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„Regeln für den Menschenpark“: Gescheiterte Zähmung des alten Adam

Vor zwanzig Jahren hielt der Philosoph Peter Sloterdijk seine viel beachtete Elmauer Rede "Regeln für den Menschenpark".

In der Millenniumsperiode sah sich Peter Sloterdijk auf dem Karrieregipfel. Der Philosoph und Kulturtheoretiker war auf dem Sprung, die Nachfolge des verstorbenen Kunsthistorikers Heinrich Klotz als Rektor der Karlsruher Hochschule für Gestaltung anzutreten – ein Ziel, das er nach einigen Kontroversen um seine Person auch erreichte. Um 2000 kam sukzessive sein dreibändiges „Sphären“-Werk auf den Markt, das die Globalisierung narrativ von ihren antiken Wurzeln her darstellt. 2002 startete die von ihm und Rüdiger Safranski moderierte ZDF-Sendung „Das philosophische Quartett“. 1999 fand sein auf Schloss Elmau (in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen) gehaltener Vortrag „Regeln für den Menschenpark“ große Resonanz.

Ethische Aspekte der Gentechnik betrachtete er in größeren philosophischen Zusammenhängen. Die Feuilletons waren im Spätsommer jenes Jahres voll von (meist negativen) Kommentaren und Berichten über den mäandernden Wortkünstler, der von der Sache rhetorisch mehr ver- als enthüllte.

Herbe Rückschläge für den Humanismus

Worum geht es in diesem Referat? Gentechnische Eingriffe werden im Allgemeinen mit dem Hinweis abgelehnt, sie tangierten den Kern des Humanen. Dieser Einwand provoziert jedoch Fragen der Essenz des Menschen, die seit der bereits im 19. Jahrhundert offenkundigen Krise der Seelenvorstellung und wegen der abgestuften Verwandtschaftsgrade zwischen Mensch und Tier immer schwerer zu benennen ist. Der Existentialismus in seinen distinkten Spielarten überführt den Zweifel an einem solchen Wesen auf die philosophische Ebene und sieht dieses nur im Vollzug des Daseins realisiert. Der Humanismus will das, was den Menschen zum Menschen macht, die humanitas, durch Bildung bewirken – ein jahrtausendealtes Domestikations-Unterfangen, das spätestens 1945 als gescheitert begriffen werden musste. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass bürgerliche wie christliche Humanismen nochmals für kurze Zeit eine Blüte erlebten, ehe sie 1968 als angebliche Wegbereiter des Faschismus einem allgemeinen Verdikt verfielen.

Sloterdijks Ausführungen beginnen nicht zufällig in der frühen Nachkriegszeit bei einem scheinbar Reuigen: Martin Heidegger hatte seine berühmte Humanismus-Kritik, die sich gegen Christentum, Marxismus und Existentialismus richtete, 1947 in einem Brief an den französischen Philosophen Jean Beaufret präsentiert. Sloterdijk verwendet für seine Anmerkungen die Form eines Antwortschreibens. Heidegger hatte als einer der wenigen begriffen, dass die Probleme des Humanismus durch diesen selbst hervorgerufen werden, nicht durch fehlende Verwirklichung seiner Postulate. Wie immer kryptisch mutiert der Mensch in dieser Perspektive zum „Hirten des Seins“, der seine zentrale Stellung in der Welt lieber nicht zu sehr hinausposaunen sollte.

Der Heidegger-Rezipient Sloterdijk begründet wortmächtig, dass der Verfasser von „Sein und Zeit“ in einer längeren Traditionslinie steht. Für seinen wichtigen Vorläufer Friedrich Nietzsche erscheint die Metaphysik durch die moderne Biologie als überflüssig geworden, wächst doch nun die Hoffnung, den Übermenschen real heranzuzüchten, statt bloß imaginär herbeizubeten. Ein dem oberflächlichen Fortschrittsoptimismus seiner Epoche abgeneigter Beobachter des Zeitgeschehens wie der zeitweise in Basel lehrende Philologe analysierte schon im 19. Jahrhundert den dünnen Firnis der Zivilisation.

Wenig Unterschiede zwischen Mensch und Tier

Besonders die Genese der Waffentechnik ließ keine Anhaltspunkte für einen evolutionär-besseren Menschentypus in der Gegenwart erkennen. Die Unterscheidung von Menschen- und Tierpark relativierte sich für den Darwin-Jünger. Von einer wesentlichen Differenz zwischen animalischer Perversion und menschlich-sittlichem Verhalten konnte im Jahrhundert Nietzsches nur wenig mehr als im darauffolgenden die Rede sein.

Doch Nietzsche war nicht der Erste, der über verschiedene Parks nachdachte, in denen sich der Mensch als „soziales Lebewesen“ wohl aufhalten muss – der meist diskutierte seiner Zeit (und weit darüber hinaus) heißt Nation. Bei Platon wird er hingegen Polis genannt. Immerhin brachte der Grieche den Unterschied zwischen beiden Gehegen auf den Punkt: Der Mensch ist demnach in der Lage, im Kollektivverbund eigenständig seine „Selbsthaltung zu regeln“, was nicht ohne Führergestalt funktioniert. Der Staatsmann in Platons Werk „Politikos“ ist natürlich Hirte. Tiere hingegen werden im Zoo passiv gehalten. Das bekannte Philosophenkönigtum in der Politeia umschreibt Sloterdijk als ausgestattet mit dem „züchterischen Königswissen“. In der Tat sind die eugenischen Stellen bei Platon berüchtigt. Sie entfachen besonders in einer Epoche gesteigerter Manipulationsmöglichkeiten des Erbguts viele Fantasien, die immer nur einen Schritt von der Verwirklichung entfernt sind. Sloterdijk ist nicht der Einzige, der sich darüber Gedanken macht, die bei ihm aber eher unausgegoren erscheinen.

Die Empörung richtete sich gegen das Vokabular

In der Tat ist für den Laien der neueste Erkenntnisstand der Biowissenschaften, der ohnehin schnell überholt ist, kaum überschaubar. Jüngst erreichten die Debatten über „CRISPR/Cas9“-Verfahren die Öffentlichkeit, die vor zwanzig Jahren noch unbekannt waren. Mittels dieser Methode sind etwaige Veränderungen des genetischen Codes leichter und billiger denn je. Hier könnte eine neu gehaltene Rede über „Regeln für den Menschenpark“ ansetzen. Die mediale Empörung darüber richtete sich mehr gegen das Vokabular als gegen die (nicht ganz klaren) Inhalte.

Es hat den Anschein, als betrachte Sloterdijk gentechnische Experimente als effizienter als die über Jahrtausende angestrebten Domestikationsbemühungen vornehmlich mit humanistischen Bildungsmethoden. Der von ihm geprägte Begriff der „Anthropotechniken“ deutet an, dass Menschen von früh an und auf vielfältige Weise in ihrer Geschichte versucht haben, Einfluss auf die Entwicklung der Gattung zu nehmen: beginnend mit dem Faustkeil über Brillen und Prothesen bis zum Aufschneiden des DNA-Stranges an einer bestimmten Stelle. Die Rechtfertigung von Interventionen aller Art liegt auf der Hand: Der naturwüchsige Verlauf sei immer schlechter als rational-geplantes Vorgehen. Wissenschaftskonstruktivisten halten es für unwahrscheinlich, dass gezielte Eingriffe in die Keimbahn zu unglücklicheren Menschen führen. Freilich gibt es in diesem Fall direkt Verantwortliche, was bei der herkömmlichen Zeugung nur in weitaus indirekterer Weise zutrifft. Zweifellos geht der Wandel so deutlich schneller vor sich als die herkömmliche Indoktrination auf dem humanistischen Gymnasium. Die Untersuchung der Wirkungsgeschichte von Goethe- und Cicero-Lektüre im Vergleich zu der der präzisen „CRISPR/Cas9“-Schnitte dürfte einmal interessante Aufschlüsse geben. Wahrscheinlich wird man zum Ergebnis kommen, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden.

Die Einwände gegen derart toxische Gedankengänge kamen von verschiedener Seite. Thomas Assheuer, der als Ghostwriter von Jürgen Habermas gilt, verfasste in der „Zeit“ eine viel beachtete Kritik. Habermas selbst sah später bei jüngeren Kollegen sogar ein ihn beängstigendes Neuheidentum zum Vorschein kommen. Der katholische Philosoph Robert Spaemann vermisste bei dem Attackierten wiederum das Rüstzeug und erteilte ihm den Vorschlag, sich entsprechende Kenntnisse aus der Bioethik anzueignen. Dennoch hat Sloterdijks Vortrag vielen Außenstehenden, wenn auch sehr provokativ, vermittelt, welches Sprengpotenzial in bestimmten gentechnischen Methoden steckt.

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