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Das 20. Türchen

Die alttestamentliche Weissagung der Geburt des Immanuel – des „Gott mit uns“ – führt tief in das Geheimnis der Menschwerdung hinein.
Das 20. Türchen des Tagespost-Adventskalenders
Foto: DT / Imago / Arcaid Images | Das 20. Türchen des Tagespost-Adventskalenders.

Liebe Leserinnen und Leser,

was ist dieser geheimnisvolle und mächtige Schlüssel Davids, von dem die Kirche in der heutigen O-Antiphon singt? Bei Jesaja hören wir außerdem von der Weissagung der Jungfrau, die ein Kind namens Immanuel – „Gott mit uns“ – gebären wird. Eine uralte Abbildung des Jessebaums lässt uns auch in dieser Hinsicht einige Lichter aufgehen.

Nur noch fünf Tage bis Weihnachten – das Kind in mir wird langsam zappelig!

Ihre Franziska Harter 
Chefredakteurin


MIT DER BIBEL DURCH DEN ADVENT

Tageslesungen:
Jes 7,10–14
Lk 1,26–38

Immanuel – Gott mit uns

Eine alttestamentliche Weissagung, die über das Neue Testament bis ins Hier und Heute deutet   Von  Tobias Häner

In einer Zeit der Not und der Bedrohung spricht der Prophet Jesaja das Wort des Trostes und der Bestärkung: „Immanuel – Gott mit uns“ (Jes 7,14). So soll das Kind – gemeint ist wahrscheinlich der Sohn und einstige Nachfolger des Königs Ahas, zu dem Jesaja spricht – genannt werden. Der sprechende Name, den das Kind tragen wird, verheißt Zukunft und Hoffnung.

Doch der Name birgt noch eine tiefere Bedeutung. Er erinnert an das Gespräch zwischen Gott und Mose auf dem Berg Sinai, nachdem das Volk das Goldene Kalb angefertigt und begonnen hat, es als seine Gottheit zu verehren. In dieser abgrundtiefen Krise bittet Mose, Gott möge dem Volk vergeben und weiter „mit uns“ – mit ihm und den Israeliten – den Weg gehen bis in das Land der Verheißung. Und Gott geht auf Moses Bitte ein und sagt zu, bei dem Volk, das soeben den Bund mit ihm gebrochen hat, zu bleiben: „Mein Angesicht wird mitgehen.“ (Ex 33,14) Gott geht mit uns, den Sündern. Gott geht mit uns, obwohl wir uns als unzulänglich erwiesen haben.

Hier auch zum Anhören:

Audio

Als der Engel Josef ankündigt, seine Braut Maria werde einen Sohn gebären, verweist er auf die Immanuel-Weissagung Jesajas (vgl. Mt 1,23). Doch erst ganz am Ende, im letzten Vers des Matthäusevangeliums, erschließt sich der tiefere Sinn der Bezeichnung von Marias Sohn als „Immanuel“. Es geht auch hier wiederum um ein Mitgehen. Und wiederum sind wir auf einem Berg. Die Apostel sind dort beisammen, als Christus, der Auferstandene, sie anweist, zu allen Völkern zu gehen, um ihnen das Evangelium zu verkünden, denn – so seine Zusage – „ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Gottes Mitgehen mit uns hat eine Richtung, ein Ziel. Die Zusage „Gott mit uns“ ist nicht nur ein Trost in unserer Einsamkeit und Verunsicherung. Sie ist ein Auftrag, Gottes Gegenwart in der Welt zu bezeugen.

Der Autor ist Lehrstuhlinhaber für Einleitung und Exegese des Alten Testaments und Dialog mit den Kulturen des Vorderen Orients an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT).


WEIHNACHTEN IM BILD

Kirchenfenster Saint-Denis
Foto: Imago / Arcaid Images | Das Buntglasfenster (ca. 1140–44) stammt aus dem Chorumgang der Kathedrale von Saint-Denis nördlich von Paris.

Der Jessebaum

Ein Bild – wie gemacht für unsere Zeit ökologischer Neubesinnung: Das Wurzelmotiv zeigt einen nachvollziehbaren Schöpfungszusammenhang  Von José Garcia

„Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht“ (Jes 11,1): Zu den eindrucksvollsten Bildmotiven des Advents gehört auch der Jessebaum. Er führt zurück zu jener Verheißung des Propheten Jesaja, dass aus dem Wurzelstock Isais ein neuer Spross hervorgehen werde. Jesse oder Isai war der Vater des Königs David und damit der Stammvater der königlichen Linie, aus der der Messias hervorgehen sollte.

In der christlichen Kunst entfaltet sich daraus seit dem Hochmittelalter eine kraftvolle Genealogie: Jesse, der Vater Davids, ruht am unteren Bildrand, aus seinem Leib entspringt ein Baum, dessen Äste die Könige Israels tragen und der sich schließlich in Maria und dem Christuskind vollendet. Der Jessebaum wird so zum sichtbaren Gleichnis einer Heilsgeschichte, die im Alten Bund wurzelt und in Christus ihre Vollendung findet.

Musterbeispiel der mittelalterlichen Lichtmetaphysik

Ein besonders frühes und prägendes Beispiel zeigt sich im Chorumgang der Kathedrale von Saint-Denis bei Paris. Unter Abt Suger, dem geistigen Architekten der Gotik, entstand ab 1140 ein Fenster, das die neue Lichtmetaphysik des Mittelalters mustergültig verkörpert. Die hohen, entmaterialisierten Wände öffnen sich zu farbigen Scheiben, in denen das göttliche Licht sinnlich erfahrbar wird. Der Jessebaum von Saint-Denis bildet den Auftakt dieser visionären Glasfolge: Könige und Propheten stehen auf kelchförmigen Ästen, Maria und Christus werden von sieben Tauben umgeben – Symbole der Gaben des Heiligen Geistes. Für die oft des Lesens unkundigen Gläubigen wurde das Fenster zu einer leuchtenden Theologie, zu einer Verkündigung in Farbe. Die mittelalterlichen Scheiben wurden während der Französischen Revolution beschädigt und von Eugène Viollet-le-Duc 1847–1848 restauriert.

Der Jessebaum weist über die Zeiten hinweg auf eine geheilte Welt hin, wie sie Jesaja voraussah: eine Schöpfung, in der Frieden und Gerechtigkeit wohnen. In der Adventszeit erinnert er daran, etwa in der zweiten O-Antiphon, dass Gott in der Geschichte Wege eröffnet, die menschliche Möglichkeiten übersteigen, und „aus der Wurzel Jesse“ neues Leben wachsen lässt.

Der Autor ist Historiker und schreibt aus Berlin über Kunst und Gegenwartskultur.


ADVENTLICHE KLÄNGE

Davids geheimer Schlüssel

Die Schloss-Symbolik eröffnet ein tieferes Verständnis zur chiffrierten, göttlichen Botschaft Von Barbara Stühlmeyer

Schlüssel gibt es in unserer Welt immer weniger. Zumindest solche, die man mit Händen greifen kann. Wenn man in früheren Jahrzehnten einen Schlüssel überreicht bekam, war dies ein gewichtiger Akt, die Verantwortung, die sich damit verband, spürbar. Heute haben wir viele Codes, die uns den Zugang zu WLAN-Netzwerken, Häusern und Websites verschaffen oder uns die sozialen Netzwerke erschließen. Wer auf diesem Feld professionell sein will, wählt immer neue, codifizierte Schlüssel oder entscheidet sich für ihre computergenerierte Abkürzung, für deren Funktion man dann die Gesichtserkennung oder den Fingerabdruck einsetzt.

Der Schlüssel Davids, von dem die vierte O-Antiphon singt, ist von anderer Art. Denn dieses besondere Instrument öffnet so, dass niemand schließen, und schließt so, dass niemand öffnen kann. Für den Schlüssel Davids gibt es keinen Ersatz. Er ist einmalig und multifunktional. Denn neben seiner aufschlussreichen Wirkung auf Schlösser wohnt ihm Kraft inne. Dieser Schlüssel wird in der Antiphon deshalb zugleich als Zepter bezeichnet, jener Stab, dessen Träger als Mensch ausgezeichnet wird, der an der Macht teilhat, der sie ausübt und dem möglich ist, was zu tun oder zu wirken anderen verschlossen bleibt.

Derjenige, der in den O-Antiphonen in vielfach verschlüsselter Form angerufen, dessen nahes Kommen beschworen wird, hat die Fähigkeiten, unwiderruflich zu öffnen und zu schließen, weil in ihm wirklich die ganze Fülle Gottes wohnt. Dass ein anderer als wir selbst im Besitz des und sogar selbst der Schlüssel ist, wirkt befreiend, aber auch aufrüttelnd. Denn es verweist darauf, dass der Kerker der Finsternis, von dem die Antiphon spricht, geöffnet, die Fessel des Todes aufgeschlossen werden kann. Dieser Aspekt ist das große Angebot des Christentums. Der Mensch ist zwar für sein Tun und Lassen verantwortlich, aber Erlösung ist möglich, ja sogar schon geschehen. Aber die Möglichkeit zum endgültigen Sichverschließen bleibt. Öffne den Kerker der Finsternis.

Die Autorin ist Theologin und Musikerin und schreibt über Kunst und Kultur.


 

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