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Die Männlichkeit Jesu

Im Spielraum der Geschlechter.
Gemälde von Caravaggio
Foto: dpa | Jesus hatte keinen Scheinleib. Der ungläubige Thomas berührt die Wunden des Auferstandenen. Gemälde von Caravaggio (1571-1610).

Die Melodie dessen, was geschieht, ist die herrlichste Musik der Welt“, sagt ein irischer Mythos. Auch in den vielfarbigen biblischen Erzählungen hört man diese Musik und zugleich die große Zustimmung zu dem, was geschieht und in welcher Gestalt es geschieht. Eines der Geschehnisse lautet: Gott ist Fleisch geworden.

Es ist nach der Schöpfung, in der schlechthin alle Kreatur den Anfang nahm, das größte denkbare Geschehen. Noch viel genauer: Erlösung ist größer als die Schöpfung! Die Kühnheit des Kirchengebetes sagt es rundheraus: „Du hast uns wunderbar erschaffen und noch wunderbarer erneuert.“ Fleischwerdung also: Schlüssel zu allem. Nach rückwärts bis zur Urgeschichte, nach vorwärts bis zu dem großen, unbekannten, dem wirklichen Reich Gottes.

Gott kommt leibhaft

Fleischwerdung meint: Gott hat nicht eine Maske angelegt, kam nicht auf Zeit oder wenige Stunden wie die griechischen Götter. Gott kommt leibhaft. Darin ist der biblische Text einzigartig. Nicht wenige religiöse Überlieferungen nähren ja einen Verdacht gegen „das Fleisch“: angefangen mit dem orphischen Spruch vom Leib als „Gefängnis“ (soma sema), über asketisch-gnostische Traditionen der Antike bis zur indisch-brahmanischen Lehre von der Wesenlosigkeit (maya) des Leibes. Für den Buddha ist diese Wesenlosigkeit der Grund, endgültig aus dem hinduistischen Wiedereinzug der Seele in irgendeinen Körper auszusteigen: Achtfach muss die Seele lernen auszuwurzeln. Mit dem Leib verschwindet dann das ebenso wesenlose Ich, das am Leib hängt. Aber auch hier gilt der Satz Thomas Manns: „Die Wahrheit jedoch, bitter wie sie sei, verlangt das Eingeständnis, dass alles Geistig-Gedankliche nur schlecht, nur mühsam und kaum je auf die Dauer aufkommt gegen das Ewig-Natürliche.“

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Allerdings: Die Abwehr des Fleisches hat durchaus ein Fundament in der Sache: Über den Leib ist der Mensch im Animalischen verankert. Die Triebhaftigkeit und Selbstbehauptung des „Tieres in uns“ sind erschreckend, und in der Tat widerstreiten sie dem Geist. „In die freie Höhe willst du? Nach Sternen dürstet deine Seele? Aber auch deine wilden Hunde wollen Freiheit, sie heulen vor Lust in ihrem Kerker“ - Nietzsche weiß das allzu gut.
Dennoch hält diese abschätzige Betrachtung des Fleisches vor der Bibel nicht stand. Schon das Alte Testament kennt ja die schöpferische Freude Gottes an den Dingen und seine Einprägung ins Antlitz des Menschen (Gen 1,28). Ebenso nutzen die menschengestaltigen Bilder Gottes, so die Rede von seinen rachamim, dem Erbarmen aus dem Mutterschoß rachem, unbefangen menschliche Leibvorgänge als Spiegel göttlichen Tuns.

Das Neue Testament setzt mit dem Donnerschlag der Fleischwerdung Gottes ein; ebenso steht an seinem Ende ein leibhafter Tod. Die Irrlehre des Doketismus behauptete, Gott könne keinen Leib haben, Jesus sei in doxa, einem Scheinleib, aufgetreten - ebensowenig sei er wirklich gestorben. Es zählt zu den großen gedanklichen Leistungen der frühen Kirche, dass solche naheliegenden Behauptungen widerlegt wurden. Nicht Vergeistigung, sondern „Leiblichkeit ist das Ende der Wege Gottes“, wie der schwäbische Pietist Friedrich Christoph Oetinger formulierte. Auch wir werden in unserem Leibe auferstehen.

Gott ist Fleisch und darin Mann geworden

Und nun: Gott ist Fleisch und darin Mann geworden. In Forum III des Synodalen Weges - und nicht nur dort - wird dies als zweitrangige Aussage gewertet. Was soll das Mannsein Jesu für die Heilsgeschichte leisten? Würde er nicht heute ebenso gut, ja sogar sicher als Frau erscheinen? So auch aus bischöflichem Munde.

Basilius der Große hätte möglicherweise geantwortet: „Was sollen wir denn zu einer so attischen Zunge sagen? Doch nur bekennen, ein Schüler von Fischern zu sein, und das gerne.“ Attisch meint rational - also jenen Verstand, der den göttlichen Entwurf abwehrt.

Was zeichnet die Fischer aus? Umgekehrt zu allem Konstruierten: das Vertrauen auf das Faktische, das Tatsächliche, und das ist nicht naiv. Dasein bedeutet, in einer bestimmten Form dazusein. Form ist Schranke und Distanz, aber auch Bestimmtheit. Was keine Grenze hat, besitzt sich selbst nicht. Grenze ist das Glück der Gestalt, so Platon. Auch das Judesein Jesu ist Grenze, seine kurze Lebenszeit, sein Aufwachsen in Galiläa (und nicht in den Epizentren Jerusalem oder Rom). Und nicht nur im schaffenden, sondern auch im lösenden Tun Jesu bleibt Grenze: diese Kirche in Petrus, diese Apostel, diese sorgenden und mitwandernden Frauen, diese Entfaltungen in Mönchtum, Laien, Priester über die Jahrhunderte - Neues erscheint, aber im Bisherigen vorgedacht.

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Zurück zur Männlichkeit Jesu. Sein Eintritt in die eigene Schöpfung ist Eintritt in Grenze, und genauer: bereits in die polare Ordnung, die er so gebaut hat. Die Zweiheit ist spannend und fruchtbar, in jedem Sinn. „Fleisch“ des Menschen existiert nur in dieser Doppelung; diesem Prinzip ordnet sich Jesus ein. Noch tiefer: Mann und Frau existieren nur in Beziehung. Daher tritt der Mann Jesus von Anfang an schon in Beziehung - zur weiblich gedachten Schöpfung, zur weiblich gedachten Kirche, zur weiblich gegenpoligen Menschheit. Von Adam über Noe bis Mose wird diese Beziehung zum Bundesvolk, der Braut Israel, bis zu Jesus bestätigt. Darin liegt die Aussagekraft seiner Männlichkeit, als des neuen Adam und des neuen Mose. Und dieselbe Aussagekraft überträgt sich auf die Priester - auch sie sind Männer und nicht Frauen, weil sie auf ihren Gegenpol bezogen sind: auf die Frau und Mutter und Braut; heute heißt sie Kirche, später wird sie das Neue Jerusalem oder die Goldene Stadt heißen, noch einfacher: das Reich Gottes.

Den Sündenfall aufarbeiten

Ein klassischer Einwand gegen diese bleibende Zuordnung des Männlichen zum Weiblichen ist jedoch die Tatsache, dass das Judesein Jesu nicht für das Priesteramt übernommen wurde. Warum soll das Mannsein Jesu entscheidend sein, nicht aber das Judesein - wenn man schon sein Amt „übernimmt“?

Das Judentum tritt in die Geschichte ein, um den größten denkbaren Unfall der Menschheit, den Sündenfall, aufzuarbeiten. Israel gehört nicht in die Schöpfungsordnung, sondern in die Erlösungsordnung: Sie bereitet die künftige Lösung von der Ursünde vor: Das Zerstörte muss wieder aufgebaut werden. Die Menschwerdung Jesu geschieht in diesem Volk und vollstreckt dort die letztlich blutige Lösung durch den eigenen Tod. Dass Jesus Jude war, ist Folge dieser Zuarbeit Israels zu dem göttlichen Plan. In dem Augenblick, als dieser Plan gelang, öffnet sich die Lösung für alle, und es ist der Jude Paulus, der das zuerst versteht. Für alle: für Juden und Heiden, Griechen und Römer, Männer und Frauen, Sklaven und Freie. Die Jesu Ruf hören, werden adoptiert. Ecclesia kommt von klesis, dem Ruf: Alle, die diesen Ruf hören, gehören dazu. Israel, vielmehr der eine in diesem Volk geborene Sohn war die von Gott bestimmte Türe, durch die nun alle eintreten können.

So bleibt Israel bahnbrechend, aber die Bahn ist jetzt gebrochen. Daher weitet sich das Zugehören zur neuen Menschheit potenziell auf alle. Nun können auch die „gojim“, die Männer aus den „Völkern“, Priester werden, ohne Juden zu sein.

Es gibt also zwei Ordnungen oder zwei geistige Räume: den Raum des Bezuges von Mann und Frau, der immer bestehen wird (auch in der Auferstehung), weil er das Glück des Menschlichen ausmacht. Und den Raum der Erlösung, in welcher die Schranken der Völker auf die eine Menschheit geöffnet wurden. Nicht aber wird damit die Bestimmung des Geschlechts neutralisiert, im Gegenteil. Im ersten Fall sind wir zum Glück als Mann und Frau verschieden; im zweiten Fall sind wir zum Glück als Juden und Heiden vereint.

Seitdem „Gott anhat ein Gewand“ (Hölderlin), das Gewand des Fleisches, ist das menschliche = endliche Fleisch bekleidet mit der unendlichen Bedeutung, die den tagespolitischen Moden unendlich voraus ist. Nicht wir lesen unsere Biologie in Christus hinein, vielmehr erhellt seine Männlichkeit unser geschlechtliches Dasein. Was für ein Entwurf!

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