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Weniger-Konferenz in Augsburg: „Reise heimwärts“

Die Zukunft des Christentums? Die Augsburger Weniger-Konferenz nimmt ihre Besucher mit auf eine individuelle „Reise heimwärts“.
Weniger Konferenz 2023
Foto: Jakob Ranke | Charismatische Besinnlichkeit: Lobpreis mit 2000 Besuchern auf der Weniger-Konferenz 2023

Der Countdown auf den großen Leinwänden hinter der Bühne ist bei Null angekommen. Die gedämpften Gespräche ersterben in der dunklen, riesigen, kunstnebelgeschwängerten Halle. Scheinwerfer an. Unter dem großen goldenen Kreuz stehen zwischen Schlagzeug und Sprecherbühne je zwei junge Männer und Frauen in Schwarz. Ein gemeinsames Luftholen, und aus den meterhohen Lautsprechertürmen ertönt: Gregorianischer Choral. Die Antiphon „dixit autem pater“, die lateinische Fassung des Gleichnisses vom verlorenen Sohn, gefolgt von einer mehrstimmigen Vertonung des Psalm 84. Die Weniger-Konferenz 2023 ist eröffnet.

Rund 2000 Besucher aller Altersgruppen, vor allem jedoch zwischen 20 und 35 Jahren, haben bis zu 159 Euro ausgegeben, um an diesem grauen, kalten Januarmorgen in die grünlich erleuchtete, dämmrig-warme Messehalle Augsburg zu kommen, und an der ersten Großveranstaltung des Gebetshauses Augsburg seit Beginn der Corona-Pandemie teilzunehmen. Insgesamt werden es nach vier Tagen, in denen die zweitägige Konferenz zweimal hintereinander mit identischem Programm stattfindet, 4000 Teilnehmer sein - und damit deutlich weniger, als die etwa 12000 Besucher, die bei der letzten „Mehr“-Konferenz 2020 dabei waren. Bereits seit einigen Jahren organisiert das Team des überkonfessionellen, charismatisch geprägten Gebetshauses unter der Leitung des katholischen Theologen Johannes Hartl die zuvor stets wachsenden Veranstaltungen. Nach pandemiebedingter Pause 2021 und der ersten Weniger-Konferenz, die 2022 notgedrungen nur als Online-Format hatte stattfinden können, habe man auch in diesem Jahr Corona-Auflagen nicht ausschließen können. Daher, sagt Hartl, habe man eben aus der Not eine Tugend gemacht: „beschaulicher, besinnlicher, von allem ein bisschen weniger“. So sind in diesem Jahr keine Aussteller vertreten, es wird nur eine Halle bespielt. „Weniger Flair von Kirchentag und Ausstellermesse, mehr Exerzitiencharakter“, erläutert der Gebetshaus-Gründer.

Die Musik ist eigentlich Nebensache

Dem Choral folgt das Lobpreiskonzert der Gebetshaus-Sängerin Veronika Lohmer mit ihrer Band. Moderne deutsche und englische Lobpreis-Songs wechseln sich ab, ältere wie neuere. Die Besucher singen mit, strecken die Hände in die Höhe. Die Liedtexte werden auf den Großleinwänden gezeigt. Zu getragenen Synthesizer-Klängen legt Lohmer immer wieder Gebetspausen ein, wiederholt meditativ Refrains. Ankommen, loslassen, Gott Raum geben. „Lobpreis ist für mich wie ein Gespräch“ sagt Lohmer später. „Wie ein Raum, der sich öffnet, damit Gott hereinkommen kann, damit eine Begegnung mit Gott möglich ist. Da spielt die Musik eigentlich eine Nebensache.“

„Der Lobpreis von der Vroni war sehr stark prophetisch, und ich liebe die Freiheit, die sie im Lobpreis hat. Das ist für mich sehr inspirierend für unsere eigenen Gebetskreise, für alles was wir dann zuhause tun“ sagt der 29-jährige Kris, der aus Innsbruck angereist ist, wo er in einem katholischen Gebetskreis engagiert ist. Völlig selbstverständlich wird geduzt, unter den Besuchern genauso wie vonseiten der Veranstalter. Kevin aus Bern, in der Vineyard-Freikirche zuhause und selbst Schlagzeuger, meint: „Mir fällt auf, dass der Worship (Lobpreis) sehr professionell ist. Professionalität ist mein Frömmigkeitsstil“, fügt er augenzwinkernd hinzu. „Das macht es viel einfacher, anzubeten“.

In der Halle ziehen die Moderatoren zur Einstimmung auf den ersten Vortrag auf der Bühne ihre weißen Sneaker aus, wechseln in Adiletten und Birkenstocks. „Deine Reise heimwärts“ lautet das Motto der Konferenz. Dann folgt der erste Auftritt von Hartl. Seine insgesamt drei Vorträge bilden das inhaltliche Rückgrat der Veranstaltung. Die Menschen seien heute letztlich geistlich desorientiert, fühlten sich als „Waisenkinder in einem Universum, dem wir völlig egal sind“. Dennoch spürten wir das Richtige intuitiv. Anhand des Buches Exodus, des Auszugs Israels aus Ägypten, soll es also um das „Menschheitsthema“ heimkommen gehen – genauer, „aus etwas Altem auszuziehen was nicht gut ist, während das Neue noch nicht ganz da ist“.

Den inneren Pharao konfrontieren

Wie also geht das, der Weg vom falschen Leben ins Richtige? Hartl gibt dazu weniger Diagnosetipps (lebe ich denn falsch?), als Wegmarken und geistliche Hindernisse auf dem Weg zu identifizieren. Wie von Mose in seiner Berufungsgeschichte muss Einsamkeit ertragen, Scheitern verkraftet, Verantwortung übernommen, Untätigkeit überwunden, Vertrauen erwiesen und „Pharao“ konfrontiert werden. Pharao steht dabei symbolisch für die „Kräfte, die der Freiheit im Weg stehen“, erfährt der Besucher im zweiten Vortrag. „Das große Aber, das in dir aufsteht, wenn’s um die Frage geht, kannst du tun, was Gott von dir will, das ist dein Pharao.“ Finanzielle Bedenken etwa oder die Furcht um das Ansehen bei den Menschen. Hartl ermutigt in „Lektionen des Ausbrechens“, Gott an die erste Stelle zu setzen, und tatsächlich tätig zu werden. Natürlich könne man sich den Himmel nicht verdienen. Herbeidenken könne man ihn aber auch nicht. „Dem Pharao ist es völlig egal, ob die Hebräer abends heimlich Bibel lesen unter der Bettdecke – solange sie einfach nur brav in seiner Fabrik weiterarbeiten“. Im dritten Vortrag geht es schließlich um den Ausblick: „Auf uns wartet Gutes“. Gott sei ein Gott der Zukunft. Vergötzungen der Vergangenheit seien also genauso falsch wie Angst vor der Zukunft. Der Fokus müsse, wie im Leben Jesu, darauf liegen, was Gott jetzt gerade tue. Hartl nennt das „geistliches Manna sammeln“ – wie die Israeliten jeden Tag neu.

An die Vorträge schließen sich geleitete Gebetszeiten mit geistlichen Übungen an. Der Dreiklang aus Lobpreis, Predigt und Gebet, der ähnlich auch den Ablauf freikirchlicher Gottesdienste oder katholischer Gebetskreise prägt, funktioniert auch hier. „Ich bin hergekommen, um mir eine Auszeit zu nehmen, eine ganz intensive Zeit mit Gott zu erleben, mich neu erfüllen zu lassen vom heiligen Geist, und das habe ich tatsächlich erlebt. Ich habe sehr gute Vorträge gehört, die mich richtig gut ermutigt haben“, fasst die 49-jährige Claudia, evangelische Christin, ihre Erfahrung zusammen.

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 „Eine Form von christlichem Leben in der heutigen Zeit“

Der Gebetshaus-Gründer selbst resümiert: „Was hier passiert, ist eine Form von christlichem Leben in der heutigen Zeit. Ich muss heute natürlich an die Beerdigung für Papst Benedikt denken, der nicht müde geworden ist, darauf hinzuweisen, dass sich Kirchlichkeit und auch Christentum verändern wird. Vielleicht auch eine kleinere Herde sein wird, vielleicht auch sich außerhalb bekannter Strukturen neu sammeln wird. Und dazu wollen wir einen Beitrag leisten, ohne aber konfessionell zu vereinnahmen“.

Vor gotisch anmutenden eingeblendeten Hintergründen endet die Konferenz gleichwohl mit einem katholischen Gottesdienst unter Leitung des Augsburger Bischofs Bertram Meier, der sich über die Zusammenarbeit mit dem überkonfessionellen Erfolgsprojekt in seiner Diözese freut.

Nächstes Jahr, das hat Hartl angekündigt, soll es wieder eine MEHR geben. Die schon lange nicht mehr so kleine Herde der Gebetshaus-Fans jedenfalls dürfte, mit dem größeren Format - gegen den Trend - weiter wachsen. Auch eine weitere Weniger-Konferenz ist noch nicht ausgeschlossen: viele Besucher, so heißt es, hätten sich auch vom „besinnlicheren“ Format sehr angetan gezeigt.

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