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Johannes Paul II.: Ein Leuchtfeuer gegen die Denaturierung

Über die Theologie des Leibes: Der heilige Papst Johannes Paul II. hat die katholische Morallehre in unser Jahrhundert übersetzt.
Papst Johannes Paul II
Foto: Martin Athenstädt (dpa) | Papst Johannes Paul II hat die Theologie des Leibes verfasst.

In letzter Zeit wurden politische Entscheidungen in Deutschland getroffen, die auf ein fragwürdiges Verständnis des eigenen Leibes hindeuten und schwere Folgelasten aufwerfen. Es handelt sich um die Fortschreibung eines Menschenbildes, worin der Körper als stummer Gegenstand, als neutrales Objekt gesehen wird, den der „Eigentümer“ nach Belieben verändern, umschnitzen, angeblich verbessern, aber auch selbst töten kann. Nach wie vor beherrscht die Konstruktionsthese das Feld öffentlicher Rede bis zur Gesetzgebung: Jeder konstruiert (potenziell) selbst seinen Körper, sein Geschlecht, seine Sexualität, seinen Tod, auch Zahl und Art der Kinder, deren genetische Anlagen bei künstlicher Zeugung teilweise ausgewählt werden können.

Ausgangspunkt des Heils

Geschlechtsangleichung, wie die Geschlechtsumwandlung neuerdings heißt, soll in Deutschland gesetzlich ab dem Alter von 14 Jahren möglich werden. Mitten in der Pubertät also werden umumkehrbare Weichen für einen Totaleingriff in das Leben gestellt. Gestützt wird diese Sicht von einer rasanten Entwicklung der Medizintechnik, aber vor allem von einem ideologischen Entwurf des Menschen. Dabei fällt auf, dass sich Vertreter der Kirchen entweder gar nicht oder vorsichtig oder sogar (wie das ZdK) zustimmend zu solchen Gesetzgebungen äußern.

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Gegen diese Denaturierung gibt es nicht nur humanwissenschaftliche, sondern auch theologische Argumente. „Fleisch ist der Angelpunkt des Heils“, caro cardo salutis, sagt ein alter Satz aus der Frühzeit der Kirche. Vom Fleisch muss die Lösung der heutigen Irrwege ausgehen. Der Synodale Weg beschäftigte sich betont mit sexueller Vielfalt, auch mit bisher verurteilten Praktiken, um neue Leitplanken aufzustellen. Die „Theologie des Leibes“ (1979-1984) wäre gerade dafür revolutionär. Diesem beispiellosen Entwurf Johannes Pauls II. wird jedoch eher Unverständnis oder einfach Unkenntnis entgegengebracht.

Die Auslegungen des Papstes zielen auf die „menschliche Liebe im göttlichen Heilsplan“; Liebe wird darin ganz auf den Leib durchsichtig. Diese Sicht ist heute für junge Menschen durchaus attraktiv: Sie lernen das Geschlecht als tiefe Sehnsucht erkennen. Erst setzt die Genesis den alles bestimmenden „Anfang“ mit dem Ursakrament der Ehe, dann folgen die kraftvollen Aussagen Jesu von ihrer Unauflöslichkeit und seine Worte von der Auferstehung des Leibes, die Paulus deutet. Mit dem Hohenlied öffnet sich schließlich das schönste antike Lob menschlicher Liebe, theologisch vertieft mit dem Buch Tobias.

Revolutionärer Ansatz

Im Blitzlicht zeigt sich, wie revolutionär der Ansatz ist: Tatsächlich ist nicht nur jeder Einzelne ebenbildlich mit Gott, sondern ebenso die wunderbar entfaltete „personale Gemeinschaft“ von Mann und Frau. Freilich ist sie nach dem Sündenfall getrübt, doch gewinnen beide in der Auferweckung die reine Durchsicht des Leibes auf die Seele wieder, ungehemmt von egoistischen Befriedigungen oder Selbstverlust im bloßen Trieb. Der tiefste Gedanke ist, dass die Liebesgemeinschaft von Mann und Frau eine Ahnung von der Liebesgemeinschaft zwischen Vater, Sohn, Geist verleiht – ja, dass sich gerade an der geheimnisvollen Zweiheit des Menschen das eigentliche Geheimnis, nämlich das unerhörte, unvorstellbare schöpferische Füreinander und Ineinander des göttlichen Lebens ausdrückt.

Junges Paar
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Junges Liebespaar.

Anders: Die Zweiheit von Mann und Frau lässt bereits die Wahrheit anschaulich werden, dass Gott in sich selbst Liebe ist. Die griechischen Väter sprachen von der Perichorese: dem herrlichen „Umgang“ der Dreieinheit mit sich selbst. Schon von der Betrachtung des Menschen her wäre klar, dass Gott kein in sich verschlossener Block ist, selbstgenügsam, schweigsam, vielmehr Hingabe, Gespräch, Beziehung – eben Liebe.

Ein Blick auf die künftige Existenz

Es gibt durchaus die monotheistische Versuchung, Gott als unmitteilsam, rätselhaft, dem menschlichen Zugang schlechthin entzogen zu sehen, so fast durchgängig im Koran und in jüdischen wie christlichen Häresien. Biblisch ist das Konzept umgekehrt. Menschliche Gemeinschaft ist Abglanz der göttlichen Gemeinschaft. Statt Trauer über die zwei „Hälften“ (wie im zerteilten platonischen Kugelmenschen) gilt die Seligkeit, gerade in der Zweiheit Gottes innere Dynamik abzubilden. Die Liebe von Mann und Frau wird geradezu zum Siegel der erlösten Schöpfung, das Ebenbild leuchtet gemeinsam auf. „Dieses trinitarische Verständnis vom Abbild Gottes ist der tiefste theologische Aspekt von allem, was man über den Menschen sagen kann.“ (Katechese 9, 3; vergleiche 16, 3)

Und wie die Zweiheit des Geschlechts auf Gottes personales Leben zurückweist, auf sein inneres „Spiel“ von Geben und Empfangen, Reichtum und Armut, Bedürfen und Stillen, Lieben und Sich-lieben-Lassen, so gilt im vielfältigen Netz der Bezüge wiederum umgekehrt, dass Gottes Einssein auch die geschlechtliche Zweiheit zu Einem fügt. Ob man sich also dem Menschen oder Gott von der Vielfalt oder der Einheit her annähert: Immer wird die lebendige Spannung in dem Einen oder die Einheit, alle Spannung unterfangend, sichtbar. Und dies nicht als Schreibtisch-Gedanke, sondern als höchste Anstrengung jüdisch-christlicher Fassung einer großartigen Offenbarung.

Und besonders wichtig: Auch die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ entspringt der Liebe: Sie wirft sich auf die künftige erlöste Existenz voraus, ja wird erst im neuen Äon in voller Gestalt sichtbar. Ebenso blickt die Ehe schon in die neue Welt, wo sie umgewandelt wird in eine tiefere Gemeinschaft. Dass wir sein werden „wie die Engel im Himmel“ (Lk 20, 36), meint nicht ein Unterschreiten des Geschlechts, sondern ein Überschreiten. Mann und Frau werden nach dem Tod in einer anderen, und zwar innigeren Beziehung stehen, miteinander und mit Gott, als sie in der jetzigen Sexualität und Fruchtbarkeit möglich war. Die Symbolik der Ehe wie der Ehelosigkeit wird im Reich Gottes in unerhörter Fülle eingeholt.

Der Leib ist bräutlich

Ein Wort durchzieht die „Theologie des Leibes“ wie ein Refrain: „bräutlich“. Der heutigen aufgewühlten Sexualität bietet der Papst damit einen zweiten revolutionären Gedanken an: Der Leib ist nicht nur für sich, sondern für einen anderen Leib geschaffen. Dieses leibhafte „Brautsein“ gilt wiederum für die Ehe und die Ehelosigkeit. Beide gegensätzlichen Lebensstile treffen sich darin, dass ihre unerschöpfliche Erfüllung noch aussteht; alle jetzige Liebe ist Angeld auf Zukunft.

«Der Kuss» von Rodin
Foto: (Musee Rodin J Manoukian) | Das Marmor-Kunstwerk "Der Kuss" von Auguste Rodin.

Sexuelle Erfüllung ist nicht alles, das zeigt schon ihr unvermeidlicher Spannungsabfall. Das bedeutet nicht, hiesiges Erfülltsein zu leugnen – die Sprache des Leibes spricht ja von einer Beseligung. Aber sie spricht davon in der Weise des „noch mehr“, noch tiefer. Gibt es die ekstatische Selbstübersteigung auch ohne leise Irritationen, ohne ernüchternde Abstürze? Gerade weil der Leib seine Beglückung erfährt, erfährt er auch den Wunsch der Steigerung. Die Spannung des Leibes streckt sich aus nach einer endlosen Kraftfülle: derjenigen Gottes.

Der ganze Entwurf fußt auf der ungeheuren Herausforderung des Christentums: der Fleischwerdung Gottes. Kann Gott überhaupt einen Leib annehmen? Gerade darin liegt die eigentliche Unterscheidung von allen anderen religiösen Traditionen – nochmals: caro cardo salutis.

Schule der Personwerdung

So wird Theologie des Leibes zur Schule der Personwerdung: Einübung der Leibsprache; Sättigung des Daseins mit dem Sinn des männlichen und weiblichen Leibes; Fleischwerdung des Wortes in der Liebe; Erwartung einer unendlichen Fülle nach den jetzigen Halbheiten. Es ist dieses wunderbar Stimmige, das in sich Kraftvolle und den Blick Öffnende, das eine solche Theologie zur Quelle von Sinn und Sinnlichkeit macht. Hier wird Theologie zur Sprache der Leidenschaft.

Kein Wunder, dass junge Menschen danach verlangen – mehr und tiefer als nach dem Ausleben von Sex. Es ist dieser Schatz, den der Papst heben wollte. Kritisch wurde eingewendet, das sei noch nie vorher gesagt worden. Aber nicht doch: Es ist der Glutkern der christlichen Lehre.

Info: kurz gefasst

Die berühmte „Theologie des Leibes“ von Johannes Paul II. zielt auf die „menschliche Liebe im göttlichen Heilsplan“; Liebe wird darin ganz auf den Leib durchsichtig. Diese Sicht ist heute für junge Menschen durchaus attraktiv: Sie lernen das Geschlecht als tiefe Sehnsucht erkennen.


Die Autorin:

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Foto: Bjoern Haenssler | Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz ist Religionsphilosophin und leitet das Europäische Institut für Philosophie und Religion an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz bei Wien.

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