieht in einem besonderen Gericht, das sein Leben auf Christus bezieht.“ Daher schrieb Papst Benedikt XVI.: „Das Begegnen mit ihm [Gott] ist der entscheidende Akt des Gerichts. Vor seinem Anblick schmilzt alle Unwahrheit. Die Begegnung mit ihm ist es, die uns umbrennt und freibrennt zum Eigentlichen unserer selbst. Unsere Lebensbauten können sich dabei als leeres Stroh, als bloße Großtuerei erweisen und zusammenfallen.“
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