„Ut unum sint“ – damit sie eins seien: Unter diesem Titel veröffentlichte Papst Johannes Paul II. am 25. Mai 1995, in jenem Jahr zugleich der Tag Christi Himmelfahrt, eine ökumenische Enzyklika, die ein bis heute noch unvollendetes Programm zur Einheit der Christenheit formuliert. „Damit sie alle eins seien“, so lautet im Johannesevangelium (17,21) Jesu Bitte an den Vater für alle, die an ihn, Christus, glauben. „Unumkehrbar“, so Johannes Paul II., habe sich die katholische Kirche seit dem II. Vatikanischen Konzil „dazu verpflichtet, den Weg der Suche nach der Ökumene einzuschlagen“. Die Einheit aller Christen und damit die Einheit der Kirche ist, wie die Enzyklika betont, „nicht etwas Nebensächliches, sondern steht im Zentrum“ des Wirkens Jesu Christi.
Fünf Hürden der Ökumene
Was aber sind die Hürden, die es zu überwinden gilt, um die orthodoxen und protestantischen Glaubensgeschwister im Sinne echter Ökumene zur katholischen Einheit zurückzuführen? „Ut unum sint“ identifiziert die entscheidenden fünf Themen, die für eine echte Ökumene untereinander zu vertiefen und zu klären seien: „1) die Beziehungen zwischen Heiliger Schrift als oberster Autorität in Sachen des Glaubens und der heiligen Tradition als unerläßlicher Interpretation des Wortes Gottes; 2) die Eucharistie, Sakrament des Leibes und Blutes Christi, dargebracht zum Lob des Vaters, Gedächtnis des Opfers und Realpräsenz Christi, heiligmachende Ausgießung des Heiligen Geistes; 3) die Weihe als Sakrament zum Dienstamt in seinen drei Stufen: Bischofsamt, Priestertum und Diakonat; 4) das Lehramt der Kirche, dem Papst und den in Gemeinschaft mit ihm stehenden Bischöfen anvertraut, verstanden als Verantwortung und Autorität im Namen Christi für die Unterweisung im Glauben und seine Bewahrung; 5) die Jungfrau Maria, Gottesmutter und Ikone der Kirche, geistliche Mutter, die für die Jünger Christi und für die ganze Menschheit Fürbitte leistet.“
Damit dürften in der Tat genau jene zentralen Punkte benannt sein, die aus theologischer Sicht der Ökumene im Wege stehen. Dass die katholische Kirche in den vergangenen fast 30 Jahren in dieser Sache nicht untätig gewesen ist, zeigt sich an einem Dokument, das dieser Tage – nämlich am Donnerstag, den 13. Juni – im Vatikan vorgestellt werden soll. Dabei soll es sich nach Vatikanangaben um ein von Papst Franziskus gebilligtes „Studiendokument“ mit dem Titel „Der Bischof von Rom – Primat und Synodalität in den ökumenischen Gesprächen und den Antworten auf die Enzyklika ‚Ut unum sint‘“ handeln. Darin sollen die lange gereiften Früchte jenes „brüderlichen, geduldigen Dialogs“ präsentiert werden, um den Johannes Paul II. in seiner ökumenischen Enzyklika so nachdrücklich geworben hatte. Die Ökumene-Abteilung des Vatikans hatte daraufhin, wie es unter anderem in einer Meldung der Katholischen Presseagentur Österreich (Kathpress) heißt, jahrzehntelang mit den verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften in eigens gegründeten Dialogforen diskutiert.
Synodalität bleibt Schlüsselbegriff
Was auf Betreiben von Johannes Paul II. begann, kommt nun mit Papst Franziskus zu einem ersten – wenn auch sicher nicht letzten – Abschluss. Die Handschrift von Franziskus ist im Titel bereits deutlich erkennbar: Synodalität, die bei den Ostkirchen von jeher eine große Rolle spielt, ist bekanntlich zu einem Schlüsselbegriff des gegenwärtigen Pontifikats avanciert. Im Lichte des neuen Dokuments erhellt auch die bis dato etwas rätselhafte Tatsache, dass Franziskus jüngst den von seinem Vorgänger Benedikt XVI. abgeschafften Papst-Titel „Patriarch des Westens“ wiederbelebt hat. Offenbar wollte der Pontifex damit im Vorfeld des neuen Dokuments ein ökumenisches Zeichen an die Schwesterkirchen im Osten senden.
Wie die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) berichtet, soll das Dokument letztlich „einen Vorschlag für eine erneuerte Form des Papstamtes“ unterbreiten, „die auch von den anderen Kirchen anerkannt werden könne.“ Man darf gespannt sein, ob dieses hochgesteckte Ziel letztlich erreicht werden wird.
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