Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung „Dignitas infinita“

Gottes Liebe adelt die Geschöpfe

Die Erklärung „Dignitas infinita“ bringt das spezifisch christliche Verständnis von der Bestimmung des Menschen zum Ausdruck. 
Deckenmalerei Sixtinische Kapelle
Foto: Paul Haring (CNS photo) | Die Erschaffung Adams, Detail des Deckengemäldes von Michelangelo, am 21. Februar 2020 in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan.

Im Tagesgebet vom Mittwoch der zweiten Osterwoche, das wie viele der Messgebete auf die frühe Kirche und die Theologie der Kirchenväter zurückgeht, heißt es: „Gott, in den österlichen Geheimnissen hast Du dem Menschen seine ursprüngliche Würde wiedergeschenkt…“ Damit ist präzis das spezifisch christliche Verständnis von Menschenwürde auf den Punkt gebracht, wie es das Dikasterium für die Glaubenslehre jetzt in dem sehr schönen und theologisch gut verankerten Dokument „Dignitas infinita“ darlegt.

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In einem Satz: Der Mensch hat Würde – weit über Wert und Preis erhaben – durch seine Gottebenbildlichkeit, durch seinen Anteil an Gottes ewiger Natur, durch seine von Gott geschaffene individuelle und unsterbliche Seele. Oder nochmals anders gesagt: Der Mensch hat unendliche Menschenwürde, weil er für Gott unendlich liebenswürdig ist, ganz wörtlich gemeint: der Liebe Gottes ist er würdig! Das ist das Geheimnis von Schöpfung und Erlösung.

Die doppelte Bedeutung von „finis“ 

Daher liegt nun ein Dokument der katholischen Kirche zu dem scheinbar rein philosophischen Begriff der Menschenwürde vor. Letzterer stammt zwar in der Tat aus der Philosophie der Stoa – wesentlich von Cicero und Seneca – und hat vermutlich seinen Ursprung in der platonischen Idee der „Schönheit der menschlichen unsterblichen Seele“: Es ist dies der innerste Kern des Menschen, der gegen jede Verzweckung geschützt werden muss, der unbedingt notwendig und schützenswert ist, weil der, der diesen Kern als Seele schuf, es will: Gott.

Das heißt im Alten Testament, im Schöpfungsbericht im Buch Genesis, Gottebenbildlichkeit, und heißt bei manchen Kirchenvätern, besonders bei Gregor von Nyssa und Augustinus, bis hin zu Thomas von Aquin „Würde des Menschen“. Sehr ausdrucksstark ist auch der lateinische Titel des Dokuments, denn er spielt sowohl mit der lateinischen wie auch italienischen doppelten Bedeutung von „finis“ für „Grenze“: „infinitum“ heißt unendlich und unermesslich, aber mit Blick auf eine endlose Vollendung; so kann der Lateiner auch sagen „infinitum est“: „es würde kein Ende nehmen“; in italienischer Sprache haben wir die zwei Worte „la fine“ und „il fine“ für „Ende“ und „Vollendung“.

Menschliche Seele ist zur ewigen Vollendung bestimmt

Auch das gehört wesentlich zum christlichen Begriff von Menschenwürde: Die von Gott mit unendlicher Liebe angeschaute menschliche Seele ist zur ewigen Vollendung bestimmt, die in Ewigkeit kein Ende haben wird in der Anschauung Gottes. Dies zu entfalten und zu fördern ist bei Licht besehen einzige Aufgabe des menschlichen Lebens und einzige Aufgabe des irdischen Staates, und zwar in Abwehr der Erbsünde und ihrer Folgen, von denen das Dokument im zweiten Teil spricht.

Darin heißt es: Verstöße gegen die von Gott als „Geschenk“ (Nr. 9) verliehene „ontologische Würde“ (Nr. 1), die Grundlage bildet für die sittliche, soziale und existenzielle Würde (Nr. 7/8), und die individuelle Entfaltung der Freiheit eines Menschen. Immer aber geht es um „Annahme seiner selbst“ (R. Guardini) als Person aus Gottes Hand und als sein Ebenbild, wie das Dokument an zentraler Stelle unterstreicht mit dem Hinweis auf die klassische Definition der Person durch den frühchristlichen Philosophen Boethius: „Person ist die unteilbare Substanz mit vernunftbegabter Natur“.

Der Mensch erschafft sich seine Natur nicht

Vernunft meint hier natürlich nicht Intelligenz, sondern die Möglichkeit der Erkenntnis von göttlicher und menschlicher Liebe – und das gilt uneingeschränkt von jeder menschlichen Person, geboren oder ungeboren, ungeachtet aller geistigen und körperlichen Einschränkungen.

Daher gilt: „Der Ausdruck „Natur“ bezeichnet die dem Menschen eigenen Bedingungen, die die verschiedenen Unternehmungen und Erfahrungen ermöglichen: Die Natur ist das „Prinzip des Handelns“. Der Mensch erschafft seine Natur nicht, er besitzt sie als Geschenk und kann seine Fähigkeiten kultivieren, entwickeln und bereichern. Indem er von seiner Freiheit Gebrauch macht, um den Reichtum seiner eigenen Natur zu kultivieren, baut sich die menschliche Natur im Laufe der Zeit auf.“ (Nr. 9)

Natur als verpflichtendes Geschenk von Gott 

Daher erklärt sich die Ablehnung von substanziellen Eingriffen in die von Gott als verpflichtendes Geschenk – nicht als zufälliges Angebot – gedachte menschliche Natur durch Leihmutterschaft oder Veränderung der sexuellen Identität (Nr. 48/49, 57/58), aber auch von Euthanasie (Nr. 51/52) natürlich und von Abtreibung (Nr. 47). Der Mensch hat die Freiheit zur Annahme und Entfaltung seiner von Gott geschenkten Würde oder zur sündhaften Ablehnung.

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Der Begriff der Würde des Menschen als Pflicht und Geschenk zugleich hat eine lange und interessante christliche Tradition, die dann 1195 erkennbar deutlichere Formen annimmt. In jenem Jahr nämlich verfasst der Kardinaldiakon der römischen Kirche, Lothar von Segni, der drei Jahre später als Papst Innozenz III. (1198–1216) den päpstlichen Thron besteigt, einen Traktat „De miseria humanae conditionis“: Durch die Erbsünde ist der Mensch an Seele und Geist beschädigt, sein Leben von der Sünde geprägt und von Mangel und Leiden bestimmt.

Mensch muss sich der Gottebenbildlichkeit als würdig erweisen

Mitte des 14. Jahrhunderts behandelt Petrarca in seiner Schrift „Über Heilmittel gegen beiderlei Fortuna“ Elend und Würde des Menschen; damit einher geht die anthropologische Wende des Humanismus in der Renaissance. Mitte des 15. Jahrhunderts verfasst der Florentiner Humanist Giannozzo Manetti auf Anregung König Alfons V. von Aragon einen Traktat „Über die Würde und Erhabenheit des Menschen“, die er selbst als Entgegnung auf die Abhandlung des Lothar von Segni 150 Jahre früher versteht.

Als Hauptgründe für diese Würde des Menschen werden die unsterbliche Seele, die Gottebenbildlichkeit und die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus genannt. Damit aber geht mit der Würde des Menschen zugleich seine Pflicht einher, nämlich sich seiner Gottebenbildlichkeit als Hüter und Bewahrer von Schöpfung und Mensch würdig zu erweisen.

Die besondere Würde des Menschen

1496 schließlich veröffentlichte Gianfrancesco Pico della Mirandola, der Neffe von Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494), zwei Jahre nach dem Tod seines Onkels die Einleitungsrede zu dessen geplanter, am Einspruch von Papst Innozenz VIII. gescheiterten römischen Disputation. Ursprünglich hatte sie keinen Titel;  „De hominis dignitate“ war zunächst eine Randnotiz gewesen; in der Ausgabe von 1557 erschien die Schrift erstmals unter dem bis heute gebräuchlichen Titel „Oratio de dignitate hominis“ (Rede über die Würde des Menschen).

Ausgangspunkt der Schrift ist das antike und dem Apuleius zugeschriebene Zitat „Ein großes Wunder ist der Mensch.“ Die besondere Würde des Menschen liegt in seiner Freiheit zur Gestaltung und zur Willenswahl; er kann zum Tier entarten oder zum Engel werden; wie ein Chamäleon schillert sein Wesen; sein Aufstieg aber kann nur in einem dreistufigen Prozess von Reinigung, Erleuchtung und Vollendung erfolgen.

Von der Kostbarkeit eines Menschen 

An diese Entwicklung schließt dann das Zweite Vatikanische Konzil, besonders mit dem Dekret über die Religions- und Gewissensfreiheit „Dignitatis humanae“, an. Noch etwas später geht Papst Johannes Paul II. und der von ihm entwickelte Personalismus, zusammen übrigens mit einer entfalteten Theologie des Leibes, einen neuen Schritt voran – auch in Fortführung der Ideen eines Jacques Maritain und seines integralen Humanismus, der wesentlich an der Erstellung der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen im Jahre 1948 beteiligt war:

Jeder Mensch darf und soll sich begreifen als fleischgewordener Gedanke Gottes. Gott denkt unaufhörlich und ohne Ende: „Ich liebe dich!“ und erhofft und erwartet die Antwort des Menschen. Darin präzis liegt die letzte unendliche Würde des Menschen und „die Kostbarkeit eines Menschen für die gesamte Menschheit“. (Nr. 51)

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