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Warum ein sächsischer Abgeordneter die AfD verbieten lassen will

Andernfalls ist das Ende der Demokratie nahe - meint der CDU-Politiker Marco Wanderwitz. Über eine Diskussion voller Vorwürfe und Fragezeichen
Björn Höcke ist Landesvorsitzender der Thüringer AfD
Foto: Martin Schutt (dpa) | Sieht so das Ende der Demokratie aus? Das bleibt vorerst mehr als umstritten.

„Ich möchte gerne in einer Demokratie leben“. Marco Wanderwitz sagt das ganz ruhig. Es liegt nichts Beschwörendes in der Stimme des ehemaligen Ostbeauftragen der Bundesregierung. Es ist einfach seine feste Überzeugung: „Die Gefahr, wenn sie einmal auf demokratischem Wege eine Mehrheit erreicht haben, dass das dann die letzte Wahl gewesen ist, die ist sehr real.“ Und „sie“, das sind seine Kollegen von rechts, von der Alternative für Deutschland.

Der sächsische CDU-Abgeordnete hat sich deshalb einer Mission verschrieben, die bisher weder in der eigenen Fraktion, noch bei den anderen Bundestagsparteien auf ungeteilte Begeisterung stößt: Er will die AfD vom Bundesverfassungsgericht verbieten lassen. 37 Abgeordnete sind nötig, um ein entsprechendes Verfahren in den Bundestag einzubringen. Und dann eine einfache Mehrheit, die dafür stimmt. Wie viele Gleichgesinnte unter den Abgeordneten er schon beisammen hat? Das will Wanderwitz noch nicht verraten. Neuen Schub erhofft er sich durch ein für Ende Februar erwartetes Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster. Sollte dieses die Einstufung des Verfassungsschutzes bestätigen, der die gesamte AfD als rechtsextremen Verdachtsfall führt, könnte dies Verbotsbefürworter bestärken.
Für Wanderwitz ist klar: Der Feind steht rechts. Diese Analyse wird von wichtigen Repräsentanten des Staates geteilt. Erst am 8. März stufte der Verfassungsschutz den sächsischen Landesverband der AfD als dritten Landesverband nach Thüringen und Sachsen-Anhalt als gesichert rechtsextrem ein. Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang ist sich in Sachen AfD so sicher, dass er in maximaler Ausreizung seines Mandats den Bürgern schon mal öffentlich empfahl, die Erkenntnisse seiner Behörde doch bitte bei der Wahlentscheidung „im Hinterkopf zu behalten“. Und auch Innenministerin Nancy Faeser hält es für nötig, im Kampf gegen rechts alle gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren. So machte sie jüngst im Handelsblatt mit der Forderung auf sich aufmerksam, es sei „Sache der Wirtschaft“, gegenüber der AfD „deutlich Haltung zu zeigen“.

Das Ende der Demokratie - wie könnte es aussehen?

Während die These vom nahenden Ende der Demokratie durch falsches Wählen dennoch nicht als Allgemeingut gelten kann – wenigstens die AfD selbst weist natürlich die Unterstellung zurück, sie arbeite an der Abschaffung der Demokratie –, ist die Wahrnehmung von der Gefährdung des Gemeinwesens keine Idee, die nur in Politikerkreisen Anklang fände. So ergab eine repräsentative Umfrage aus dem Mai dieses Jahres, dass vier von fünf Menschen in Deutschland die Demokratie für bedroht halten. Nicht wenige assoziieren die wahrgenommene Bedrohung vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung des Scheiterns der ersten deutschen Demokratie am Aufstieg der NSDAP heute mit dem Aufstieg der AfD, die zehn Jahre nach ihrer Gründung erfolgreicher denn je ist. Doch verdächtig gilt die neue Rechtspartei auch denjenigen, die nicht auf historische Parallelen, sondern auf undemokratisches Agieren ideologisch ähnlich gelagerter Parteien im Ausland verweisen: Etwa auf die PiS in Polen, die nach ihrer Wahlniederlage die Machtübergabe hinauszögert hat – und der kommenden Regierung mit der von ihr vorgenommenen Besetzung des Verfassungsgerichts mit meist loyalen Parteisoldaten noch große Probleme bereiten dürfte. Anschauungsmaterial bietet auch die ungarische Fidesz unter Viktor Orbán oder Donald Trump, der 2020 mit einem guten Teil der republikanischen Partei den Wahlsieg Joe Bidens nicht anerkannte.

Doch wie genau könnte eine Umwandlung der Demokratie in eine rechte Autokratie in Deutschland aussehen? Eine vieldiskutierte Vision davon hat der Jurist Maximilian Steinbeis entwickelt: Ein charismatischer Politiker (der „Volkskanzler“) einer neuen alternativen Partei gewinnt bei einer Bundestagswahl eine absolute Mehrheit. Am Tag nach seiner Wahl führt er einen dritten Senat beim Bundesverfassungsgericht ein – zusätzliche Richter also, die sich um Fragen der Staatsorganisation kümmern, und besetzt die Hälfte davon mit einfacher Mehrheit selbst. Tatsächlich müssen Richter beim Bundesverfassungsgericht mit 2/3-Mehrheit bestellt werden, diese Regel ist in Steinbeis‘ Vision jedoch schon von der Vorgängerregierung abgeschafft worden, um nicht von der damals bereits über ein Drittel der Sitze einnehmenden Alternativpartei blockiert werden zu können. Und von diesem Moment an geht es bergab: Klagen in Karlsruhe gegen den Umbau des Staates durch die Regierung können keinen Erfolg mehr haben. Am Ende steht eine neue Verfassung, in der die Gewaltenteilung der Vergangenheit angehört und die dominante Partei immer mit satten Mehrheiten rechnen kann. Eine Verfassung, die die Macht des politischen Emporkömmlings sichert.

Der zentrale Punkt: Menschenwürde

So faszinierend derartige Gedankenspiele sind, die Steinbeis aktuell mit einer Gruppe von Mitarbeitern auch für Thüringen anstellt (nach dem Motto: kann Höcke dort das demokratische System zerstören, wenn er bei der nächsten Landtagswahl X Prozent bekommt?), sie bleiben Theorien. Der Nachweis ernsthafter Absichten für eine solche Verschwörung ist schwer zu erbringen. Und in der Tat ist es dann auch etwas anderes, das wirklich im Zentrum der gängigen Argumentation für ein AfD-Verbot steht: Ihrer Programmatik liege „ein national-völkisch verstandener Volksbegriff zugrunde, der Menschen nach rassistischen Kategorien in ihrer Wertigkeit unterscheidet und damit vom Volksbegriff des Grundgesetzes abweicht und mit Artikel 1 Absatz 1 GG nicht zu vereinbaren ist“. So steht es in einer Analyse, die das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) im Juni veröffentlicht hat. Demzufolge erkenne die AfD Deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund nicht als Deutsche an, und plane mit deren Deportation „grund- und menschenrechtswidrige Gewalt“. „In der Tat“, das sagt auch Wanderwitz, „ist das Thema Menschenwürde gemäß Artikel eins der zentrale Punkt.“

Denn es sind beileibe nicht nur Wahlen, die als unerlässlich für die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ (FDGO) gelten. So heißt es im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum zweiten (gescheiterten) NPD-Verbotsverfahren von 2017: „Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit.“ Und in einer Randnotiz heißt es: „Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.“ Darüber hinaus unverzichtbar ist dem Urteil zufolge neben dem Demokratieprinzip selbst noch das Rechtsstaatsprinzip. Nur diese gelten, anders als die übrigen Bestandteile des Grundgesetzes („GG“), als so wichtig, dass die „wehrhafte Demokratie“ sie mit Maßnahmen wie dem Parteienverbot verteidigen darf und soll.

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Volksverhetzung oder erlaubte Polemik?

Nun ist die Indizienlage im Fall der AfD uneindeutig. Der Bundesvorstand der Partei selbst hat 2020 einen „Grundsatzbeschluss“ verabschiedet, in dem sich die AfD zur FDGO, inklusive des Schutzes der Menschenwürde, bekennt. Und in einer AfD-Erklärung zum Volksbegriff von 2021 heißt es, man bekenne sich „vorbehaltlos zum deutschen Staatsvolk als Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen“. Staatsbürger erster und zweiter Klasse gebe es nicht, und die Aufnahme in das deutsche Staatsvolk habe „definitiven Charakter“. Man sei nur eben dafür, diese Aufnahme an strenge Kriterien zu knüpfen, sodass deutsche Kultur und Identität langfristig erhalten bleiben könnten. Schon diese Vorstellung allerdings problematisiert die DIMR-Studie: Der Gebrauch des Begriffs Kultur, „der in dem Sinne verwendet wird, dass es sich dabei um ein unveränderliches identitätsstiftendes Wesensmerkmal von Menschen handelt“, sei kennzeichnend für „rassistische national-völkische Positionen der Gegenwart“. Mit ihrer Ablehnung von Multikulturalismus und der Forderung nach einer Leitkultur in ihrem Grundsatzprogramm nehme die AfD eine „Hierarchisierung von Menschen“ vor, die mit der Menschenwürde letztlich unvereinbar sei.

Bezüglich der Deportation deutscher Staatsangehöriger aufgrund ihres Migrationshintergrunds, die fraglos gegen die FDGO verstieße, stützt sich die DIMR-Studie auf eine Äußerung des AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland. Der hatte im Bundestagswahlkampf 2017 davon gesprochen, die damalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, die ihrerseits mit der Aussage, eine „spezifisch deutsche Kultur“ sei jenseits der Sprache „schlicht nicht identifizierbar“, aufgefallen war, „in Anatolien entsorgen“ zu wollen. Wenigstens zur „Volksverhetzung“ taugt diese Aussage allerdings nicht: Die diesbezüglichen Ermittlungen gegen Gauland, die auf seine Formulierung folgten, wurden ohne Anklage eingestellt. Von der Meinungsfreiheit gedeckt, entschied die Staatsanwaltschaft. „Eine polemische Äußerung aus einer konkreten Situation heraus“, also nicht als programmatischer Aufruf zur Deportation zu werten, sagt auch der emeritierte Staatsrechtler Dietrich Murswiek, der im Auftrag der AfD 2018 ein Gutachten zu deren Beobachtung durch den Verfassungsschutz geschrieben hat.

Seitdem hätten sich die Gewichte in der Partei durch den Austritt von Liberalen schon noch einmal verschoben, meint der Freiburger Professor. Auf verfassungsfeindlichem Kurs sieht er die AfD aber nach wie vor nicht, die Chancen für ein Verbotsverfahren stünden dementsprechend schlecht. Denn während für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz – dem Murswiek im damaligen Gutachten zudem eine bisweilen böswillige Auslegung der Aussagen von AfD-Politikern vorwarf – Anhaltspunkte für eine Aktivität gegen die FDGO ausreichen, muss in einem Verbotsverfahren ein Beweis geführt werden. Dafür aber sei wenigstens das, was im aktuellen Verfassungsschutzbericht stehe, „viel zu dünn“.

Grund zur Vorsicht sieht Wanderwitz nicht

Ist die AfD also doch nur eine Partei unschuldig Verfolgter, die die politische Konkurrenz aus Eigeninteresse von der Bildfläche verschwinden lassen will? Marco Wanderwitz will das nicht gelten lassen, und führt noch ein anderes Argument ins Feld: „Es sind die permanenten, pointierten Aussagen nahezu aller ihrer Spitzenpolitiker, die regelmäßig direkte Bezüge zur Sprache der Nationalsozialisten nehmen und die in regelmäßigen Fällen mit Artikel eins kollidieren.“ Wenigstens bei einem prominenten AfD-Politiker, Björn Höcke, wird diese Einschätzung auch von der Justiz geteilt. So urteilte das Verwaltungsgericht Meiningen 2019, dass es erlaubt sei, Höcke „Faschist“ zu nennen – weil dieses Werturteil auf einer überprüfbaren Tatsachenbasis beruhe. Dabei führte das Gericht auch Höcke-Zitate an: Vom Holocaust-„Schandmal“ über eine „tausendjährige Zukunft“ bis zur „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“.

Für ein Verbot der Gesamtpartei könnte allerdings auch das nicht reichen – eher schon für ein anderes, wenig bekanntes Abwehrinstrument, das das Grundgesetz vorsieht: die individuelle Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18. Dieses erlaubt etwa, einzelnen Personen durch das Bundesverfassungsgericht aktives und passives Wahlrecht, Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu entziehen. Ausgesprochen wurde ein solcher Entzug bei bislang vier Anträgen allerdings nie. Hätte Wanderwitz hingegen wider Erwarten Erfolg mit seinem Verbotsantrag, so wäre die AfD (nach der Sozialistischen Reichspartei SRP und der Kommunistischen Partei Deutschlands KPD) immerhin die dritte verbotene Partei der Bundesrepublik. Grund zur Vorsicht sieht Wanderwitz jedenfalls nicht: „Viele Kolleginnen und Kollegen müssen für sich die Frage beantworten, ob sie wirklich überzeugt sind, dass wir das mit Bordmitteln hinkriegen. Die Gefahr besteht, dass das am Tag X schief geht. Dann müssen sie damit leben, dass sie aus Angst vor einem Misserfolg die Chance versäumt haben, noch vor der Katastrophe das schärfste Schwert anzupacken.“

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