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Moskauer Patriarchat im freien Fall

Seit Patriarch Kyrill den russischen Krieg gegen die Ukraine rechtfertigt, ist das Ansehen des Moskauer Patriarchats im freien Fall: nicht nur in der Ukraine, sondern weltweit.
Unabhängigkeit der ukrainischen Kirche
Foto: Mykola Lazarenko (Pool Ukrainian Presidential Pres) | Patriarch Bartholomaios gewährte der ukrainischen Orthodoxie die Autokephalie und ernannte Metropolit Epifanij (rechts) zu ihrem Oberhaupt.

Wladimir Putins militärischem Krieg gegen die Ukraine ging ein jahrelanger kirchlicher Krieg um die Ukraine voraus. Ein orthodoxer, um präzise zu sein: Das Moskauer Patriarchat beansprucht das Land als Teil seines kanonischen Territoriums, während die Ukrainer nach der staatlichen auch die kirchliche Eigenständigkeit (Autokephalie) erstrebten. Spaltung war die Folge: "In der Ukraine wurden Millionen orthodoxer Christen von Moskau zu Schismatikern erklärt. Diese Exkommunikation war kirchenrechtlich nicht legitim, denn diese Menschen wollten orthodox bleiben und lediglich autokephal werden", erklärt der griechisch-orthodoxe Theologe Grigorios Larentzakis im Gespräch mit der "Tagespost".

Moskauer Patriarchat erklärt Bartholomaios den Krieg

Nach langen Verhandlungen lud der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios, die gespaltenen Orthodoxen in der Ukraine zu einer Einigungssynode. "Die Anerkennung der ukrainischen Autokephalie durch den Ökumenischen Patriarchen war prophetisch, kirchenrechtlich korrekt und pastoral heilend", sagt Larentzakis. Die Spaltung überwand sie nicht: Ein Teil der Bischöfe und Gemeinden gehört nun zu der von Konstantinopel anerkannten, autokephalen Orthodoxie unter Metropolit Epifanij, der andere Teil zur "Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats" unter Metropolit Onufrij. Unversöhnlich, denn Moskau bestreitet Bartholomaios das Recht, die Autokephalie zu verleihen. Gegen alle Geschichte, denn jede Autokephalie wurde von Konstantinopel verliehen, "beginnend mit Moskau", so Larentzakis.

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Das Moskauer Patriarchat jedoch erklärte Bartholomaios den Krieg: Es hörte auf, den "Ersten" (Protos) der weltweiten Orthodoxie im Hochgebet zu nennen, kündigte einseitig die kirchliche Gemeinschaft und bricht nun mit jenen orthodoxen Kirchen, die den ukrainischen Primas Epifanij im Gebet nennen (kommemorieren) oder mit ihm zelebrieren. Das taten bisher die Kirchen von Griechenland, Zypern und Alexandria. Weil Alexandria aus orthodoxer Sicht für ganz Afrika zuständig ist, rächt sich das Moskauer Patriarchat, indem es zwei Diözesen in Afrika gründet. "Moskau behauptet, die Kirche von Alexandria sei nun ebenfalls schismatisch und ihre Gläubigen außerhalb des Heils! Tatsächlich ist das ein Racheakt", meint Larentzakis. Der orthodoxe Theologe wirft Moskau Erpressung vor: "Moskau sagt, wenn das Patriarchat von Alexandria die Anerkennung der ukrainischen Autokephalie zurückzieht, wird es keine russischen Diözesen in Afrika geben. Die Haltung des Moskauer Patriarchats sprengt jede kirchliche Ordnung!"

Mit Geld und Angst

Die russische Expansion in Afrika ist kein Einzelfall. "Das Moskauer Patriarchat hat immer versucht, seine Grenzen zu erweitern", sagt Larentzakis. "Diese Tendenz gibt es schon lange. Sie hat Spannungen in Jerusalem und auf dem Berg Athos ausgelöst. Viele Diözesen in Serbien, Griechenland und Zypern erhalten viel Geld aus Russland." Von "fragwürdigen Abhängigkeitsnetzwerken" spricht gegenüber dieser Zeitung auch der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Bayern (ACK), der griechisch-orthodoxe Theologe Georgios Vlantis. "Die Zurückhaltung etlicher Kirchen, was die Anerkennung der Autokephalie der Kirche der Ukraine angeht, ist nicht auf theologische Gründe zurückzuführen. Sowohl Angst als auch die Versuchung des Geldes spielen eine wichtige Rolle." Keine Kirche wolle, dass auf ihrem Gebiet eine parallele russische Jurisdiktion entsteht   wie derzeit in Afrika. Vlantis weiter: "Für mehrere Kirchen ist der russische Pilgertourismus eine wichtige Einkommensquelle." Angst und Geld bilden eine "Dimension der Erpressung", meint Vlantis.

Damit schien die russische Orthodoxie, machtpolitisch betrachtet, relativ erfolgreich: Nur drei von 14 eigenständigen Orthodoxien folgten dem Ökumenischen Patriarchen in der Anerkennung der ukrainischen Autokephalie, aber viele kritisierten seine Entscheidung. Zugleich brach außer Moskau niemand die Kirchengemeinschaft mit ihm ab. Doch dann fiel Russland am 24. Februar in der Ukraine ein   und das Moskauer Patriarchat rechtfertigte Putins aggressiven Vernichtungsfeldzug. "Durch diesen Krieg, in dem russische Bomben auf Christen und Kirchen jeder Jurisdiktion fallen, ist es psychologisch und menschlich unvorstellbar, dass Teile des ukrainischen Volkes Patriarch Kyrill weiterhin als ihr geistliches Oberhaupt betrachten können", meint Professor Larentzakis.

Sogar Metropolit Onufrij appellierte an seinen Chef in Moskau, auf ein Ende des Kriegs hinzuwirken. Vergeblich: Kyrill wettert stattdessen gegen den bösen Westen, der die russische Einheit wegen Russlands vermeintlicher Stärke bedrohe und den Ukrainern eingeredet habe, ein richtiges Volk zu sein. Russen und Ukrainer seien Brüder, sagt Kyrill, während russische Raketen die Städte der Ukrainer in Schutt und Asche legen. Eine "Invasion des Patriarchats von Konstantinopel in der Ukraine" diagnostiziert Kyrills Außenamtschef, der umtriebige Metropolit Hilarion, während die russische Invasion Tausende ermordet und Millionen in die Flucht treibt.

Glaubwürdigkeit Kyrills am Nullpunkt

Larentzakis meint, "dass die Glaubwürdigkeit von Patriarch Kyrill durch den Krieg und seinen Umgang damit am Nullpunkt angelangt" sei. Jetzt müsse Kyrill "an die eigene Brust klopfen und überlegen, wie er die Zerstörung von Wohnhäusern, Kirchen, Klöstern und Kunstdenkmälern mit seinem Gewissen vereinbaren kann". Ivan Reves, ein aus den USA stammender Priester der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, meint zu dieser Zeitung: "Kyrill geht seit Jahren konform mit der Ideologie der russischen Welt (Russki Mir), die die Ukraine als Bestandteil Russlands betrachtet." Weil die Christianisierung beider Länder mit der Taufe der Kiewer Rus im Jahr 988 einsetzte, sei es Kyrills Narrativ, Kiew als "Mutter aller russischen Städte" zu deuten.

In Mariupol sehe man jetzt "die Früchte von Russki Mir: zerbombte Wohnhäuser und Kirchen". Der Imperialismus der russischen Orthodoxie sei nicht christlich, so Reves. Er sieht neben dem ideologischen auch einen praktischen Grund für Moskaus Machtanspruch: "Die Westukraine war ein Brunnen der geistlichen Berufungen für das Moskauer Patriarchat." Tatsächlich ist die Religiosität in der Ukraine weit höher als in Russland, wo das orthodoxe Selbstverständnis sich in einer kulturellen Identifikation erschöpft. Zwischen zwei und vier Prozent gehen sonntags zur Messe. Das "heilige Russland" ist weithin Propaganda und Fassade.

Kirche der Besatzer

Eine Fassade, die immer tiefere Risse bekommt: Das Ansehen des Moskauer Patriarchats verfällt sogar im eigenen Land. 300 russisch-orthodoxe Theologen forderten Kyrill auf, seinen Ton zu ändern. Ein Bischof war nicht darunter. Im Reich Putins ist Mut Mangelware. Der russisch-orthodoxe Metropolit in Litauens Hauptstadt Vilnius zählt zu Kyrills klarsten Kritikern. Auch Georgiens bislang Moskau-höriger Patriarch Ilia weist Kyrill rhetorisch in die Schranken. "Georgien hat Angst, dass die russische Orthodoxie ihre Strukturen auf Abchasien und Südossetien ausweiten wird", weiß der orthodoxe Theologe Vlantis. Tatsächlich stehen seit 2008 russische Truppen in diesen beiden Separatistengebieten Georgiens.

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Vlantis gibt auch zu bedenken: "Wenn Russland die gesamte Ukraine erobern würde, dann würde die autokephale Kirche zur Katakombenkirche. Die Diskriminierung, ja Verfolgung dieser Kirche auf der Krim lässt nichts Gutes erwarten." Tatsächlich geht Russland auf der Krim wie in den Separatistengebieten von Donezk und Luhansk brutal gegen Autokephale, Katholiken, Baptisten und andere religiöse Minderheiten vor. Von Religionsfreiheit kann unter Moskaus Knute keine Rede sein.

Kirchliche Strukturen Moskaus in der Ukraine bröckeln

Der junge Priesteramtskandidat Dmytro, der zur "Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats" gehört, sieht, dass sein Metropolit Onufrij seit Kriegsbeginn gegen den Krieg und für die ukrainische Armee betet, während sein Patriarch Kyrill zeitgleich den Krieg rechtfertigt und der russischen Armee eine Gottesmutter-Ikone schenkt. "Onufrij sollte aufhören, Patriarch Kyrill zu kommemorieren", meint Dmytro im Gespräch. Onufrij habe zuletzt Kyrill nicht mehr als "hochwürdigsten Herrn und Vater" bezeichnet, sondern nur als "Patriarch", freut er sich. Nach dem Krieg solle Moskau die ukrainischen Gläubigen seiner Jurisdiktion in die volle Selbstständigkeit entlassen, hofft Dmytro, der sich persönlich nicht vorstellen kann, zu den Autokephalen zu wechseln.

Andere gehen diesen Schritt bereits: Mehr als hundert Gemeinden und mehrere Klöster wechselten von Moskaus Orthodoxie zu der von Konstantinopel anerkannten Orthodoxie. Deren Metropolit Epifanij hat Kleriker, Klöster und Gemeinschaften in der Ukraine, die noch dem Moskauer Patriarchat angehören, zur Wiedervereinigung eingeladen. Eines staatlichen Eingreifens, wie es manche Politiker in der Ukraine erwägen, bedarf es gar nicht: Die kirchlichen Strukturen Moskaus in der Ukraine bröckeln, die Glaubwürdigkeit ist verspielt. Durch Kyrills Schulterschluss mit Putin ist die russische Orthodoxie zur Kirche der Besatzer und Aggressoren geworden.

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Stephan Baier Bischof Exkommunikation Russlands Krieg gegen die Ukraine Kriegsbeginn Orthodoxe Kirche Wladimir Wladimirowitsch Putin

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