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Lehramt in der Zerreißprobe

Wie das Lehramt der deutschen Universitätstheologie das Lehramt der Bischöfe ablöst.
Konzil von Nizäa
Foto: wikipedia commons | Das Konzil von Nizäa. Die Apostelnachfolger schützen den Glauben durch das gemeinsame Bekenntnis.

Im ersten Jahrtausend der Kirchengeschichte waren die führenden Theologen zugleich Träger des kirchlichen Lehramts. Sowohl die abendländischen Kirchenlehrer als auch die Kirchenlehrer des Ostens waren fast ausschließlich Bischöfe, im Falle Gregors des Großen sogar Papst. Seit der Etablierung der Universitäten im Hochmittelalter und ihren theologischen Fakultäten stehen das Lehramt der Bischöfe und das der universitären Theologie in einem problematischen Spannungsverhältnis.

Auf der gemeinsamen Basis des in Schrift und apostolischer Tradition grundgelegten Glaubens kommen den beiden Lehrämtern unterschiedliche, aber aufeinander bezogene Aufgaben zu. Die wissenschaftliche Theologie versucht mit ihrem gesamten Methodenapparat, vor allem durch historische Forschung und im Dialog mit anderen Wissenschaften, den Glauben tiefer zu ergründen und je neu zu erschließen.

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Häresien zurückweisen

Eine besondere Bedeutung hat dabei noch einmal der Dialog mit den philosophischen Weltdeutungen, denn Philosophie und Theologie kommen darin überein, als Ganzheitswissenschaften nach den letzten Gründen zu fragen und die existenziellen Menschheitsfragen zu thematisieren. Das kirchliche Lehramt hingegen legt, auch im Licht der Erkenntnisse der theologischen Forschung, den Glauben je neu als zu glauben vor und wacht darüber, dass dieser Glaube in Treue zum Ursprung und in seiner Substanz gewahrt bleibt.

Bis weit herauf in die Neuzeit war die Zurückweisung häretischer Positionen, und damit die Reinigung des apostolischen Glaubens von zeitbedingten Einflüssen das vorrangige Motiv der Dogmenentwicklung. Erstes und wichtigstes Beispiel hierfür ist die Zurückweisung des atrinitartischen und hellenistischen Gottesverständnisses des Arius durch das Konzil von Nizäa (325).
Die beiden Lehrämter sind insofern auch weiter personal aufeinander bezogen, als immer auch akademische Lehrer der Theologie zu Bischöfen berufen werden.

Ein Theologe auf dem Stuhl Petri

In jüngster Vergangenheit saß mit Papst Benedikt XVI. sogar ein ehemaliger deutscher Universitätsprofessor auf dem Stuhl Petri. Als Beispiel für die konstruktive Zuarbeit der Theologie für die Formulierung der kirchlichen Lehre wird mit Recht auf die Bibelbewegung, die Patristische Bewegung und die Ökumenische Bewegung hingewiesen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts freilich nicht allein nur von der akademischen Theologie herkommend   wertvolle Vorarbeiten geleistet hatten, die dann von den Vätern des Zweiten Vatikanischen Konzils rezipiert und in die Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen dieser Bischofsversammlung eingeflossen sind.

In der Offenbarungskonstitution „Dei Verbum“ (DV) spricht das Konzil auch davon, dass die Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt kennt im Verständnis des überlieferten Glaubens. Dabei wird die wissenschaftliche Theologie nicht explizit genannt, sondern allgemein mit „Studium“ miterfasst, wenn es in DV 8 heißt: „[E]s wächst das Verständnis der überlieferten Dinge und Worte durch das Nachsinnen und Studium der Gläubigen, die sie in ihrem Herzen erwägen (vgl. Lk 2,19.51), durch innere Einsicht, die aus geistlicher Erfahrung stammt, durch die Verkündigung derer, die mit der Nachfolge im Bischofsamt das sichere Charisma der Wahrheit empfangen haben.“ Die wissenschaftliche Theologie muss also immer eingebettet sein in einen kirchlichen Gesamtvollzug des Glaubens, Lebens und Betens.

Bischöfliches Lehramt beschnitten

Und in DV 10 heißt es im Blick auf das Lehramt der Bischöfe ausdrücklich: „Die Aufgabe aber, das geschriebene oder überlieferte (…) Wort Gottes verbindlich zu erklären, ist nur dem lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut (…), dessen Vollmacht im Namen Jesu Christi ausgeübt wird.“

Der von der Vollversammlung des Synodalen Weges in zweiter Lesung verabschiedete Orientierungstext nimmt demgegenüber eine deutliche Kompetenzverschiebung vor, wenn nicht nur behauptet wird, das bischöfliche Lehramt sei „nicht die letzte Instanz in Detailfragen der Exegese oder in Zweifelsfragen der Anwendung“, sondern die Aufgabe des Lehramtes dann auf den formalen Aspekt beschränkt wird, die Verbindlichkeit der Heiligen Schrift zu bezeugen, den „Tisch des Wortes“ reicher zu decken und dafür einzutreten, dass „in der Deutung der Heiligen Schrift das Wort Gottes zur Geltung“ komme. Damit wird dem bischöflichen Lehramt seine Bedeutung als Auslegungsinstanz und das Recht und die Pflicht bestritten, seine Auslegungsvollmacht im Namen der Kirche wahrzunehmen, wenn Theologen die Schrift gegen das Glaubensbekenntnis und die Kirche interpretieren.

Einseitige Auswahl

Des Weiteren fällt auf, dass in den Texten des Synodalen Weges, darauf hat Bischof Stefan Oster bei der Vollversammlung im Februar 2022 hingewiesen, zumeist von „der Theologie“ im Singular die Rede ist. Damit wird eine Einheitlichkeit und Einhelligkeit in der theologischen Forschung suggeriert, die dem tatsächlichen Pluralismus der Theologie mit den ihr eigenen Debatten und wechselnden Hypothesen widerspricht.

Der Eindruck einer Theologie im Singular wird allerdings dadurch hervorgerufen, dass in den entsprechenden Foren des Synodalen Weges eine nur sehr einseitige Auswahl von Theologinnen und Theologen vertreten ist und anderslautende Stimmen von vornherein nicht berufen wurden beziehungsweise abweichenden theologischen Stimmen die wissenschaftliche Dignität abgesprochen wird. Es zeichnet sich ab, dass das Lehramt der Bischöfe durch das Lehramt einer rationalistischen deutschen Universitätstheologie abgelöst wird. Mit Recht wurde mit Blick auf den Stil, die Länge und Komplexität einer Vielzahl der vom Synodalen Weg behandelten Texte gesagt, es handle sich um „Texte von Theologen für Theologen“.

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Synodaler Weg strebt Paradigmenwechsel an

Die Immunisierung gegen anderslautende theologische Positionen wird auf dem Synodalen Weg nicht zuletzt dadurch betrieben, dass durch ein intransparentes Besetzungsverfahren der Antragskommissionen wieder weitgehend die Autoren der Texte selbst über die Kritik an den Texten zu Gericht sitzen und die Annahme oder Ablehnung kritischer Einwände mit ihrer Autorität empfehlen.

Es wäre aber so notwendig, dass im Blick auf die biblische Anthropologie, die katholische Sakramentenlehre, die Lehre von der Kirche als einer „apostolischen“ und als solchen auch „synodalen“ Kirche die gültige kirchliche Lehre zur Sprache gebracht würde. Und nicht zuletzt im Blick auf die Gestaltung des Miteinanders von Mann und Frau müsste unbedingt die „Theologie des Leibes“ rezipiert und angewendet werden, wie sie von Papst Johannes Paul II. in deutlicher Weiterentwicklung der bisherigen kirchlichen Lehre formuliert wurde. Entgegen den immer wieder erhobenen Beteuerungen, es handle sich um legitime Weiterentwicklungen (im Sinne von DV 8), haben wir es in den meisten Fällen mit regelrechten Brüchen und Paradigmenwechseln zu tun.

Es geht um die Wahrheit

Auf Konzilien wurde stets darauf Wert gelegt, dass nicht über die Wahrheit abgestimmt, sondern der gemeinsam erkannten Wahrheit in Einmütigkeit die Ehre gegeben wurde. So betont auch Papst Franziskus, dass in synodalen Prozessen die Lehre der Kirche als Fundament und nicht als Abstimmungsgegenstand betrachtet werden muss. „Beim Sprechen über Synodalität ist es wichtig, Lehre und Tradition nicht mit den Normen und Methoden der Kirche zu verwechseln.

Was bei den synodalen Versammlungen diskutiert wird, sind nicht die traditionellen Wahrheiten der christlichen Lehre.“ Die Satzung des Synodalen Weges sieht immerhin vor, dass die Bischöfe den Texten mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen müssen, damit sie als vom Synodalen Weg verabschiedet gelten können. So haben die Bischöfe noch immer die Möglichkeit, bei den zur Debatte stehenden Glaubensfragen durch entsprechendes Abstimmungsverhalten ihr Lehramt auszuüben.

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