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Gabriel Possenti: Seelsorger auf dem Sterbebett

Der heilige Gabriel Possenti gilt als „bekehrter Tänzer“. Doch in Wirklichkeit sah sein Weg in Stille und Demut ganz anders aus. Er starb vor 160 Jahren, nachdem er seine Krankheit als Gnade Gottes angenommen hatte.
Gabriel Possenti
Foto: wikipedia | Gabriel Possenti wurde ohne viele Worte heilig.

Was macht einen Heiligen zu einem Heiligen? Wohl kaum der „hohen Taten Ruhm“, der wie ein Traum vergehen muss, wie Andreas Gryphius in einem berühmten Sonett gedichtet hat. Im Gegenteil: Heiligkeit gedeiht in Stille und Demut, bevor sie auf Andere auszustrahlen beginnt. So war es etwa bei der „kleinen“ Thérèse von Lisieux, die davon überzeugt war, dass man zu Gott in kleinen Schritten gehen kann, ohne große Gesten oder Taten. Es war der „kleine Weg der Liebe“, den Thérèse lehrte. Ihre Autobiographie wurde als „Geschichte einer Seele“ zum Bestseller. 1997 erhob Johannes Paul II. sie gar zur Kirchenlehrerin.

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Ein bekehrter Tänzer 

Nicht einmal ein Tagebuch hinterließ der heilige Gabriel Possenti. Nur einige Briefe und Aufzeichnungen haben sich erhalten – und trotzdem wurde er 1908 von Pius X. selig- und 1920 durch Benedikt XV. heiliggesprochen. Und das ist es, wofür der vor 160 Jahren am 27. Februar 1862 Verstorbene steht – Heiligwerden ohne große Worte.

Am 1. März 1838 wurde Gabriel als Sohn von Sante Possenti, einem hohen Beamten des Kirchenstaates und damaligen Bürgermeister von Assisi, über dem Taufbecken des heiligen Franziskus auf dessen Namen getauft. Francesco Possenti verlor früh seine Mutter Agnese, mehrere seiner 12 Geschwister überlebten das Kindesalter nicht. Trotzdem soll er ein lebenslustiger, ja geradezu spitzbübischer Junge gewesen sein, der die Straßen von Spoleto unsicher machte, wo der Vater seit 1843 eine neue Stellung übertragen bekommen hatte. Aus seiner Hand sind Karikaturen seiner Mitschüler überliefert, die alles ahnen lassen – nur nicht seine Berufung. Zugleich lebte er in einem tiefen Glauben und beschäftigte sich schon als Zwölfjähriger mit dem Gedanken, Mönch zu werden.

Eines aber ist sicher: Er war nicht der bekehrte Tänzer, als den ihn verschiedene Heiligenviten – auch die im deutschen Sprachraum bekannte von Wilhelm Hünermann – darstellen. Das 19. Jahrhundert, das im Herausarbeiten von Bekehrungen manchmal besonders drastisch war, machte aus der Tatsache, dass der junge Francesco auf einigen Bällen getanzt hatte, ohne Umschweife den allzu weltlichen Vergnügungen zugetanenen Jugendlichen. Zu Unrecht!

Ballerino

Der Spitzname „Ballerino“ war denn auch vielmehr die Projektion eines seiner Lehrer auf den gut aussehenden jungen Mann, der zudem immer bestens gekleidet war – worauf aber vor allem der Vater, wegen der herausgehobenen Stellung der Familie Possenti, großen Wert legte.

So können wir nur vermuten, wie sich die Berufung des jungen Possenti tatsächlich vollzog. Freilich: Der Vater war ein hoher Beamter Pius IX., zwei seiner Brüder waren Priester geworden und auch in der Verwandtschaft gab es Geistliche. Aber ist das eine Erklärung? Sein Vater hätte ihn lieber als Sekretär gesehen – in einer weltlichen Karriere, weswegen er auch versuchte, seinen Sohn von einem Eintritt ins Kloster abzubringen.

Zudem ist überliefert, dass sich der junge Possenti dazu entschied, Passionist zu werden, als er mit 18 Jahren die Ikone der Muttergottes von Spoleto sah, die der Erzbischof des Ortes durch die Straßen trug. Aber auch hier die Frage: Warum Passionist? Possenti besuchte das Jesuitenkolleg von Spoleto.

Heiligwerden ohne große Worte

In seiner Familie gab es Dominikaner, Franziskaner und Kapuziner, jedoch keine Passionisten. Der Orden galt zudem noch als besonders streng und asketisch. Das bewog Possentis Onkel, ein Kapuzinerpater, den feingliedrigen jungen Mann zu warnen: Deren Regel verlange noch mehr Entbehrungen als die der für ihr Armutsideal bekannten Kapuziner. Possenti blieb standhaft und trat 1856 – unmittelbar nach seinem Schulabschluss – in das Passionisten-kloster in Morrovalle in den Marken ein. Seine Wahl sollte sich zutreffend erweisen.
Die Klosterpforte hatte ihm Pater Norberto Cassinelli (1829-1911) geöffnet, der in den kommenden Jahren sein ständiger Begleiter und Seelenführer sein sollte. Cassinelli wurde just zum Leiter des Studienseminars in Pievetorina ernannt, als Possenti dort 1858 sein Theologiestudium begann. Zusammen mit seinen Studenten floh er 1859 vor den Truppen des Risorgimento nach Isola del Gran Sasso d?talia in den Abruzzen, einem Kloster, das noch der heilige Franziskus gegründet hatte. Pater Norberto wachte auch am Totenbett des Heiligen und versah ihn mit den Sterbesakramenten.

Unter anderem durch die Berichte Pater Norbertos ist überliefert, wie sich das Heiligwerden Gabriel Possentis vollzog: Durch Maria und … seine Krankheit. Die Passionisten legen neben den drei evangelischen Räten – Keuschheit, Armut, Gehorsam – ein viertes Gelübde ab: das Andenken und die Verehrung des Leidens und Sterbens Christi zu fördern. Dem fügte Gabriel Possenti noch die Leiden der Addolorata hinzu, die Schmerzen der Gottesmutter. Bei seiner Einkleidung hatte er den Ordensnamen „Gabriel von der schmerzhaften Jungfrau“ angenommen. Von seiner Liebe zu Maria zeugt das 1861 verfasste „Simbolo della Madonna“ – das Credo unserer Lieben Frau – in dem er die Lehre der Kirche über Maria in zu Herzen gehende Worte fasste.

Eine Freude

Schon in Pievetorina hatten sich erste Anzeichen der Tuberkulose gezeigt, die so schnell ihr Werk verrichtete, dass seine Angehörigen entsetzt waren, als sie ihn wiedersahen. Aber alle Überredungskünste halfen nichts! Gabriel Possenti bestand darauf, sein Gelübde zu erfüllen und die Krankheit als Gnade Gottes anzunehmen – und als Möglichkeit, sie aufzuopfern. „Mein Leben ist eine einzige Freude“, schrieb er einmal seinem Vater.

Mitte Februar 1862 nahte schließlich das Ende. Die Mitbrüder drängten sich im Krankenzimmer, um mit dem Sterbenden zu reden, der sie tröstete und – ohne Priesterweihe, die aufgrund der politischen Wirren immer wieder verschoben werden musste – zu einem Seelsorger auf dem Sterbebett geworden war. Fast scheint es, als sei er in den neun Tagen seines Sterbens endgültig zum Heiligen geworden.

Der kleine Weg

Obwohl Gabriel Possenti gemäß seiner Ordensregel in großer Zurückgezogenheit lebte, verbreitete sich sein Ruf schnell. Dafür sorgten die Mitbrüder und die Gläubigen, die ihm begegnet waren. Aufgrund seiner Krankheit hatte er die Erlaubnis zu ausgedehnten Spaziergängen erhalten, bei denen er sich auch mit den Menschen, die er traf, unterhalten durfte. So wie Therese von Lisieux den „kleinen Weg der Liebe“ lehrte, lehrte Gabriel Possenti die Kunst des Sterbens und die Hingabe an die Schmerzensmutter. Er ist ein Heiliger der Stille und der Demut. Er verkörpert damit ein Charisma, dessen die Kirche gerade heute – und vielleicht mehr denn je – dringend bedarf.

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