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Mission in possible

Wie junge Menschen heute mit dem Glauben erreicht werden können.
Johannes Hartl freut sich über einen konstruktiven Dialog  bei der „MEHR“-Konferenz
Foto: Gebetshaus Augsburg | Freut sich über einen konstruktiven Dialog zwischen charismatischem Aufbruch und Theologie bei der „MEHR“-Konferenz: Johannes Hartl.

Wer schon einmal in den Genuss eines Klassentreffens kam, hat vielleicht die folgende Erfahrung auch gemacht: Alle Mitschüler sind bedeutend älter geworden, haben sich aber sonst kaum verändert. So jedenfalls kann es sich zutragen, wenn man die Ehemaligen der Abschlussklasse nach Jahren wieder trifft. Bei erstaunlich vielen drängt sich der Eindruck auf: noch immer die gleichen Witze, noch immer der gleiche Stil. Es sind jene Witze und jener Stil, den die Mitschüler schon im Alter von 17 Jahren hatten, nicht jedoch im Alter von 7 Jahren. In der Jugendzeit werden Entscheidungen getroffen, die oft ein Leben lang prägen. Die Peergroup, die ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, die schrittweise Lösung vom Elternhaus - die Jugendjahre sind voller Wegkreuzungen. Sie sind auch die entscheidende Phase, um Menschen mit der Botschaft Jesu Christi zu erreichen.

In den 90ern gründete der Verfasser als 15jähriger einen Gebetskreis für Teenager und war in den seither vergangenen 26 Jahren ohne Unterbrechung in Bewegungen und Veranstaltungen engagiert, bei denen es um Evangelisation junger Menschen geht. Aus der unbestreitbaren Erfahrung der Möglichkeit, dass auch heute junge Menschen für den Glauben zu begeistern sind, wird der Defätismus schwer verständlich, der viele prägt, die über Jugend und Kirche nachdenken. Es ist natürlich wahr: Die wenigsten Jugendlichen verbinden heute mit Kirche etwas Positives. Die ideologische Prägung durch massiven Medienkonsum ist gewaltig. Der Kirche gelingt es momentan relativ schlecht, das Abdriften der jungen Generation vom Glauben aufzuhalten. 

Dennoch ist es auch heute möglich, Jugendliche mit dem Evangelium zu erreichen. Dies geschieht aber nicht automatisch. Sechs Zutaten sind dafür entscheidend: 

1.  Authentizität

Der kanadische Philosoph Charles Taylor betitelt unsere Epoche als „Zeitalter der Authentizität“. Entscheidend ist weniger, ob oder was jemand glaubt, entscheidend ist, ob es authentisch ist oder wirkt. Diesen Trend haben die Social Media noch deutlich intensiviert. Es ist paradox: In dem Maße, in dem Familien entkernt werden und der Individualismus zu immer mehr Einsamkeit führt, steigt die Sehnsucht, am Leben anderer teilzuhaben. Es genügt nicht mehr, einem Star auf der Bühne zuzujubeln. Die Stars der jungen Generation sind Influencer, denen man beim Fitnesstraining, bei der Kleiderwahl, beim Computerspielen und beim Frühstücken zusehen kann. Diesen Trend kann man belächeln, man kann ihn aber auch positiv zur Kenntnis nehmen. „Was würdest du tun, um einen Menschen zum Glauben zu führen?“, soll Franz von Sales gefragt worden sein. Er habe geantwortet: „Ich würde ihn ein Jahr lang mit mir in meinem Haus wohnen lassen.“

Genau dies ist, zumindest in der virtuellen Version, heute geradezu normal. In Asien ist dieser Trend noch weiter fortgeschritten als hier, doch wird der Westen wohl nachziehen. Jugendliche sehen ihren Influencern buchstäblich beim Leben zu. Wie schminkt sie sich? Wie besiegt er das große Monster im 17. Level des Computerspiels? Was wird sie heute anziehen und was kochen? Große Marken haben das Potenzial des Influencers schon lange erkannt, denn Jugendliche richten sich tatsächlich nach ihren Vorbildern aus. Genau hier bestünde auch die Chance neuer Formen der Verkündigung, medial vermittelt oder direkt.  

In einer Zeit der audiovisuellen Überflutung, der immer mehr perfektionierten Werbung, der Schönheits-OPs und der Fotobearbeitung steht Authentizität hoch im Kurs. Wie lebst du deinen Glauben wirklich? Die ungeschminkte Wahrheit über Menschen aus Fleisch und Blut - das spricht Menschen generell an, Jugendliche haben dafür aber ein besonderes Gespür. Doch es genügt nicht, davon zu sprechen, was man glaubt. Sie wollen sehen, wie es im Leben aussieht. Möchte man junge Menschen zum Glauben führen, muss man sie ein Stück weit im eigenen Haus wohnen lassen. 

2. Spiritualität

Religion hat einen schlechten Ruf, Spiritualität nicht unbedingt. Die meisten Menschen haben spirituel-le Antennen, auch wenn sie nicht in die Kirche gehen. Auf Jugendliche trifft das in verstärktem Maße zu. Im Rahmen der Leipziger Buchmesse findet jährlich auch Manga-Comic-Con statt, ein Treffen für Comics. Dor begegnet man Tausenden von Jugendlichen aus der Cosplay-Szene. Das sind Leute, die sich als Comic- oder Fantasygestalt kleiden. Wer das für eine marginale Erscheinung hält, dem sei der Besuch der Leipziger Buchmesse empfohlen. Die Halle, in der die Manga-Comic-Con stattfindet, ist etwa so groß wie jene, in der sich in der „Leseinsel Religion“ jene Verlage versammeln, die religiöse Literatur anbieten, alle Religionen und Konfessionen. Freilich umfasst die Leseinsel vielleicht ein Zwanzigstel der gesamten Halle. Dies zur Einordnung. Was in der Cosplayszene auffällt, ist die große Prävalenz spiritueller Themen. Da geht es um Zauberer und Feen, Druiden und Engel, Fluch und Se-gen, Geister und Dämonen: Ob Jugendliche tatsächlich fest daran glauben oder nicht, die von Jugend-lichen bewohnte Welt ist keine spiritualitätslose. Das gilt besonders, da praktisch jeder Jugendliche muslimische Gleichaltrige kennt, die ihren Glauben mit deutlich größerer Wahrscheinlichkeit aktiv leben. Jugendliche sind offen für spirituelle Erfahrungen. Angebote, wo sie genau das finden können, vermögen bedeutend mehr als solche, bei denen es nur um Gruppenerfahrung oder soziale Aktivität allein geht. 


3. Musik

Noch nie waren Menschen so umfassend von Musik umgeben wie heute. Musik ist für junge Menschen bedeutend mehr als Unterhaltung, sie ist Lebenselixier und Vermittlung von Lebensgefühl. Der Marktanteil von klassischer Musik an der gesamten konsumierten Musik in Deutschland liegt bei wenigen Prozent. Im Jugendbereich handelt es sich um Promille. In der katholischen Kirche ist Kirchenmusik praktisch ausnahmslos klassische Musik oder moderne E-Musik (die außerhalb der Kirche wohl nur von einer verschwindend kleinen Minderheit vertieft Interessierter rezipiert wird). Dies hat historische und wohl sogar theologische Berechtigung, baut aber eine ästhetische Barriere zu Jugendlichen auf, derer sich kirchlich sozialisierte Menschen kaum bewusst sind. Auch die in unseren Landen verbreiteten Kompositionen des „Neuen Geistlichen Lieds“ entstammen weitgehend der Generation der Eltern oder gar Großeltern der heutigen Millennials. Musik ist die Sprache einer Epoche. Evangelisation, die sich aus egal welchen Gründen zeitgenössische musikalische Ausdrucksformen verbietet, verstärkt die Barriere der Unverständlichkeit, hinter der der christliche Glaube für viele junge Menschen schlicht nicht mehr sichtbar und vor allem spürbar ist. Ob man modernen Lobpreis mag oder nicht: Die jungen Christen sind die „Generation Worship“.  

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4. Events

Die pastorale Nützlichkeit und Nachhaltigkeit von Großveranstaltungen wird regelmäßig angezweifelt. Gegner solcher Veranstaltungen begeben sich wahrscheinlich selbst ungern in Menschenmassen. Rein biblisch und kirchengeschichtlich betrachtet jedoch gab es immer auch große Versammlungen von Gläubigen, nicht ohne Musik, Geselligkeit und Festivitäten. Man lese nur einmal Goethes Beschreibung des Sankt-Rochus-Fests im Sommer 1814 über Bingen. 
Jugendliche lieben Großveranstaltungen. Verbietet es nicht gerade ein Virus, besuchen Hunderttausende jeden Sommer Rockkonzerte und Festivals wie das „Wacken Open Air“, das mit 85.000 Besuchern zu den weltweit größten seiner Art gehört. Wer an der Kraft solcher Events zweifelt, der sei an die historische Bedeutung des legendären Woodstock-Festivals im Sommer 1969 erinnert. Es hat die Weltsicht einer ganzen Jugendgeneration nachhaltig geprägt. Denn eine solche Weltsicht wird eben nicht nur durch Worte vermittelt, sondern durch ein Lebensgefühl, das sich an bestimmten Orten und in bestimmten Settings manifestiert. Mit dem Glauben ist es nicht anders. Er sucht nach Erfahrungsräumen. Es ist faszinierend, mit welch klarem Gespür Papst Johannes Paul II. das Potenzial von Großveranstaltungen erkannte und mit den „Weltjugendtagen“ für die Evangelisation fruchtbar zu machen verstand. Dass dabei moderne Technik ebenso eine Rolle spielt wie Gruppendynamik, liegt auf der Hand - wie die Möglichkeit, all dies manipulativ einzusetzen. Nicht bestritten werden kann jedoch das Vermögen von Großveranstaltungen, Jugendliche nachhaltig zu prägen. Zukunftsfähige Evangelisierung wird dies verantwortungsvoll, aber auch mutig einsetzen.  

5. Social Media 

Jugendliche verbringen heute durchschnittlich 2767 Stunden pro Jahr vor dem Bildschirm. Kirchlich sozialisierte Jugendliche besuchen vielleicht sonntags einen Gottesdienst und bestenfalls noch eine Jugendgruppe. Selbst in diesem Idealfall prägen mediale Inhalte das Leben eines Jugendlichen mit etwa zwanzigfachem Zeitvolumen gegenüber Gottesdienst und Jugendgruppe. Man könnte diese Zahlen auch auf den pragmatischen Satz reduzieren: Jugendliche werden im Internet mit der Glaubensbotschaft erreicht oder überhaupt nicht. In der pastoralen Wahrnehmung ist diese Realität vielleicht erst durch Corona breiter aufgetaucht, doch selbstverständlich ist neben Unterhaltung, Spaß und Bildung auch der Glaube für heutige Erwachsene über weite Strecken hinweg medial vermittelt. Für Jugendliche trifft das in erheblichem Maße zu. Bücher und Zeitungen haben für die junge Generation (leider!) sehr geringe Bedeutung, soziale Medien jedoch eine überragende. Ob die Verkündigung heute den Schritt in die Landschaft der sozialen Netzwerke wagt, ist gleichbedeutend mit der Frage, ob Glaubensinhalte von Jugendlichen in ihrer Lebenswelt wenigstens noch potenziell vorkommen. 

6. Klartext  

Die Aufmerksamkeitsspanne sinkt, der Wunsch nach Orientierung aber ist groß. Jugendliche sind allergisch gegen Unkonkretes. „Was bedeutet das jetzt praktisch?“, ist eine typische Frage. Stellt man sie sich als Besucher eines durchschnittlichen Sonntagsgottesdienstes nach der Predigt, ist sie mitunter gar nicht so leicht zu beantworten. „Jargon der Betroffenheit“ nennt der Kommunikationswissenschaftler Erik Flügge das Problem etwas spöttisch beim Namen. „Sind wir nicht alle ein Stück weit Menschen auf dem Weg?“ Mit solchen Satzkonstruktionen lassen sich Jugendliche kaum erreichen. Klare Ansage mit Mut zur klaren Kante: Die Popularität von YouTube-Videos wie jenem berühmten von der „Zerstörung der CDU“ des Musikers Rezo (17 Millionen Klicks!) besteht gerade in der steilen These, die klar auf den Punkt gebracht wird. Will Verkündigung junge Menschen erreichen, muss sie klar, konkret und pointiert sein. Also nicht selten das glatte Gegenteil der typischen Predigt. 

Ein Letztes. Es mag wie ein Gemeinplatz klingen, ist es jedoch nicht. Es tobt ein Kampf um die Seelen der heutigen Jugendlichen. Das war zwar schon immer so, doch tritt es vielleicht deutlicher zutage. Bekehrungen wollen im Gebet vorbereitet sein. Es gibt zu wenige Arbeiter in der Ernte, dies konstatiert schon Jesus. Doch seine Lösung ist kein neues pastorales Konzept, sondern das Gebet um die Sendung der Arbeiter (Mt 9,38). Die wahre Arbeit des Evangelisten ist jene im Verborgenen, jene auf den Knien.

 

 

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