Die Ampel hat fertig. Nachdem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Zeitplan für Neuwahlen, auf den sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Union gemeinsam nach tagelangem Hin-und-Her schließlich doch geeinigt hatten, am Dienstagabend grundsätzlich billigte, will Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag gemäß Artikel 68 Grundgesetz nun am 16. Dezember stellen.
Bleibt es dabei und plagt Scholz bis dahin nicht wieder eine Gedächtnislücke, werden die Karten neu gemischt und die Wählerinnen und Wähler in Deutschland am 23. Februar einen neuen Bundestag wählen. Damit verblieben den Abgeordneten maximal sieben Sitzungswochen, um bereits laufende Gesetzesverfahren zum Abschluss oder länger geplante doch noch unter Dach und Fach zu bringen. Welche Vorhaben wann auf die Tagesordnung gesetzt werden, wird für gewöhnlich (die Geschäftsordnung des Bundestages kennt auch Ausnahmen) im Ältestenrat entschieden. Da die Union angekündigt hat, bei derartigen Vorhaben nur punktuell als Mehrheitsbeschaffer fungieren zu wollen, sind den verbliebenen Ampelparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen für die Durchsetzung ihres Restprogramms also erhebliche Grenzen erwachsen.
Die Lebensrechtler werden profitieren
Profitieren werden davon vor allem Lebensrechtler. Weder die Abschaffung des Verbots der Eizellspende und Leihmutterschaft und schon gar nicht die Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch haben unter den jetzigen Umständen eine Chance, den Weg ins Bundesgesetzblatt zu finden. Schmerzvoll dürfte dies vor allem für die Mitglieder der von der Ampel bestellten "Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" sein. Ihr mit viel Fleiß, aber wenig Verstand binnen eines Jahres erarbeiteter und im April vorgestellter 628-seitige Abschlussbericht dürfte - von vielen ungelesen - auf den Müllhaufen der Parlamentsgeschichte wandern. Oder anders formuliert: Außer Spesen nichts gewesen.
Dasselbe Schicksal dürfte dem von "Pro Familia" und 25 weiteren Organisationen vorgestellten Gesetzesentwurf zuteil werden, der vorgeburtliche Kindstötungen bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche post conceptionem "rechtmäßig" stellen will und für den "Deutsche Frauenrat", der "Deutsche Juristinnenbund" und "Evangelische Frauen in Deutschland" noch am vergangenen Freitag bei einem Parlamentsfrühstück in Paul-Löbe-
Haus zwischen Smoothies und Müsli im Bundestag schamlos warben.
Von Tisch dürfte auch die erneute Forderung nach einer Einführung der sogenannten Widerspruchslösung bei der Organspende sein. Ein vom Bundesrat in den Bundestag eingebrachter entsprechender Gesetzesentwurf (BT-Drucksache 20/12609) wird wohl der Diskontinuität verfallen. Ob Gleiches auch für den bereits im Frühjahr eingebrachten Antrag "Kassenzulassung des nicht invasiven Pränataltests - Monitoring der Konsequenzen und Einrichtung eines Gremiums" gilt, muss abgewartet werden.
Wer will heute schon auf den gesunden Menschenverstand wetten?
Mit dem Antrag (Bundestagsdrucksache 20/10515) will eine interfraktionelle Gruppe von 121 Abgeordneten von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Grünen, FDP und der Gruppe Die Linke erreichen, dass die Konsequenzen, die sich aus der Kassenzulassung nicht-invasiver Pränataltests (NIPT) auf die Trisomien 13, 18 und 21 im Jahr 2022, ergeben, erstmals systematisch ausgewertet werden. Wegen des Ampel-Aus wurde der Antrag, über den eigentlich am vergangenen Freitag in "Namentlicher Abstimmung" final befunden werden sollte, wieder kurzerhand von der Tagesordnung genommen. Dem gesunden Menschenverstand folgend, spräche also nichts dagegen, ihn genauso kurzerhand wieder auf diese zu setzen. Aber wer will in Zeiten wie diesen schon auf den gesunden Menschenverstand wetten?
Fest steht: Mit der Streichung des Werbeverbots für Abtreibungen, der Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes und der Errichtung der Bannmeilen um Abtreibungskliniken hat die Ampelregierung viel bioethischen Schaden angerichtet. Wie gut, dass dies nun ein Ende hat.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.