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Muss man aufhören zu denken, wenn man anfängt zu glauben?

Wie ist es möglich, dass Jesus wahrer Mensch und wahrer Gott ist? Man muss richtig von Gott und richtig vom Menschen denken. Und dann kann man auch glauben.
Römische Götter von Wenceslas Hollar
Foto: public domain | Menschliche Gottheiten gab es bereits bei den Griechen und Römern (hier die Götter von Wenceslas Hollar). Christen verstehen unter Inkarnation jedoch etwas völlig anderes.

Ja, in Jesus von Nazareth ist Gott, der Sohn, wahrhaft Mensch geworden; aber nein, man muss nicht aufhören zu denken, wenn man anfängt, das zu glauben – vielmehr umgekehrt: Man kann das nur glauben, wenn man richtig über Gott und Mensch denkt. Dann stellt sich allerdings die Frage: Jesus Christus – wahrer Mensch und wahrer Gott in einer Person – wie ist das möglich?

Nur wer groß genug vom Menschen denkt, kann Gott richtig denken und umgekehrt

Die Frage stellt sich gar nicht, wenn ich mir die Götter so vorstelle, wie die alten Griechen: im Wesentlichen als Menschen mit Superpower und Zugang zu einem Trank, der unsterblich macht. In Ovids Metamorphosen können die Götter auch in gewandelten, nicht menschlichen Gestalten auf Erden auftreten und sogar mit Menschen Kinder zeugen, die dann Halbgötter sind und in die Göttergemeinschaft auf dem Olymp eingeladen werden können. Christen werden darauf bestehen, dass mit der ,Inkarnation‘ etwas völlig anderes gemeint ist. Philosophen mögen darauf bestehen, ihr ,Denken‘ von den mythischen Vorstellungen anderer Religionen zu unterscheiden.

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Mythen setzten ja nicht den ,wahren Menschen‘ und den ,wahren Gott‘ voraus. Aber wer tut das schon? Es gibt viele Beispiele: Positivismus, Prozesstheologie, Atheismus, pantheistischer oder naturalistischer Monismus, Dualismus, Deismus, humanistischer Antitheismus – sie schließen die Möglichkeit der Menschwerdung Gottes aus, weil sie von vornherein Mensch und Gott falsch denken. Nur wer groß genug vom Menschen denkt, kann Gott richtig denken und umgekehrt. Schon Theophilus von Antiochien (gest. 183) fordert einen Gottesleugner mit den Worten heraus: „Zeige mir deinen Menschen, dann zeige ich dir meinen Gott!“

Um Antwort auf Menschheitsfragen geben zu können, müssen wir glauben

Philosophische Denker haben die großen Menschheitsfragen gestellt: Was ist der Mensch? Woher kommen wir, wohin gehen wir, was sollen wir tun? Nur zu einer überzeugenden Antwort kamen sie nicht. Denn niemand konnte den dreieinigen Gott erdenken und auch nicht, was er für den Menschen im Sinn hat. Allein Jesus Christus ist die vollkommene Antwort, indem er bezeugt, woher er kommt, wohin er geht, und dass wir ihm nachfolgen sollen, indem wir in ihm und in seinem Wort bleiben.

Wie Jesus Christus ,als wahrer Mensch wahrer Gott‘  ist, lässt sich genauso wenig ,erdenken‘, wie, dass er es ist – wir können nur denken, wozu er das ist. Aber um die wahre Antwort auf die Menschheitsfragen geben zu können, müssen wir glauben: Jesus Christus ist ,als wahrer Mensch wahrer Gott‘. Denken muss nicht aufhören an der Grenze des Unerdenklichen. Das weiß jeder: Nicht einmal eine Brücke zwischen unserem Geist und unserem Körper lässt sich erdenken – wer erklären könnte, wie meine Gedanken im Gehirn entstehen und zu Papier gebracht werden, würde entweder Geist oder Materie wegerklären. Um wieviel weniger können wir erdenken, wie es möglich ist, dass Jesus Christus  ,als wahrer Mensch wahrer Gott‘ ist – es genügt zu erkennen, dass er es ist, und zu bedenken, wozu er es ist!

Wir wissen, weil es Zeugen gibt

Eine weitere Grenze des ,Erdenkens‘ ist das Nicht-wissen-können und Nur-glauben-können von allem, was de facto jenseits meiner Erfahrung liegt, zum Beispiel die mir im Raum oder in der Zeit unzugänglichen Fakten: Das sind nicht nur alle Ergebnisse der Naturwissenschaften, die ich nicht selbst experimentell überprüfen kann, sondern natürlich alle Geschichte. Weil ich nicht dabei war, kann ich die Tatsache, dass der Sohn Gottes Mensch geworden ist aus der Jungfrau Maria vor zweitausend Jahren in Palästina, sowie die Tatsache, dass Robert heute Nachmittag in Wien war, nur wissen, weil es vertrauenswürdige Zeugen dafür gibt.

Es ist daher scientia testimonialis – Wissen aufgrund von Zeugnis. Glauben heißt: jemandem etwas glauben. Was man aus Eigenem (Erfahrung oder Erdenken) weiß, kann man einem anderen gar nicht glauben. Glauben hindert mich aber nicht am Bedenken, Nachdenken, am Zusammendenken mit anderem Wissen – das tut die fides quaerens intellectum – der Glaube, der zu verstehen sucht.

Bereitschaft zum Hören auf und zum Gehorsam gegenüber der Wirklichkeit

Manche nennen den Glaubensgehorsam ein sacrificium intellectus – ein Opfer des Intellekts. Heißt das, der Gläubige müsse seinen Verstand am Weihwasserbecken abgeben – weil er drei für eins halten muss in der Trinität, zwei für eins in der Inkarnation und eine Jungfrau für eine Mutter! Keineswegs: Jeder Denker muss seine Theorien durch die Wirklichkeit prüfen lassen – und umgekehrt muss er seine alten Denkgewohnheiten aufgeben, wenn sie sich nicht bewähren. Das gilt auch für Naturwissenschaftler – die Quantentheoretiker können ein Lied davon singen. Forscher in allen Wirklichkeitsbereichen müssen bereit sein, ihre Lieblingsideen zu opfern, wenn die Erkenntnis der Wirklichkeit dies verlangt, weil Sachgerechtigkeit Bereitschaft zum Hören auf und zum Gehorsam gegenüber der Wirklichkeit ist.

Die Art des Hörens ist allerdings verschieden: Naturwissenschaftler hören mithilfe von prinzipiell wiederholbaren Experimenten, Theologen mithilfe von Zeugnissen über prinzipiell nicht wiederholbare Ereignisse – gehorchen müssen sie beide. Das staunende Publikum erlangt scientia testimonialis (Wissen aufgrund von Zeugnis), weil es weder naturwissenschaftliche noch theologische Forschung betreiben kann. Die prinzipielle Grenze des ,Erdenkens‘ ist die Freiheit des anderen Menschen und die Freiheit Gottes als des Schöpfers der Welt und Herrn der Geschichte.

Jesus war nicht nur Zeuge für die Wahrheit über den Vater - er war göttlicher Mittler

Wir können die Tatsache, dass da einer gehandelt hat, erkennen und können Gründe nennen, wozu er so gehandelt hat – soweit der aus Freiheit Handelnde seine Motive offenbart. Robert war in Wien, um Helena einen Heiratsantrag zu machen – die Motive (Liebe?), die ihn bewegten, muss er offenbaren, während alle anderen, die nicht in seinem Herzen lesen können, ihm glauben sollten, wenn er vertrauenswürdig ist. ,Erdenken‘ könnte man das alles nur, wenn man alle Ursachen als notwendig durchschaut hätte. Dann wäre aber auch die Freiheit verschwunden, dort zu sein, so zu handeln, aus diesem guten Grund.

Erst recht kann niemand ,erdenken‘, wer Gott ist, wo er handelt und welche Motive er dabei hat, wenn da nicht der Zeuge Jesus wäre, der dies aus Eigenem weiß: „Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.“ (Mt 11, 27) Er will es offenbaren – dazu ist er Mensch geworden. Und nur er, weil er ,als wahrer Mensch wahrer Gott‘ ist, kann mehr sein als bloß ein Zeuge für die Wahrheit über den Vater: göttlicher Mittler. „Zeig uns den Weg zum Vater“ – Jesu Antwort: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14, 6).

Cogitare cum assentione

Wo das ,Erdenken‘ an seine Grenzen stößt, muss das ,Bedenken‘, das ,Nachdenken‘ und ,Zusammendenken‘ nicht aufhören. Daher versteht Thomas von Aquin mit Augustinus das Glauben auch als cogitare cum assentione – mit Zustimmung denken. Es muss genügen festzustellen, dass Jesus Christus ist, wer er ist, und darüber nachzudenken, wozu er es ist. Unsere Theologie konzentriert sich daher auf das cogitare cum assentione, solange es eine Rolle spielt, nämlich vom Anfang des Glaubens an bis zu seinem Ende, wenn Glauben und Hoffen aufhören in der visio beatifica – in der seligmachenden Schau.

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So hat Paulus von Tarsus über Jesu Christi Kreuzesopfer zur Vergebung der Sünden nachgedacht und es zusammengedacht mit der Erkenntnis seiner Gottheit und Menschheit, die ihm durch das Zeugnis der Apostel und die eigene Begegnung mit dem Auferstandenen aufgegangen ist. So kam er zu einer Neubewertung der Sündenfallgeschichten, die auf die Schöpfungserzählungen folgen: Gemeint ist die universelle Zerrüttung der Gott-Mensch-Beziehung. Paulus erkennt so in Jesus Christus den Neuen Adam, in dem Gott die Menschheit angenommen hat, um als Mittler der Erlösung und Heilung an die Stelle des ersten Adam zu treten, der Sünde und Tod verfallen war. Durch Ihn und mit Ihm und in Ihm ermöglicht Gott uns ein gerechtes, nicht endendes Leben. (Röm 5; 1 Kor 15) Und mehr als das, „denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung!“ (Röm 11, 36)

Umwandlung in Christus durch den Geist ist Befreiung zur Freiheit

Das Ziel der Schöpfung erreicht, wer durch die Taufe „mit Christus gestorben“ und „auferstanden“ (Röm 6), mithin in den Leib Christi, die Kirche, aufgenommen ist (1 Kor 12, 13) – weil er ,als wahrer Mensch wahrer Gott‘ ist, so dass im Neuen Adam alle Menschen erhöht werden können, „wiedergeboren werden aus Wasser und Geist“ (Joh 3). Umwandlung in Christus durch den Geist ist daher Befreiung zur Freiheit (2 Kor 3, 17f) – täglich ermöglicht in der Eucharistie: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm.“ (Joh 6, 56)

Diese Motive zusammendenkend, denkt der Epheserbrief groß von Mensch und Gott: „Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott; er hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen, zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn; durch sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade.“ (Eph 1, 4-7)

Das Wozu der Menschwerdung

Die junge Kirche hat diese vielen Gründe für die Menschwerdung Gottes als richtiges Verständnis der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus festgehalten und überliefert. Heftigen Streit über alle möglichen Irrlehren gab es im Laufe der ersten Jahrhunderte, wie zum Beispiel: Jesus sei angeblich nur eine Erscheinung gewesen, kein echter Mensch, so dass er am Kreuz auch nur zum Schein gelitten habe; Jesus habe den Körper eines Menschen gehabt, aber anstelle der menschlichen Seele habe der Logos Gottes ihn besessen; Jesus habe nur einen göttlichen Willen gehabt – und keinen menschlichen; und vieles mehr.

Das zentrale Argument für das gläubige Festhalten daran, dass Jesus Christus ,als wahrer Mensch wahrer Gott‘ war, bedenkt das Wozu der Menschwerdung: Was Gott nicht angenommen hat, wurde auch nicht erlöst – nur indem es Gott ist, der die Menschennatur angenommen hat, kann sie vergöttlicht werden.

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