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Der Trainer an der Seitenlinie

Die Kirche will auf etwas Großes und Schönes hinweisen, auch wenn ihr Personal auf Erden dem Ideal selber nicht immer entspricht.
Frankfurts Trainer Oliver Glasner gestikuliert an der Seitenlinie
Foto: Carmen Jaspersen (dpa) | Frankfurts Trainer Oliver Glasner gestikuliert an der Seitenlinie.

Als mein Fuß den Rasen berührte, war mir, als könnte ich plötzlich eine Stimme hören. „Zieh deine Schuhe aus“, sagte sie, „denn du betrittst heiligen Boden.“ Natürlich war das Blödsinn. Dennoch zog ich meinen Fuß unwillkürlich zurück. Ich hatte soeben den Rasen des Sandygate-Road-Stadions berührt. Es steht in Sheffield, einer Stadt im Norden Englands, und ist – wie eine Plakette stolz verkünden – „THE OLDEST FOOTBALL GROUND IN THE WORLD“. Mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Befriedigung blickte ich auf jenen Platz, wo am 26. Dezember 1860 das frühste Derby der Welt zwischen dem ältesten Fußballverein der Welt, dem FC Sheffield, und dem FC Hallam stattfand.

Es braucht den, der an die einfachen Wahrheiten des Spiels erinnert

Der Platz sieht erschreckend unspektakulär aus. Und doch hatte hier alles angefangen. Vor meinem geistigen Auge sah ich mich, wie ich als kleiner Junge daheim in Franken zum ersten Mal mit dem Ball am Fuß über einen Fußballplatz stolperte, der ähnlich aussah wie dieser hier. Ich wurde größer und schneller, dann wieder langsamer und dicker, doch die Liebe zu diesem Sport ist geblieben. Was auch geblieben ist: Immer stand jemand am Spielfeldrand, dort, wo ich jetzt stand. Irgendein Fußballtrainer, der irgendetwas reinbrüllt. Doch am Ende gewinnt, wer mehr Tore schießt, und nicht zwangsläufig jene Mannschaft, die den besseren Trainer hat.

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Und trotzdem: Manchmal braucht es einen Trainer am Spielfeldrand, der einen an die einfachen Wahrheiten des Spiels erinnert. Jemanden, der eine gute Aktion aufmunternd kommentiert, lautstark über einen Fehlpass schimpft und dazu motiviert, nächstes Mal besser aufzupassen. Jemand, der in der Halbzeit wild auf der Taktiktafel herumkritzelt und alle dazu bringt, die Schmerzen und die Erschöpfung zu vergessen. Gleichzeitig ist der Trainer auch immer jemand, der sich notfalls zur Zielscheibe für die aufgebrachten Zuschauer macht, um die eigenen Spieler zu schützen.

Der Vergleich mit der Kirche drängte sich auf

Während ich so über die Aufgaben eines Trainers philosophierte, musste ich, möglicherweise berufsbedingt, an die Kirche denken. Natürlich ist die Kirche viel (viel, viel!) mehr als ein Fußballtrainer. Trotzdem drängte sich mir dieser Vergleich auf.

Wie oft musste ich auf Fußballtrainer hören, die selbst als Spieler nichts gerissen haben? Und wie oft versagen die Glieder dieser Kirche – wir alle – in kleinen wie in großen Dingen? Ich weiß das, Sie wissen das, die Welt da draußen weiß das. Alle wissen das. Warum also sollte sich noch irgendjemand etwas von der Kirche sagen lassen? Wie steht es um die moralische Autorität einer Institution, die nicht nur aus Heiligen besteht, sondern offensichtlich auch aus Sündern?

Es geht um Christus. Alles andere ist „nur Stroh“

Am besten bringt es ein altes, chinesisches Sprichwort auf den Punkt. Es lautet: „Wenn der Weise auf den Mond zeigt, sieht der Dummkopf nur den Finger.“ Es geht also nicht um den Finger, Dummkopf! Der Finger kann schmutzig, heuchlerisch und manchmal auch unangenehm sein (vor allem, wenn er auf mich zeigt). Ob es der berühmte Finger des Weisen aus dem chinesischen Sprichwort ist oder der nicht so berühmte Kreisliga-Trainer, der Sonntag für Sonntag an den Fußballplätzen dieser Republik steht und sich um Kopf und Kragen schreit: Beide möchten auf etwas hinweisen, was größer, schöner und vollkommener ist als sie selbst.

Das gilt nicht nur für die Kirche. So ist es auch mit der Bibel, so ist es auch mit den Priestern, die Sie kennen, mit den Religionslehrern, mit den zahlreichen kirchlichen Sozialprojekten und so ist es auch mit dieser Kolumne: Es geht um Gott. Es geht um Jesus Christus. Es geht um Sie. Alles andere ist „nur Stroh“, wie es Thomas von Aquin einst ausdrückte.

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