Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Preisverleihung an Kiewer Bürgermeister

Vitali Klitschko: Ein Leuchtturm, der Selenskyj überstrahlen kann?

Vitali Klitschko erhält den Franz-Werfel-Menschrechtspreis, Boris Pistorius spricht die Laudatio. Die Verleihung ist auch eine Reflexion über die Notwendigkeit von Führung.
Klitschko bei der Preisverleihung
Foto: Zentrum gegen Vertreibungen | Auch nach seiner aktiven Boxerkarriere steht er noch an der Spitze: Vitali Klitschko, frisch gekürter Franz-Werfel-Menschenrechtspreisträger.

Nein, explizit angesprochen wurde er nicht, der Konflikt zwischen dem Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises durch die Stiftung gegen Vertreibungen an das Stadtoberhaupt der ukrainischen Hauptstadt in der Frankfurter Paulskirche war schließlich eine Feierstunde. An diesem Sonntagmittag ging es um eine symbolische Botschaft an einem symbolischen Ort. In der Paulskirche verabschiedete das erste gesamtdeutsche Parlament eine freiheitliche Verfassung. Und die Ukraine verteidigt in ihrem Kampf gegen den russischen Aggressor nicht nur ihre eigene staatliche Souveränität, sondern sie kämpft auch für das freie Europa, für Rechtsstaatlichkeit, für die Menschenrechte, für die Souveränität freier Völker – das ist das Leitmotiv, das sich durch alle Reden zieht, vom Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) über den hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein und den ehemaligen hessischen Innenminister Peter Beuth (CDU), der für die Stiftung das Wort ergriff, bis hin natürlich zur Laudatio von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).

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Aber die Ukraine hat eben nicht nur mit dieser existenziellen außenpolitischen Situation zu kämpfen, es gibt auch innenpolitische Konflikte. Vor wenigen Tagen beklagte Klitschko sich in einem Interview mit der britischen „Times“ über Selenskyj. Die Zeitung titelte in Anspielung auf den früheren Weltklasse-Boxer Klitschko „Die Handschuhe sind ausgezogen“. Was steht im Zentrum des Konfliktes? Klitschko wirft dem Präsidenten einen autoritären Regierungsstil vor. Der Konflikt zwischen den beiden besteht dabei schon länger und reicht bis in die Zeit vor dem Beginn des russischen Angriffskrieges zurück. Seitens der Regierung wird der Kiewer Stadtverwaltung vorgeworfen, Korruption zu begünstigen. Gerade erst fanden Razzien statt, bei denen auch Mitglieder der Stadtverwaltung verhaftet worden sind. Klitschko seinerseits wirft dem Präsidenten vor, dies sei ein Vorwand, um die kommunale Selbstverwaltung auszuhöhlen. So hatte sich Klitschko schon im Januar in einem offenen Brief an den Präsidenten darüber beschwert, dass der Leiter der Kiewer Militärverwaltung gegenüber der Stadtverwaltung übergriffig agiert habe.

Wie gesagt, diese Auseinandersetzung, die übrigens unterstreicht, dass trotz der Kriegslage in der Ukraine der demokratische Streit zwischen politischen Gegnern weitergeht, spielte in der Paulskirche keine Rolle. Dieser Konflikt kann aber die deutsche Öffentlichkeit, die bisher vor allem auf Selenskyj als der politischen Führungsgestalt der Ukraine fixiert ist, dazu bewegen, in einer neuen Perspektive auf Klitschko zu schauen. Ist er vielleicht ein politischer Leuchtturm, der einmal Selenskyj überstrahlen könnte? Die Preisverleihung unterstreicht dabei vor allem eines: Über eine mangelnde Unterstützung durch die politische Führung in Deutschland muss sich der Kiewer Oberbürgermeister im Fall des Falles keine Sorgen machen.

Einer, der überragt

Da ist natürlich einmal die Symbolkraft seines Amtes. Boris Pistorius drückte diesen Vorbildcharakter ganz klar aus:  „Vitali Klitschko hat sich entschieden, Verantwortung zu übernehmen – für seine Heimat, seine Brüder und Schwestern in der Ukraine, für Freiheit und für Menschenrechte. Er ist ein Vorbild für alle Ukrainerinnen und Ukrainer, für uns alle. Er steht sinnbildlich für alle Menschen, die trotz allem den Glauben an Frieden und Freiheit nicht verlieren. Vitali Klitschko hat Kampfgeist, er gibt nicht auf, er stellt sich all‘ den großen Herausforderungen. Das bewundere ich wirklich sehr.“ Der Bundesverteidigungsminister ließ dabei immer durchblicken, dass er auch persönlich viel Respekt davor habe, wie Klitschko als Bürgermeister einer Stadt, die ständig unter Bedrohung steht, es schaffe, den Widerstandgeist, aber eben auch die Infrastruktur Kiews aufrechtzuerhalten. Und – das vielleicht dann doch eine indirekte Anmerkung zu dem Konflikt mit Selenskyj – Pistorius würdigte, dass Klitschko auf Selbstverwaltung, Dezentralisierung und Selbstbeteiligung des Bürgers setze. Auch Klitschko selbst gab in seiner Dankesrede zumindest eine kurze Andeutung, wie er seine künftige Rolle in der ukrainischen Innenpolitik sehen könnte. Es müsse der Demokratisierungsprozess – er sprach hier unter anderem von Transformation – weiter entschieden vorangetrieben werden. Das sei, machte er deutlich, für die Ukraine als Teil der europäischen Familie selbstverständlich, aber auch notwendig.

Seine Dankesrede hielt der Kiewer Oberbürgermeister eher kurz. Der 1,98 Meter große 49-Jährige weiß ganz sicher um seine Wirkung auch jenseits von langatmigen Reden. Wer so wie er schon rein körperlich  immer sein ganzes Umfeld überragt, man konnte es auch deutlich in der ersten Reihe der Paulskirche sehen, der wird automatisch zum Orientierungspunkt. Er mahnte zu schärferen Sanktionen gegen Russland im Wirtschafts- und Energiebereich. Vor allem aber dankte Vitali Klitschko den Deutschen für ihre Hilfe. Aber auch er unterstrich, dass an dem Ende dieses Krieges nicht nur die Zukunft der Ukraine, sondern auch die Europas hänge. Klitschko bekam stehende Ovationen. Ist der Kiewer Oberbürgermeister vielleicht nicht nur eine politische Führungsfigur für sein Land, sondern auch für Europa?  

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